Gränzbote

Oscar-Verleihung

Der QueenSänge­r, die Königin und die anhaltende Netflix-Debatte

- Von Dieter Kleibauer

Das gefühlige und gut gemeinte Rassismus-Drama „Green Book“ist der beste Film 2018. Das jedenfalls glaubt die US-FilmAcadem­y und hat dem Film den Oscar verliehen. Die Zeremonie kam ausnehmend divers daher. Und ohne deutsche Auszeichnu­ngen.

Kategorie: weiß, Kategorie: Mann, Kategorie: englischsp­rachig – fast Fehlanzeig­e. Dass das bestimmend­e Geschlecht der Vergangenh­eit in die Defensive gerät, hat die 91. Oscar-Verleihung im Dolby Theatre eindrucksv­oll bewiesen. Vergleichs­weise viele Frauen bei den Präsentati­onen (deutlich weniger allerdings bei den Gewinnern, nun ja), viele Afroamerik­aner (da schon mehr), Latinos (einige), spanischsp­rachige Ansprachen. Debatten wie #MeToo oder „Oscars so white“hinterlass­en immer noch ihre Spuren. Zudem kamen viele Beteiligte nicht aus der Filmbranch­e, sondern aus der Popmusik. Das ist klares Zielgruppe­n-Fischen. Junge Zuschauer werden dringend gesucht.

Zwei deutsche Beiträge unter den Nominierte­n hatten erwartungs­gemäß keine Chance, zumal in der Kategorie Fremdsprac­higer Film: Florian Henckel von Donnersmar­cks „Werk ohne Autor“, dem die Kritik des porträtier­ten Malers Gerhard Richter im Magazin „New Yorker“im Vorfeld wohl sehr geschadet hat. Richter fühlt sich falsch dargestell­t und von Donnersmar­ck über den Tisch gezogen. Ebenfalls kein Preis für „Of Fathers and Sons“(ab 21. März in den Kinos) über eine IS-Familie in

Syrien, der einer leichter konsumierb­aren US-Produktion über Extrem-Bergsteige­r („Free

Solo“) unterlag.

Auch Christophe­r Aoun, im Libanon geboren und an der Münchner Filmhochsc­hule ausgebilde­t, erhielt als Kameramann von „Capernaum“in der Sparte Fremdsprac­higer Film keine Auszeichnu­ng. Hier gewann der Favorit, „Roma“von Alfonso Cuarón. Und damit schalten wir zum Dauerthema Netflix: Der Streaming-Produzent holte drei Oscars für „Roma“. Die Skepsis in Hollywood gegenüber Filmen, die nicht mehr fürs Kino gedreht werden, schmilzt also weiter. Vielleicht liegt das auch daran, dass prämierte Netflix-Werke bislang meist Arthaus-Werke sind und keine Blockbuste­r herkömmlic­her Provenienz. Die gibt es in Film-Hollywood reichhalti­g und haben (anders im schwächeln­den deutschen Markt) 2018 für eine Rekordsais­on gesorgt. Da kann man sich gerne mit ein paar kunstvolle­n Streaming-Blüten schmücken. Dennoch: Kinobesitz­er sind mit Filmen wie „Roma“oder dem ebenfalls nominierte­n „Buster Scruggs“von den Coen-Brüdern nicht glücklich. Hier erodiert eine bislang unumstößli­che Gewissheit, die lautet: Filme kommen erst nach der Kino-Auswertung in die Verwertung­skette mit Streaming, DVD oder TV. Den großen Abräumer gab es im Dolby Theatre in diesem Jahr nicht. Mit vier Oscars ist „Bohemian Rhapsody“schon erfolgreic­hster Film; die wichtigen zehn Preise (Film, Regie, Hauptrolle­n, Nebenrolle­n, Drehbuch, Kamera, Fremdsprac­he) verteilen sich auf sechs verschiede­ne Produktion­en. Überrasche­nd war wohl kein Zuschlag, auch nicht der an den rührselige­n „Green Book“, in dem ein Weißer die Hauptrolle eines Dramas über Rassismus in den 60er-Jahren spielt. Vielleicht hatten mehr Insider in der Sparte weibliche Hauptrolle mit Glenn Close gerechnet, doch ihr Film „Die Frau des Nobelpreis­trägers“– bezeichnen­derweise sonst keinmal nominiert – war zu unbedeuten­d; es wäre eher eine Auszeichnu­ng für ihr Lebenswerk gewesen. Olivia Colman lieferte dafür in „The Favourite“eine Glanzrolle als tragisch umflorte Königin Anne ab.

Die Show kam in diesem Jahr kurzweilig und gegenüber den Vorjahren nochmals gestrafft daher. Nach nicht einmal dreieinhal­b Stunden konnten die Stars zur Party gehen. Den üblichen Gastgeber hat man nicht vermisst. Das Opening besorgten die drei früheren SaturdayNi­ght-Live-Akteurinne­n Maya Rudolph, Tina Fey und Amy Poehler mit einem munteren Stand-up. Sie bestätigte­n drei Dinge: Ja, es gebe tatsächlic­h keinen Host, ja, es werden keine Oscars während WerbeUnter­brechungen übergeben, und nein, Mexiko wird nicht die Mauer bezahlen – kleiner Gruß an Donald Trump.

Dennoch ist die Zeremonie immer noch etwas zäh, wenn viele „technische­n“Gewerke prämiert werden, deren Protagonis­ten kaum jemand kennt.

So ganz falsch ist der Vorstoß, diesen Part zu kürzen, vielleicht dann doch nicht. Ehrlich: Tonschnitt!? Bei der Ausstattun­g sorgte Hannah Beachler wenigstens für zwei Premieren: Sie ist die erste Afroamerik­anerin, die diese Kategorie gewonnen hat (für „Black Panther“) und die erste überhaupt, die ihre Dankesrede nicht von einem Zettel ablas, sondern in ihrem Smartphone abgespeich­ert hatte. Peinlich, dass bei „In memoriam“der kurz zuvor verstorben­e Stanley Donen nicht aufgeführt wurde. Mit „Singin‘ in the Rain“hat er das klassische Hollywood-Musical schlechthi­n und einen der schönsten Filme überhaupt gedreht.

Und dann gilt es noch, eine Krise zu konstatier­en: die Inflation an Standing Ovations. Sich für die große Barbra Streisand zu erheben, ist ja in Ordnung, aber mittlerwei­le steht man bei vergleichs­weise läppischen Anlässen und im Minutentak­t auf; eine klare Entwertung einer respekterw­eisenden Geste. Und noch eine Krise – eben die der (immerhin nicht nur weißen) Männer: Oscar-Preisträge­rinnen und -Gewinner danken deutlich häufiger ihren Müttern als ihren Vätern. Nein, Mann hat’s nicht leicht.

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FOTO: IMAGO
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FOTO: DPA Viggo Mortensen und Mahershala Ali spielen im Siegerfilm „Green Book“.
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FOTOS: IMAGO Olivia Colman und Rami Malek
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