Eine Chance für die Vernunft
In der Brexit-Politik gibt es plötzlich Bewegung. Premierministerin Theresa May sprach am Dienstag im Unterhaus erstmals von einer Verschiebung. Am Vorabend hatte die Labour-Opposition unter ihrem EU-skeptischen Chef Jeremy Corbyn klargemacht: Unter Umständen würden die Sozialdemokraten für eine zweite Volksabstimmung eintreten und den Verbleib im Brüsseler Club anstreben.
Beide Kurskorrekturen haben die britische Brexit-Debatte entscheidend verändert, obwohl beide in der Parteipolitik begründet sind. Mehrere Ministerinnen und Staatssekretäre hatten May damit gedroht, einer zeitweiligen Entmachtung der Regierung durch das Parlament zuzustimmen. Dabei geht es um die Vermeidung des chaotischen Brexits ohne Austrittsvereinbarung. Bei Labour zeigt der Austritt von neun Fraktionsmitgliedern Wirkung. Deren Argument, wonach der weit links stehende Corbyn als Premierminister ungeeignet sei, scheint beim Wähler zu verfangen.
Dass Corbyn und sein kluger Brexit-Sprecher Keir Starmer nun mit einem neuerlichen Referendum winken, könnte die konservativen Ultras zum Nachdenken bringen, die sich bisher dem Austrittsvertrag verweigern. Denn zunehmend deutlich wird: Wenn die Brexit-Befürworter nicht bald den von May ausgehandelten Deal unterstützen, stehen sie am Ende mit leeren Händen da.
Beide Seiten sind auf deprimierende Weise ihren engen parteipolitischen Zielen verhaftet, vom nationalen Interesse ist höchstens in Spottform die Rede. Dabei bleibt für den kühlen Beobachter ganz klar: Am besten für alle Beteiligten wäre ein Verbleib der global aufgestellten, mit einem Sitz im UN-Sicherheitsrat ausgestatteten siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt in der EU.
Labour und Torys haben viel zu lange gebraucht, um Schaden von ihrem Land und Europa abzuwenden. Wenn die Kursänderungen wenigstens dazu beitragen, das Chaos von Grossbritannien und den Nachbarn abzuwenden, ist schon viel erreicht. Sollte tatsächlich die Verhinderung des Brexit gelingen, umso besser.