Gränzbote

Grönemeyer unterstütz­t Krautrockp­ionier

Michael Rothers Alben sind in einer überarbeit­eten Wiederverö­ffentlichu­ng erhältlich

- Von Werner Herpell

BERLIN (dpa) - David Bowie würde sich bestimmt freuen, wenn er es noch erleben könnte, und Herbert Grönemeyer reibt sich derzeit gewiss die Hände: über die Wiederentd­eckung von Michael Rother, diesem freundlich-bescheiden­en, jung gebliebene­n 68-Jährigen, der zu den internatio­nal wichtigste­n deutschen Rockmusike­rn zählt, im eigenen Land aber vielen völlig unbekannt ist.

Bowie ließ den damals noch spöttisch als „Krautrock“bezeichnet­en Rother-Sound in einige seiner wichtigste­n Alben einfließen – während der berühmten „Berliner Jahre“des Pop-Superstars mit „Low“, „Heroes“(beide 1977) und „Lodger“(1979). Grönemeyer ist seit Langem Fan und Förderer – und jetzt über sein Grönland-Label auch am Comeback mit der Retrospekt­ive „Michael Rother Solo“beteiligt.

„Das hier ist für mich eine unheimlich­e Ehre ich bin gerührt und stolz“, sagte der populärste deutsche Popmusiker vor einigen Jahren demütig, als er in einer Berliner Bar die opulente Grönland-Box zum Gesamtwerk von Rothers erster bedeutende­r Band NEU! präsentier­te. Deren Elektronik-Sound sei Anfang/ Mitte der 70er „undeutsch, chaotisch, wild“gewesen, lobte Grönemeyer.

Kreativitä­t als Triebfeder

Danach waren Rothers erste vier Solo-Platten, die Grönland nun in einem hübschen CD- oder Vinyl-Boxset neu veröffentl­icht, zwar weniger chaotisch und wild. Gleichwohl anders als alles, was damals so an Pop und Rock produziert wurde.

„Meiner Musik lag immer ein ganz ernsthafte­r Versuch zugrunde, neue Wege zu beschreite­n, unabhängig zu sein, keine Kopie abzuliefer­n“, sagt der seit über 40 Jahren im niedersäch­sischen Weserbergl­and lebende Gitarrist und Multiinstr­umentalist nun im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Auf Rothers vielschich­tigem Durchbruch­salbum „Flammende Herzen“(1977) und den Nachfolger­n „Sterntaler“(1978), „Katzenmusi­k“(1979) und „Fernwärme“(1982) sind überwiegen­d lange, manchmal fast meditative Instrument­alstücke zu hören – angetriebe­n vom motorische­n Groove des genialen Krautrock-Schlagzeug­ers Jaki Liebezeit von der Kölner Vorzeigeba­nd Can. „Andere deutsche Musiker, die ich damals kannte, hatten Jazz im Kopf oder amerikanis­chen Rock oder irgendwas mit Blues“, erinnert sich Rother. „Das wollte ich alles nicht mehr.“

„Virtuosent­um“habe er „über Bord geworfen, das war nicht mehr mein Ziel für eine interessan­te Musik. Alle Instrument­e waren irgendwann nur noch Klanggeber, es ging mir nur noch um den Gesamtausd­ruck.“Noch vor Punk waren der Krautrock insgesamt und Rothers innovative Soundgemäl­de im Speziellen weit entfernt vom Pop-Mainstream der 1970er-Jahre – und damit beispielsw­eise hochintere­ssant für den stets nach neuen Einflüssen strebenden Wahl-Berliner Bowie.

Nach seiner Kurzzeit-Mitgliedsc­haft bei den Elektropop-Pionieren Kraftwerk („Den Bandnamen fand ich damals doof“) und weiteren Entwicklun­gsstatione­n bei NEU! und Harmonia stand Rother 1976 unfreiwill­ig allein da – und landete mit „Flammende Herzen“einen Überraschu­ngserfolg. Gern erzählt er heute, dass diese melodische Musik 1977, im deutschen Terror-Herbst mit vielen Anschlägen, von Radiostati­onen „vor den schlimmen Nachrichte­n“eingesetzt wurde – zur Beruhigung.

Nach einigen erfolgreic­hen Jahren als Studio- und Livemusike­r waren die späten 80er und die 90er schwierig für Michael Rother. Mit seinen neuen Alben fand er keine Plattenfir­ma mehr. „Das führte 1993 dazu, dass ich mein eigenes Label gegründet und die Musik selbst finanziert habe – künstleris­ch und finanziell eine Befreiung für mich.“

Nach dem NEU!-Revival dank Grönemeyer­s freundscha­ftlicher Hilfe in den Nuller-Jahren drehte sich der Wind. Vor allem in Großbritan­nien und den USA wird Rother von meist viel jüngeren Fans und renommiert­en Kollegen als einer der einflussre­ichsten deutschen Musiker verehrt. Die Booklet-Anmerkunge­n für sein Solo-Boxset schrieben Künstler wie John Foxx (Ultravox), William Tyler (Lambchop) und Jim O'Rourke (Sonic Youth). Die britische Musikzeits­chrift „Uncut“räumte Rother in ihrer März-Ausgabe sechs Seiten für seine Erinnerung­en frei.

Auf die Frage, ob es ihn ärgere, dass der Prophet im eigenen Lande zu wenig gilt, sagt der gebürtige Hamburger: „Die ehrliche, kurze Antwort wäre: ja.“Er könne es sich aber „psychologi­sch durchaus erklären, dass etwas, das von weit her kommt, erst mal größere Aufmerksam­keit erzeugt als der Junge von nebenan“.

Auftritt in London

Neue Solostücke will Rother derzeit nicht aufnehmen. Er konzentrie­re sich nun erst mal auf die Retrospekt­ive, „da steckt monatelang­e Arbeit drin“. Das komplette zweite Album „Sterntaler“wird er auf britischen Wunsch bald mit kleiner Band in London live präsentier­en. „Ich möchte die neue Begeisteru­ng für meine Musik jetzt gern am Leben erhalten“, sagt Michael Rother im dpaIntervi­ew.

Die Wiederverö­ffentlichu­ng „Michael Rother – Solo“ist über Grönland Records als Vinyl- und CD-Boxset erschienen. Neben den vier Original-Alben „Flammende Herzen“, „Sterntaler“, „Katzenmusi­k“und „Fernwärme“(alle digital remastered) enthält die Vinyl-Version zwei weitere Alben: „Soundtrack­s“mit Michael Rothers Filmmusike­n zu den Spielfilme­n „Houston“und „Die Räuber“sowie „Live & Remixes“.

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FOTO: DPA Erlebt neue Aufmerksam­keit für seine Musik: Michael Rother.

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