Beim Brandschutz hört für manche Betroffene der Spaß auf
Wohnungsbesitzer in Nürnberger Hochhäusern stellen Notwendigkeit von teuren Umbauten infrage – Ausgerechnet im Winter keine Dämmung mehr
NÜRNBERG (lby) - Seit dem Feuer im Londoner Grenfell Tower im Juni 2017, bei dem 71 Menschen ums Leben gekommen sind, wird vielerorts der Brandschutz in Hochhäusern überprüft. Zuletzt wurden unter anderem in Nürnberg an fünf Wohntürmen die Fassaden entfernt – mit erheblichen Folgen für die Bewohner.
Seit 1967 wohnen Eugen und Adele Schuler in einem 20-stöckigen Wohnturm in Langwasser, der nach dem Krieg entstandenen Trabantenstadt im Südosten Nürnbergs. Jetzt sind beide Ende 70 und verstehen die Welt nicht mehr: „Ich begreife nicht, wie bekloppt man sein muss, mitten im Winter die Fassaden herunterzureißen“, schimpft der ehemalige Postangestellte. Ende Oktober vergangenen Jahres wurden an diesem und vier benachbarten Hochhäusern aus den 1960er-Jahren die als akut brandgefährlich eingestuften Heraklith-Styropor-Platten abgenommen.
„Reine Panikmache“
Andernfalls, so hieß es damals in einer eilig einberufenen Wohnungseigentümer-Versammlung, müssten die Häuser geräumt und die Bewohner in Notunterkünften untergebracht werden. „Das war reine Panikmache“, sagt Schuler. Eine Feuergefahr bestand seiner Ansicht nach für die fünf Häuser nicht. 1986 sei das Kellergeschoss in dem Haus, in dem er wohnt, fast völlig ausgebrannt. Dabei hätten die Fassadenplatten dem Feuer standgehalten.
1982 zogen die Schulers vom sechsten in den achten Stock in eine größere Dreizimmerwohnung, die sie 2001 kauften. „Weil sie behindertengerecht ist und wir dachten, wir könnten hier bis an unser Lebensende bleiben – und jetzt müssen wir unwie s so eine bittere Pille aufzwingen lassen“, sagt der Rentner. Die aktuellen Arbeiten trugen dazu bei. Weil die Baukörper seit Monaten ohne Wärmedämmung in der Kälte stehen, breitete sich – wie auch bei Schulers – vor allem in den nach Norden ausgerichteten Wohnungen Schimmel an den Wänden aus. Eugen Schuler reagierte: „Wir hatten schon nach drei, vier Wochen einen Meter hoch Schimmel an der Wand im Ess- und im Schlafzimmer. Ich hab ihn gleich entfernt, bevor giftige Sporen entstehen.“
Für den Abriss der alten und die Anbringung einer feuerfesten neuen Wärmedämmung stehen Kosten in Höhe von 25 Millionen Euro im Raum, die als Sonderumlage auf die 390 Wohneinheiten verteilt werden soll. Durchschnittlich kommt so ein Betrag von 50 000 bis 60 000 Euro zusammen. So viel Geld können viele Eigentümer, die zuvor Mieter der einstigen Sozialwohnungen waren, nicht einfach aufbringen.
Feuerwächter im Einsatz
Die Rücklage, in der 2,25 Millionen Euro für Instandsetzungsmaßnahmen angesammelt waren, wurde bereits für die Notmaßnahmen und den Gerüstbau ausgegeben, wie der Nürnberger Rechtsanwalt Klaus Kratzer sagte. Außerdem hätten wegen der angeblich akuten Brandgefahr nachts Feuerwächter zwischen den Hochhäusern patrouilliert. Kratzer vertritt 240 der 290 betroffenen Eigentümer im Rechtsstreit gegen die Verwalterin der Anlage, die Vonovia Immobilien Treuhand. Auf einer Eigentümerversammlung im Februar wurde diese inzwischen abgewählt.
Der Jurist will die Vonovia auf Schadenersatz verklagen, weil diese ihre Verwalterpflichten „gröblich verletzt“habe. Unter anderem habe sie auf die Anforderung eines Brandschutzgutachtens durch die Stadt Nürnberg nicht rechtzeitig reagiert und dann übereilt den Abriss der Fassaden in Auftrag gegeben. „Der bei Hochhausbränden so gefährliche Kamineffekt durch die Hinterlüftung von Fassadenplatten hätte hier gar nicht entstehen können, weil die als Dämmung verbauten Platten mit Flüssigbeton ausgegossen wurden“, ist sich Kratzer sicher.
Das Schicksal der Schulers teilen etliche Hochhausbewohner in Deutschland. Sie wissen nicht, ob ihr Haus der Brandschutzschau standhält und ob sie wegen Mängeln an Modernisierungsmaßnahmen beteiligt werden. Im schlimmsten Fall kann eine Wohnung gar für unbewohnbar erklärt werden. So wie vergangene Woche in Duisburg. Dort wurden nach einer Begehung durch Brandschutzexperten zwei Hochhäuser binnen Stunden evakuiert. 200 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen, weil die Stadt die Nutzung der zwölfgeschossigen Häuser untersagte. Die Fachleute stellten fest, dass sich bei einem Feuer im Keller der Rauch möglicherweise über offene Schächte und das Treppenhaus bis in die Wohnungen ausbreiten würde und die Bewohner dann nicht gerettet werden könnten.