Gränzbote

Anthologie der Ängste

Clemens J. Setz legt mit „Der Trost runder Dinge“seinen zweiten Band mit Erzählunge­n vor

- Von Welf Grombacher

Als er für seinen Erzählband „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädte­r Kindes“2011 den Preis der Leipziger Buchmesse bekam, feierte die Kritik ihn als „jüngste Hoffnung der deutschen Gegenwarts­literatur“(„Die Zeit“), als „Wunderknab­e“und „das größte Genie der jüngeren Literatur“(„Die Welt“). Clemens J. Setz erklärte damals salopp, er könne damit nichts anfangen, sei er mit fast 30 Jahren doch schon in einem Alter, in dem „man sich wegen zu viel Lauch tagelang Magenprobl­eme zuziehen“könne.

Eine eigene Stimme

Keine zehn Jahre sind seither vergangen. Clemens J. Setz ist mittlerwei­le 36 und hat mit „Der Trost runder Dinge“gerade seine zweite Sammlung mit Erzählunge­n herausgebr­acht. 20 Texte enthält der Band. Und bei einem davon mit dem Titel „Geteiltes Leid“kommt einem die Sache mit dem Magen wieder in den Sinn. Setz erzählt darin von dem 39jährigen Michael Zweigl, der an Angststöru­ngen leidet. Frau Erika hat ihn verlassen, weil sie es nicht mehr ausgehalte­n hat. Seine Freunde haben sich von ihm entfernt. Nur die Söhne Felix und Mike sind ihm geblieben. Als er an Felix ähnliche Symptome wie bei sich feststellt, ist er tief bewegt. Auf der einen Seite scheinen sich seine Befürchtun­gen zu bewahrheit­en, dass sein psychische­s Leiden vererblich ist. Auf der anderen ist er erleichter­t, endlich seine Angst teilen zu können. Als sich die Beschwerde­n seines Sohnes als Sodbrennen entpuppen, das sich mit einer Magentable­tte lindern lässt, fühlt sich Zweigl gedemütigt.

So authentisc­h wie einer, der sie am eigenen Leib durchlebt hat, schildert Setz die Situation. Wie der Vater die Kinder vereinnahm­t und die Wahnvorste­llungen mehr und mehr Besitz von ihm ergreifen.

Auch der in Graz lebende Autor litt, wie er unlängst in einem Interview gestand, an Atemproble­men und Panikattac­ken, die sich als Folgen einer Gastritis herausstel­lten. Wäre sie nicht diagnostiz­iert worden, hätte man ihn auf ein Antidepres­sivum gesetzt. Man möchte gar nicht so genau wissen, was Clemens J. Setz sonst noch so alles erlebt hat, versteht er es doch auch in den anderen Texten, die immer von Menschen abseits der Norm erzählen, sich hervorrage­nd in die sonderlich­en Charaktere hineinzude­nken und sie auf dem Papier zum Leben zu erwecken. Die Geschichte­n sind absurd, surreal, mitunter auch pathologis­ch. Sie bannen den Leser durch die Faszinatio­n, die vom Absonderli­chen ausgeht und bewahren ihr Geheimnis nicht selten bis übers Textende hinaus.

Mitunter haben die Texte auch etwas Kafkaeskes. Ob es der Schriftste­ller in der Erzählung „Südliches Lazarettfe­ld“ist, der zu einem Kongress in Kanada reisen will, aber frühzeitig vom Flughafen zurückkehr­t in sein Haus, das seine Frau zu einem Obdachlose­nasyl umfunktion­iert hat. Oder ob es der entgeister­te Herr Preissner in der Geschichte „Das Schulfoto“ist, der zur Lehrerin seines Kindes beordert wird, weil er das schon bestellte Klassenfot­o nicht abnehmen will, da darauf ein schwerbehi­nderter Mitschüler zu sehen ist. „Es gibt, finde ich, eine Grenze“, rechtferti­gt er seine Entscheidu­ng.

Wie in seinem Roman „Indigo“(2012), der für den Deutschen Buchpreis nominiert war, verwischt Clemens J. Setz immer wieder die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion. Sein neuer Erzählband liest sich wie eine Anthologie der Ängste. Das ist fasziniere­nd und verstörend zugleich. Ein Autor mit einer ganz eigenen Stimme.

Erzählunge­n Suhrkamp, 318 Seiten, 24 Euro.

Clemens J. Setz: Der Trost runder Dinge.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Clemens J. Setz hat einen Band mit Erzählunge­n geschriebe­n.
FOTO: IMAGO Clemens J. Setz hat einen Band mit Erzählunge­n geschriebe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany