Gränzbote

„Landliebe“ist nur in Hochglanzm­agazinen „in“

- Gisela Stier aus Renquishau­sen

Zu unserer Berichters­tattung zum umstritten­en Seniorenko­nzept in Kolbingen und den damit geplanten baulichen Maßnahmen ereilte uns folgende Lesermeinu­ng.

„Wieder einmal soll ein intakter und schöner Ortskern zerstört werden. Wieso eigentlich? Man kann diese beiden alten Häuser auch erhalten. Man muss nicht einmal auf den Ausbau zum Mehrgenera­tionenhaus verzichten.

Bauernhäus­er waren schon immer Mehrgenera­tionenhäus­er. Meist haben die Altbauern im Erdgeschos­s gewohnt, Jungbauer und Bäuerin mit Nachwuchs im Obergescho­ss. Oft wohnten auch noch ledige oder verwitwete Verwandte dort mit.

Warum man also die beiden Häuser nicht so sanieren kann, damit sie zu Mehrfamili­enhäusern werden, z.b. mit abgeschlos­senen Wohnungen, kann ich nicht nachvollzi­ehen. In jedem Haus kann man mindestens vier Parteien unterbring­en. Die beiden Dachgescho­sse sind sicher auch ausbaufähi­g, z.B. für kleine Wohnungen für Azubis oder junge Paare. Auch die beiden Scheuern ließen sich zu Gemeinscha­ftsräumen oder einer Werkstatt/Laden ausbauen. Und die beiden Höfe können durchaus wieder teilweise mit Bauerngärt­en begrünt werden.

Auch kann man sicher ein Seniorenko­nzept in einem renovierte­n Haus umsetzen – dafür muss man ein altes Haus nicht abreißen.

Was ich in Kolbingen und vielen andern Dörfern sehe, ist mangelnder Mut und keinerlei Willen, alte und gute Bausubstan­z zu erhalten. Der lokalen Bautraditi­on wird leider keinerlei Wertschätz­ung entgegenge­bracht, stattdesse­n werden öde Bauklötze und Toskanahäu­ser in die Dörfer gesetzt.

Besonders traurig ist der kommende Abriss des kleinen, denkmalges­chützten Häuschens an der Hauptstraß­e, das man offensicht­lich mit voller Absicht hat verfallen lassen. Auch dafür hätte sich doch eine Nutzung finden lassen. Letzten Endes verkommen die Dörfer zu architekto­nisch austauschb­aren, langweilig­en oder lieblos zusammenge­würfelten Häuseransa­mmlungen.

„Landliebe“, „Landidee“und „Mein Ländle“sind halt nur in Hochglanzm­agazinen in. Statt immer noch mehr Flächen zu verbauen, sollte doch zumindest der Leerstand in den Dörfern beseitigt werden und Eigner sowie potentiell­e Käufer zusammenge­bracht werden.

Hier können auch die Kommunen gegensteue­rn. Aber lieber lässt man die alten Häuser leerstehen, bis sie nur noch abgerissen werden können. Dabei ist die Renovierun­g meist viel günstiger, geht schneller und ist ökologisch sinnvoller als der Abriss und Neubau. Ein schönes Gegenbeisp­iel ist das Bürgerhaus in Denkingen mit Veranstalt­ungsräumen und moderner Mediathek.

Bleibt zu hoffen, dass Kolbingen die Zerstörung des alten und schönen Ortskerns erspart bleibt. Es wäre unendlich schade um dieses imposante Gebäudeens­emble und den ganzen Platz. Man kann die Bausünden der 60er-, 70er- und 80er-Jahre nicht ändern – aber man muss sie auch nicht wiederhole­n.

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