Gränzbote

Eine Frau unter Männern

Bissig, satirisch, sehr zeitgenöss­isch: Jia Zhang-kes „Asche ist reines Weiß“ist ein chinesisch­er Mafia-Film

- Von Rüdiger Suchsland

Seit er 2006 den Goldenen Löwen von Venedig gewann, gehört der 47-jährige Jia Zhangke zu den bedeutends­ten Vertretern des chinesisch­en Gegenwarts­kinos. In seinem neuen Film erzählt der Regisseur von einer kühlen, nur halb glückenden Amour fou, die sich über 18 Jahre erstreckt und so zu einem sensiblen, facettenre­ichen Porträt der Zeitgeschi­chte Chinas wird. Zudem kehrt der Regisseur hier wieder an den Dreischluc­hten-Staudamm zurück, den Schauplatz eines seines größten Erfolg, „Still Life“.

Eine Spielhölle. Männer spielen Mahjong. Gewalt steht im Raum. Nur eine einzige Frau bewegt sich souverän in dieser Männerwelt, sie heißt Qiao und ist jederzeit ganz Herrin der Situation. Das fällt ihr leicht, denn Bin, der Boss dieser Mafiarunde, ist ihr Freund. Kurz darauf gibt es Streit: Einer will geliehenes Geld von einem anderen, der leugnet, dass er es je lieh. Bin fragt nach, lässt den Leugner dann vor der alten Buddha-Statue schwören: Daraufhin gibt dieser die Wahrheit zu. Die alten Mythen funktionie­ren noch, erzählt diese Szene. Aus dem Off fällt im Gespräch das Datum: 2. April 2001.

Ein Porträt Chinas

Dann sehen wir den Mafiosi beim Feiern zu. Dazu läuft die Filmmusik von John Woos „The Killer“, die in China offenbar auch 30 Jahre später nach wie vor ein Hit ist. Und vielleicht auch als subtile Anspielung an das Jahr der Entstehung dieses Films: 1989, das Jahr des TiananmenM­assakers. „Wir sind alle Brüder“rufen sie – China im Aufbruch.

„Asche ist reines Weiß“zeigt eine Frau in einer Männerwelt. Eine Mafiabraut. In den ersten Minuten wird sie charakteri­siert: Qiao kommt aus der Provinz, ihr Vater ist ein Gewerkscha­ftsführer. Qiao ist hart, sie kann kämpfen. Ohne Waffen. Und sie kämpft für ihren Freund, den Gangsterbo­ss Bin. Aber sie hat eher konvention­elle Träume, sie will Familie mit Bin, Sicherheit, aus der Stadt herauszieh­en.

Der erste Teil des Film ist der gewisserma­ßen idyllische, romantisch­e. Getränkt in Nostalgie für die Jahre des Aufbruchs und der Unschuld, die Neunziger in China. Die doch seit Tiananmen auf Blut gebaut sind. Der Film zeigt zunächst den Alltag des Gangsterle­bens: Wir sehen Chinesen in einer Disco tanzen, alte Hongkong-Filme anschauen. Wir erleben, wie die Mafia mit Immobilien handelt, und bekommen eine vage Ahnung vom Boom jener Jahre. Wir sehen Qiao und Bin, wie sie sich bei einem Spaziergan­g unterhalte­n, beim Blick über ein Tal auf einen Vulkan. Es wird das entscheide­nde Gespräch dieses Films. „Genieß den Moment“, rät er. Sie reden über die Waffe. Bin weiß: „Männer mit Waffen sterben zuerst.“Aber auch: „Für Leute wie uns heißt es immer nur töten oder getötet werden.“Was das sein soll, „Leute wie uns“, will sie wissen. Darauf er: „Jianghu – Unterwelt. Wo immer es Menschen gibt, gibt es Mafia.“

Ihr wird nichts geschenkt

Dann kommt der Tag, der beider Leben ein für allemal ändert. Qiao schießt dreimal in die Luft, um ihrem Freund das Leben zu retten. Es wir ihr zum Verhängnis. Quiao muss fünf Jahre in Haft. Dies ist auch ein Einschnitt im Film. Regisseur Jia Zhang-ke beschreibt, wie Qiao sich nach der Entlassung ihr Leben zurückholt, wie sie zu einer Jianghu, Unterwelt, wird und wie sie merkt: Einer Frau wird nichts geschenkt.

Im Einzelnen ist „Asche ist reines Weiß“ein bissiger und satirische­r Film. Er erzählt vom rohen Kapitalism­us, der bekanntlic­h nicht nur in China dominiert. Indem er 2001 beginnt, und 2018 endet, zieht sein herausrage­nder Film eine Summe der ersten zwei Jahrzehnte unseres Jahrhunder­ts.

Asche ist reines Weiß. Regie und Buch: Jia Zhang-ke. Mit: Zhao Tao, Liao Fan, Zheng Xu, Casper Liang. Länge: 141 Minuten. FSK: ab 12 Jahren.

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FOTO: NEUE VISIONEN FILMVERLEI­H Qiao (Zhao Tao) rettet Bin (Liao Fan) das Leben und verliert dabei fast das eigene.

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