Offensive gegen den Krebs
Ab 55 zahlen die Kassen alle zehn Jahre eine Darmspiegelung – Was bei der Untersuchung passiert
MÜNCHEN - Darmkrebs ist kein Randphänomen, im Gegenteil. Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 60 000 Menschen an der Tumorerkrankung, mehr als 20 000 sterben daran. Viele der Todesfälle wären vermeidbar, sagen Experten – wenn sich mehr Menschen jenem Körperteil zuwenden würden, über den sie eher ungern sprechen.
Einer, der das sogar professionell tut, ist Wolfgang Holtmeier, der im Krankenhaus Porz am Rhein regelmäßig Darmspiegelungen durchführt: „Über Darmkrebsvorsorge muss man nicht diskutieren“, sagt der Gastroenterologe. Dass die vorsorgliche Begutachtung des Darms Krebs verhindert, behauptet nicht nur Holtmeier. Auch Fakten belegten eindrücklich, dass Darmkrebsvorsorge ab einem gewissen Alter sinnvoll sei: Rund 200 000 Darmkrebsfälle und 90 000 Todesfälle hat der Vorsorgecheck bisher verhindert.
Dennoch nutzen längst nicht alle Versicherten über 55 Jahren das Angebot: Seit der Einführung der gesetzlichen Vorsorgespiegelung 2002 ließen sich fast acht Millionen Versicherte untersuchen – das sind lediglich etwa fünf Prozent der Berechtigten. „Die anderen haben Angst, dass bei der Untersuchung etwas schiefgeht, finden das Abführen vorher unangenehm oder schämen sich“, sagt Holtmeier, an dessen Klinik jährlich rund 3000 Koloskopien stattfinden.
Von der Untersuchung selbst bekommt der Patient nichts mit
Damit der Arzt die Schleimhaut ganz genau betrachten kann, muss der Dickdarm leer und sauber sein. Eine gute Vorbereitung durch den Patienten ist daher unerlässlich – er muss mithilfe von Medikamenten seinen Darm entleeren und abführen. Schon zwei Tage vor der Untersuchung sollte er bestimmte Nahrungsmittel meiden. Am Nachmittag des Vortages beginnt dann das Abführen mit einer speziellen Darmspüllösung, woraufhin sich der Darm mehrmals entleert.
Von der Untersuchung selbst muss der Patient nichts mitbekommen: Auf Wunsch erhält er beim Arzt eine Kurznarkose, die ihn für eine knappe Dreiviertelstunde in einen Dämmerschlaf versetzt. Während der Patient auf der Seite auf einer Liege ruht, tastet der Gastroenterologe zunächst den Enddarm ab. Dann führt er mit Gleitgel das sogenannte Endoskop in den After ein und schiebt das biegsame, schlauchartige Instrument vorsichtig bis in den untersten Dünndarmabschnitt vor.
„Wir betrachten das Darminnere beim Herausziehen des Endoskops, nicht beim Hineinschieben“, erklärt Berndt Birkner, Gastroenterologe aus München. „In den ersten fünf Minuten arbeiten wir uns zügig bis zum Beginn des Dünndarms vor. Dann ziehen wir das Instrument langsam zurück und schauen uns Dick- und Mastdarm mithilfe von Lampe und Kamera ganz genau an.“
Für den Patienten ist die Prozedur, die je nach Darmlänge, Sauberkeit und Befund maximal 30 Minuten dauert, schmerzfrei. Nur bei wenigen kommt es zu kleinen Verletzungen der Schleimhaut durch das Endoskop. Extrem selten passiert es, dass dieses die Darmwand durchsticht. Geschieht Letzteres, kann der Arzt das entstandene Loch jedoch sofort flicken. Insgesamt ist das Risiko von Komplikationen gering.
Ziel der Untersuchung ist, möglichst die Vorstufen von Darmkrebs zu entdecken, sogenannte Polypen. Das sind gutartige Veränderungen der Darmschleimhaut, die langsam wachsen und im Laufe der Jahre entarten, also zu Krebs werden, können. Sie rechtzeitig zu finden und zu entfernen, schützt zuverlässig vor der oft tödlichen Erkrankung. Denn neun von zehn Darmkrebspatienten hatten vorher Darmpolypen. Ihre frühzeitige Entfernung ist deshalb das wichtigste Ziel der Prophylaxe. Weil die Routine-Darmspiegelung bei knapp neun Prozent der Männer und fast fünf Prozent der Frauen zwischen 50 und 54 Polypen oder schon bösartige Tumore ans Licht bringt, fordern Fachärzte inzwischen, die Altersgrenze für die Vorsorgeuntersuchung herabzusetzen: Zumindest die Männer sollten sich schon ab dem 50. Lebensjahr untersuchen lassen.
Je größer ein Polyp, desto größer ist übrigens auch das Risiko, dass er sich bösartig verändert: Bei einem Durchmesser von einem Zentimeter besteht statistisch ein Krebsrisiko von einem Prozent, bei vier Zentimeter Größe bereits eines von 20 Prozent. Die meisten Menschen, die Polypen haben, wissen gar nichts davon, weil die gutartigen Wucherungen ihnen in der Regel keine Beschwerden bereiten.
Auffällige Polypen werden bei der Darmspiegelung direkt entfernt
Findet der Arzt während der Darmspiegelung Polypen, was bei jedem fünften Patienten der Fall ist, entfernt er sie gleich: Das Endoskop ist mit winzigen Zangen und einer kleinen Schlinge ausgestattet, mit deren Hilfe der Gastroenterologe verdächtiges Gewebe von der Schleimhaut abträgt. Für die Patienten besteht dann noch einige Tage lang ein Blutungsrisiko.
„Bemerken sie nach der Untersuchung Blut oder haben Bauchschmerzen, sollten sie ihren Arzt noch einmal aufsuchen“, so Gastroenterologe Birkner. Blut ist beim Thema Darm immer ein Alarmsignal – vor allem für diejenigen, die noch gar nicht bei einer Darmspiegelung waren: „Egal, ob das Blut am After oder im Stuhl auftritt“, sagt Birkner: „Die Ursache dafür sollte unbedingt ein Arzt abklären.“
Neben Brust-, Lungen- und Prostatakrebs gehört Darmkrebs in Deutschland zu den häufigsten Krebsleiden. Viele Todesfälle hätten wahrscheinlich verhindert werden können – durch eine rechtzeitige Darmspiegelung.