„Wir planen 22 000 Neueinstellungen“
DB-Personalvorstand Martin Seiler über unkonventionelle Rekrutierungsmethoden
BERLIN - Tablets, Soziallotsen, Übernahmegarantie – die Bahn tut einiges, um neue Mitarbeiter zu rekrutieren. Personalvorstand Martin Seiler erklärt im Interview mit Dorothee Torebko und Dieter Keller, wie das Unternehmen allein dieses Jahr 22 000 Mitarbeiter rekrutieren will.
Die Bahn hat in letzter Zeit ziemlich viele negative Schlagzeilen produziert. Wie schlecht ist die Stimmung in der Belegschaft?
Wir haben gerade wieder unsere weltweit über 300 000 Mitarbeiter befragt. Die Zufriedenheit ist stabil. Bei Verbundenheit, Loyalität und Spaß bei der Arbeit haben sich die Werte sogar verbessert. Dass unsere Belegschaft hinter uns steht, zeigt auch die Entwicklung der letzten Jahre: Seit 2012 machen wir die Befragung alle zwei Jahre. Seither war die Mitarbeiterzufriedenheit durchgängig stabil.
Dennoch hat die Bahn mit einem schlechten Image zu kämpfen. Wie schwer macht das die Suche?
Wir stehen bei der Arbeitsmarktsituation vor großen Herausforderungen, aber wir rekrutieren erfolgreich. Letztes Jahr haben wir über 24 000 neue Kolleginnen und Kollegen eingestellt. Dieses Jahr planen wir 22 000 Einstellungen. Wir sind zuversichtlich, dass wir das wieder schaffen. Die Situation ist aber unterschiedlich, je nach Region und Beruf.
Welches Personal ist schwierig zu finden? besonders
Neben Ingenieuren und IT-Experten besonders die bahnspezifischen Berufe, also Lokführer, Gleisbauer und Fahrdienstleiter. Wir suchen 2019 allein rund 1500 Fahrdienstleiter, die in den Stellwerken den Zugbetrieb regeln, und über 2000 Lokführer. Sie sind nicht so einfach zu finden wie etwa Bürokaufleute. Wir müssen sie in der Regel erst qualifizieren und brauchen dafür Vorlauf. Um hier schneller und besser zu werden, erhöhen wir in diesem Jahr die Ausbildungskapazitäten um ein Drittel. Aber die Bahn ist ein attraktiver Arbeitgeber. Wir haben allein im vergangenen Jahr 320 000 Bewerbungen bekommen.
In den kommenden Jahren verlassen aber auch viele Mitarbeiter den Konzern – etwa weil sie in Rente gehen ...
In den nächsten zehn bis zwölf Jahren verlieren wir die Hälfte der Belegschaft in Deutschland, also rund 100 000 Mitarbeiter. Wir besetzen nicht nur nach, sondern wachsen auch. Letztes ahr haben wir 7500 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Um diese neuen Mitarbeiter zu begeistern, gehen wir auch neue Wege. Ein Beispiel: Wir haben in Frankfurt am Main und München einen Waggon in einen Bahnhof gestellt und gesagt: Jeder, der seine Bewerbungsunterlagen mitbringt, erhält, wenn alles passt, am gleichen Tag eine vorläufige Einstellungszusage. In München kamen rund 200 Interessenten, und wir haben 68 Zusagen gemacht. Das zeigt: Wenn man Hürden abbaut, kann es funktionieren.
Sie werben Über-50-Jährige und Studienabbrecher an. Sind Zehntklässler nicht qualifiziert genug für eine Ausbildung?
Wir müssen alle Zielgruppen betrachten. Schulabgänger kommen bei uns für eine duale Berufsausbildung infrage. Wir stellen zum September rund 4000 Azubis ein, nochmal 200 mehr als im Jahr davor. Am wichtigsten ist uns, dass die Neuen zu uns passen und dass sie motiviert sind, hier zu arbeiten und die Bahn nach vorne zu bringen. Alles andere, wie das Alter, ist zweitrangig.
Ist die Bahn für junge Arbeitssuchende heutzutage überhaupt attraktiv?
Die Bahn ist doch das Verkehrsmittel der Zukunft, allein aus ökologischer Sicht. Heißt: Es gibt bei uns spannende Aufgaben mit Zukunft. Dafür bieten wir eine gute Ausbildung in 50 Berufen. Wir haben moderne Ausbildungsstätten und sind mehr und mehr digital unterwegs. Es gibt immer noch junge Leute, die sich ihren Kindheitstraum Lokführer erfüllen wollen und das mit viel Begeisterung angehen. Und nach der Ausbildung geht es dank unserer Übernahmegarantie in der Regel weiter.
Sie bieten neuerdings Azubis eine sozialpädagogische Begleitung an – warum?
Junge Menschen, die ins Berufsleben starten, haben mit einer Vielzahl von Themen umzugehen und bringen manchmal Probleme mit, die in der Vergangenheit anders abgefedert wurden. Da kann es um Familie oder das soziale Umfeld gehen, aber auch um Probleme beim Lernen. Mit dem Angebot von persönlichen Gesprächen machen wir gute Erfahrungen, und wir wollen das ausbauen.
In Baden Württemberg werden gezielt Geflüchtete für Bahn-Jobs angeworben.. Ist das ein Modell für die ganze Deutsche Bahn?
Wir tun das bereits und haben dafür vier verschiedene Programme aufgesetzt. Das erste ist eine Orientierungsphase, in der wir uns kennenlernen. Als zweites gibt es ein Vorbereitungsprogramm für eine Ausbildung. Drittens haben wir Quereinsteiger, zum Beispiel Elektriker, die sich aufgrund ihrer Erfahrung und des Alters nicht mehr als Azubis eignen. Die unterstützen wir gezielt. Und viertens, das ist neu, wollen wir gezielt geflüchteten Frauen beim Einstieg in den Job helfen. Das A und O sind Sprachkurse. Wir unterstützen aber nicht nur fachlich, sondern haben auch sogenannte Soziallotsen. Sie helfen, wenn jemand zum Amt oder zum Arzt muss. Wir haben bereits 300 Geflüchtete auf diesen Wegen qualifiziert. Neulich war ich bei einer Zeugnisübergabe in Hamburg dabei. Zu sehen, mit welchem Elan die Menschen in den Beruf gehen und wie sie sich reinhängen, war beeindruckend.