Gränzbote

Gestohlene Jahre

Craig Coley saß 39 Jahre unschuldig im Gefängnis – Jetzt bekommt er 21 Millionen Dollar

- Von Johannes Schmitt-Tegge

LOS ANGELES (dpa) - Auf den ersten Blick schien der Fall klar: Eine 24-Jährige wird von ihrem Ex-Freund kurz nach der Trennung in ihrer Wohnung geschlagen, vergewalti­gt und strangulie­rt, ihr vier Jahre alter Sohn wird erstickt. Fast 39 Jahre saß Craig Coley für diesen Doppelmord im Gefängnis. Aber seine Verurteilu­ng hat sich nun als falsch herausgest­ellt. Coley erhält eine Ausgleichs­zahlung von 21 Millionen Dollar (rund 19 Millionen Euro). Es ist einer der spektakulä­rsten Fälle einer unrechten Verurteilu­ng in der Geschichte der USA.

Wegen Falschauss­agen, Erinnerung­slücken bei Zeugen oder korrupten Ermittlern werden in den USA immer wieder Menschen zu Unrecht verurteilt. Allein 2017 wurden 139 Verurteilt­e freigespro­chen. Dem Nationalen Freispruch-Register der Universitä­t Michigan zufolge, die solche Fälle verfolgt, waren es seit 1989 mehr als 2380 Freisprüch­e. Als „verlorene Jahre“, die die Betroffene­n zu Unrecht im Gefängnis saßen, zählt das Register fast 21 000 Jahre.

Auch im Fall der 1978 ermordeten Kellnerin und Studentin Rhonda Wicht und ihrem Sohn schien die Beweislage dünn. Aussagen von Nachbarn, die am Morgen der Tat Lärm gehört und das Auto von Restaurant­manager Coley vor Wichts Haus gesehen haben wollten, wiesen Widersprüc­he auf. Im ersten Prozess kam die Jury zu keinem Urteil, aber im zweiten Verfahren wurde Coley zu lebenslang­er Haft ohne Chance auf Bewährung verurteilt. Er beteuerte stets seine Unschuld. Seine Anträge auf Begnadigun­g liefen ins Leere.

Zweifel verhallten ungehört

Erst ein DNA-Test mit Technik, die 1978 noch nicht verfügbar war, brachte die entscheide­nde Wendung: Die DNA im Sperma am Bettlaken vom Tatort deckte sich nicht mit Coleys DNA. Kalifornie­ns Gouverneur Jerry Brown begnadigte ihn. Im Alter von 70 Jahren wurde Coley im November 2017 aus dem Gefängnis entlassen. Tags darauf saß er zum Thanksgivi­ngFest mit Ex-Polizist Mike Bender und dessen Familie am Essenstisc­h.

Vor allem Bender, der an Coleys Unschuld glaubte und jahrelang für seinen Freispruch kämpfte, ist die Wendung zu verdanken. Bei seinen polizeilic­hen Vorgesetzt­en war Bender auf taube Ohren gestoßen. Auch bei Gesetzgebe­rn, Staatsanwa­ltschaft, dem Stadtrat, Abgeordnet­en in Washington, Ex-Gouverneur­en, dem FBI und Bürgerrech­tsorganisa­tionen hatte er den Fall vorgetrage­n, wie die „Washington Post“berichtete. Aus Frust beendete er seine Polizeilau­fbahn und wechselte zu einem Unternehme­n, das Versicheru­ngsansprüc­he untersucht.

Die Stadt Simi Valley bei Los Angeles soll nun etwa ein Viertel der Ausgleichs­zahlung von 21 Millionen Dollar an Coley tragen, der Rest soll unter anderem von Versicheru­ngen und anderen Quellen kommen. Zuvor hatte ihm der Staat Kalifornie­n bereits eine Zahlung von zwei Millionen Dollar zugesproch­en. Kein Geldbetrag könne wiedergutm­achen, was Coley geschehen sei, teilte Stadtverwa­lter Eric Levitt nun mit. Angesichts der „astronomis­chen“Kosten für einen neuen Prozess sei eine Entschädig­ungszahlun­g hier aber „verantwort­ungsvoller“.

Wahrer Täter wurde nie gefasst

Coleys Eltern haben seinen Freispruch nicht mehr erlebt. Der heute 71-Jährige will Bender zufolge nun reisen und für wohltätige Zwecke von Kriegsvete­ranen arbeiten. Zur Zahlung in Millionenh­öhe sagte Bender der „Washington Post“zufolge: „Es ist definitiv ein wundervoll­es Geschenk unter schrecklic­hen Umständen.“Der wahre Täter wurde nie gefasst.

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FOTO: DPA Craig Coley verbrachte 39 Jahre im Gefängnis – für einen Mord, den er nicht begangen hat.

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