„Landliebe“ist nur in Hochglanzmagazinen „in“
Zu unserer Berichterstattung zum umstrittenen Seniorenkonzept in Kolbingen und den damit geplanten baulichen Maßnahmen ereilte uns folgende Lesermeinung.
„Wieder einmal soll ein intakter und schöner Ortskern zerstört werden. Wieso eigentlich? Man kann diese beiden alten Häuser auch erhalten. Man muss nicht einmal auf den Ausbau zum Mehrgenerationenhaus verzichten.
Bauernhäuser waren schon immer Mehrgenerationenhäuser. Meist haben die Altbauern im Erdgeschoss gewohnt, Jungbauer und Bäuerin mit Nachwuchs im Obergeschoss. Oft wohnten auch noch ledige oder verwitwete Verwandte dort mit.
Warum man also die beiden Häuser nicht so sanieren kann, damit sie zu Mehrfamilienhäusern werden, z.b. mit abgeschlossenen Wohnungen, kann ich nicht nachvollziehen. In jedem Haus kann man mindestens vier Parteien unterbringen. Die beiden Dachgeschosse sind sicher auch ausbaufähig, z.B. für kleine Wohnungen für Azubis oder junge Paare. Auch die beiden Scheuern ließen sich zu Gemeinschaftsräumen oder einer Werkstatt/Laden ausbauen. Und die beiden Höfe können durchaus wieder teilweise mit Bauerngärten begrünt werden.
Auch kann man sicher ein Seniorenkonzept in einem renovierten Haus umsetzen – dafür muss man ein altes Haus nicht abreißen.
Was ich in Kolbingen und vielen andern Dörfern sehe, ist mangelnder Mut und keinerlei Willen, alte und gute Bausubstanz zu erhalten. Der lokalen Bautradition wird leider keinerlei Wertschätzung entgegengebracht, stattdessen werden öde Bauklötze und Toskanahäuser in die Dörfer gesetzt.
Besonders traurig ist der kommende Abriss des kleinen, denkmalgeschützten Häuschens an der Hauptstraße, das man offensichtlich mit voller Absicht hat verfallen lassen. Auch dafür hätte sich doch eine Nutzung finden lassen. Letzten Endes verkommen die Dörfer zu architektonisch austauschbaren, langweiligen oder lieblos zusammengewürfelten Häuseransammlungen.
„Landliebe“, „Landidee“und „Mein Ländle“sind halt nur in Hochglanzmagazinen in. Statt immer noch mehr Flächen zu verbauen, sollte doch zumindest der Leerstand in den Dörfern beseitigt werden und Eigner sowie potentielle Käufer zusammengebracht werden.
Hier können auch die Kommunen gegensteuern. Aber lieber lässt man die alten Häuser leerstehen, bis sie nur noch abgerissen werden können. Dabei ist die Renovierung meist viel günstiger, geht schneller und ist ökologisch sinnvoller als der Abriss und Neubau. Ein schönes Gegenbeispiel ist das Bürgerhaus in Denkingen mit Veranstaltungsräumen und moderner Mediathek.
Bleibt zu hoffen, dass Kolbingen die Zerstörung des alten und schönen Ortskerns erspart bleibt. Es wäre unendlich schade um dieses imposante Gebäudeensemble und den ganzen Platz. Man kann die Bausünden der 60er-, 70er- und 80er-Jahre nicht ändern – aber man muss sie auch nicht wiederholen.