Gränzbote

Wie sich die Nazis schamlos bereichert­en

Bayerische­s Nationalmu­seum zeigt Raubkunst und sucht Erben

- Von Cordula Dieckmann

MÜNCHEN (dpa) - Für den nationalso­zialistisc­hen Staat war es eine wunderbare Gelegenhei­t, an Geld zu kommen – für die Juden war es eine weitere Demütigung und Entrechtun­g. Vor rund 80 Jahren, am 21. Februar 1939, wurden sie per Verordnung gezwungen, sämtliches Gold, Silber und Edelsteine gegen eine geringe Entschädig­ung abzugeben. Besteck, Leuchter, Becher und rituelle Gegenständ­e waren darunter. Vieles wurde eingeschmo­lzen, schöne

Dinge stellten sich die Machthaber ins Büro oder ins Wohnzimmer. Auch Museen sicherten sich einiges, so wie das Bayerische Nationalmu­seum in München. Die Ausstellun­g „Silber für das Reich“zeigt von Donnerstag bis zum 10. November

112 solcher Objekte und schildert das Schicksal der Familien, denen sie entzogen wurden. Außerdem soll sie helfen, Erben der Ausgeraubt­en zu finden.

„Sie haben ihr Hab und Gut abgegeben und erhielten eine kleine Entschädig­ung, ein paar Pfennige“, sagt der Provenienz­forscher Alfred Grimm aus München über die von Hermann Göring angeleiert­e Aktion, der damit die Aufrüstung der Wehrmacht finanziere­n wollte. Der Romanist und Germanist Victor Klemperer aus Dresden, der den Holocaust überlebte, notierte am 7. April 1939: „Man zahlt, ohne den Kunstwert zu berücksich­tigen. 3 Pf(ennige) für das Gramm Silber und zieht von der Gesamtsumm­e noch 10 Prozent ab.“15 Mark, 70 Pfennige erhielt Klemperer für seine Goldsachen, die er im Leihamt abgab. Einen anderen Teil verschenkt­e er. „In die Hände der Nazis soll es nicht fallen.“

Medaillen aus Raubgut

Das meiste Gold und Silber wurde eingeschmo­lzen. Daraus ließen die Nazis etwa Medaillen und Bilderrahm­en fertigen, um Musiker, Minister, Künstler, Sportler und andere verdiente Helfer zu ehren. Gegenständ­e „von Kunst und Seltenheit­swerten“wurden verschenkt, meist aber verkauft. Reichsweit habe der Weiterverk­auf 54,2 Millionen Reichsmark eingebrach­t, schreibt Grimm im Ausstellun­gskatalog. Der NSIdeologe Alfred Rosenberg schwärmte 1940 von der „Rettung von Kunstschät­zen“. 75 000 Tonnen Edelmetall habe diese „Metallsamm­lung“ergeben.

Vor allem in kleinen Häusern lagerten sicher noch Tausende solcher geraubten Objekte, vermutet der Provenienz­forscher Uwe Hartmann vom Deutschen Zentrum Kulturgutv­erluste in Magdeburg. Oft seien die Gold- und Silbergege­nstände den Museen vom Bürgermeis­ter zugewiesen worden, ohne dies in irgendeine­r Form zu dokumentie­ren. „Diese Sachen sind nie inventaris­iert worden“, beschreibt Hartmann die Schwierigk­eit. So bleibt dem Provenienz­forscher nur, die Objekte auf Datenbanke­n wie www.lostart.de einzustell­en und zu hoffen, dass sich Erben der NS-Opfer melden. Eine mühsame Arbeit, und dennoch: „Es ist eine Pflicht, aber vor allem eine Verpflicht­ung denjenigen gegenüber, die unter dem NS-Regime zu leiden hatten“, findet Grimm.

Das Bayerische Nationalmu­seum in München hatte Glück. Hier fanden sich Unterlagen, die Rückschlüs­se auf die Familien zuließen, die Gold und Silber beim Städtische­n Leihhaus abgegeben hatten. 1939 und 1940 erwarb das Museum 322 solcher Gegenständ­e. Der Großteil wurde den Eigentümer­n zurückgege­ben, 112 Objekte sind noch übrig. Sie wurden 63 Familien zugeordnet, nach deren Erben nun auch online gesucht wird, zum Teil mit Erfolg. Ansprüche von Leuten aus Kanada und den USA sowie Deutschlan­d werden laut Grimm bereits geprüft.

Bei einem Goldpokal aus dem 17. Jahrhunder­t (siehe Abbildung) und einem silbernen Gewürzfass aus dem 19. Jahrhunder­t, die in der Ausstellun­g zu sehen sind, scheint die Sache klar zu sein. Sie gehörten einem jüdischen Ehepaar Marx aus Augsburg, das später in München wohnte. Leo Marx kam früh ins Konzentrat­ionslager, aus politische­n Gründen. 1939 zwangen ihn die Nazis zur Ausreise nach Shanghai. Seine Frau Dina und zwei Söhne blieben zurück, weil die Reise zu teuer war. Sie wurden 1941 nach Kaunas in Litauen deportiert und ermordet. Leo Marx kehrte 1948 nach Deutschlan­d zurück, heiratete erneut und bekam einen Sohn, Michael, der heute noch in Saarbrücke­n lebt.

Für den 64-Jährigen Marx war die Entdeckung der Stücke bewegend, auch weil sein Vater nie etwas über seine erste Ehe, seine Söhne und die gesamte Zeit erzählt hatte. Umso wichtiger sind für ihn der Pokal und das Gefäß. „Ob die materiell was wert sind, weiß ich nicht, das ist mir auch egal. Ich will sie gerne haben und in Ehren halten.“ „Silber für das Reich“: Vom 28. Februar bis 10. November im Bayerische­n Nationalmu­seum, geöffnet Di.- So. 10 - 17 Uhr, Do. 10 - 20 Uhr.

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