„Gutachten dient der Versachlichung“
Landrat Stefan Bär zu Inhalten und dem Zeithorizont in der Klinikdebatte
SPAICHINGEN/TUTTLINGEN - Am 7. März wird der Kreistag über das weitere Vorgehen in Sachen Klinik in Spaichingen und damit auch Tuttlingen entscheiden. Regina Braungart hat sich mit Landrat Stefan Bär über den aktuellen Stand unterhalten.
Herr Bär, die Diskussion um die Schließung der wesentlichen Teile des Spaichinger Krankenhauses hat eine breite Diskussion ausgelöst: Hat diese Diskussion für Sie etwas inhaltlich verändert?
Dass es in einem Landkreis kaum ein emotionaleres Thema gibt als Klinikstrukturen, das wussten wir, und das hat dieser Prozess bestätigt. Ich nehme natürlich auch die Argumente, die vorgetragen wurden, ernst. Deshalb schlagen wir vor, das Konzept von Dr. Dapp in dem geplanten Gutachten mit zu bewerten. Das unterstreicht, dass wir auf Argumente eingehen. Meine Sorge ist, dass Entscheidungen in Teilbereichen jetzt notwendig wären. Und da fühle ich mich bestätigt durch die klare Positionierung der Ärzte und der Belegschaft.
Gibt es eine gemeinsame Position der Chefärzte?
Es gibt eine gemeinsame Positionierung der Chefärzte, die künftig Verantwortung tragen, die sich für diese Konzentration der akutmedizinschen Abteilungen am Standort Tuttlingen aussprechen. Das wird Teil der öffentlichen Kreistagsvorlage sein für den 7. März.
Immer wieder wird kritisiert, dass die Diskussion „nur aus Spaichinger Perspektive“geführt werde. Aber was ist die „Tuttlinger Perspektive“jenseits der Anpassungen, die die Verlagerungen mit sich bringt in Tuttlingen?
Man muss sagen, dass der Trend der Spezialisierung ungebrochen ist, dass wir auch künftig mit steigenden Qualitätsund regulatorischen Vorgaben rechnen müssen, und dass es wichtig ist, bestimmte Dinge in Tuttlingen zu konzentrieren. Zum Beispiel der Gastroenteorologie: Dass wir diese ausbauen und patientengerechter fortentwickeln können.
Mit Tuttlinger Perspektive meinen Sie also das, was Tuttlingen gewinnt an Angeboten und Qualität?
Wir müssen uns deutlich machen, dass es nicht darum geht, was Tuttlingen gewinnt und was Spaichingen verliert, sondern: Wie organisieren wir bestmöglich die Gesundheitsversorgung für die Patienten im Landkreis. Der Aspekt kommt mir teilweise in der Diskussion zu kurz. Es spricht viel dafür, die akutmedizinischen Bereiche unter einem Dach, Tür an Tür, interdisziplinär zu organisieren. Da liegt ein Mehrwert in der Behandlung und für die Patienten. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht in Spaichingen andere Formen der Gesundheitsversorgung geben wird. Lassen Sie mich aber auch klarstellen, dass die Sanierungen der OP-Säle in Tuttlingen mit dieser Diskussion nichts zu tun haben. Die standen sowieso seit Jahren auf der Agenda.
Gibt es nicht genannte Gründe, wie etwa das Personal insgesamt zu stabilisieren, indem man die Spaichinger mit nach Tuttlingen nimmt?
Das war nie meine Argumentation.
Gibt es für die von Ihnen und der Klinikgesellschaft gewünschte Struktur bereits Chefarztaspiranten auf die beiden spezialisierteren Inneren Abteilungen?
In der Kardiologie mit Herrn Dr. Kotzerke steht die Nachfolgesuche noch nicht an, und für die Gastroenteorologie sind wir auf der Suche.
Was ist dann der Grund, dass Sie sagen, dass aus personeller Sicht möglichst eine schnelle Entscheidung wünschenswert wäre?
Da geht es mir nicht primär um den künftigen Chefarzt, sondern um die Belegschaft als Ganzes. Die jetzige Situation belastet viele, es gibt Unruhe, und wir brauchen schnellstmöglich eine klare Perspektive für die Belegschaft.
Die vergebliche Chefarztsuche für Spaichingen wird immer wieder genannt. Die Klinikgesellschaft hat eine Anzeige aufgegeben und ansonsten einen Headhunter eingesetzt. Mit welchen Bedingungen haben Sie Spaichingen beworben? Dr. Kaiser hatte mir gesagt, dass er in Spaichingen für sich nicht die Perpektive gesehen hat, wie an der Stelle, wo er jetzt hingehen wird.
Was konkret in der Anzeige stand und was mit dem Headhunter besprochen wurde, das müssen Sie mit dem Geschäftsführer besprechen. Bei der Vorstellung Dr. Kaisers im Aufsichtsrat vor seiner Wahl auf der Basis eines ausverhandelten Vertrags klang es nicht so, als dass er in Spaichingen keine Perspektive sehen würde.
Wieso gelingt es in Sigmaringen, Chefarztstellen mit Bewerbern zu besetzen, die für alle drei Häuser zuständig sind?
Ich kann zu Sigmaringen nichts sagen und werde mich dazu nicht äußern.
Aber wäre das nicht eine Option gewesen, dass ein Tuttlinger Chefarzt die Verantwortung für Spaichingen mit übernimmt?
Da hat sich unser ärztlicher Direktor Dr. Kotzerke ja klar gaäußert, dass sdies nicht verantwortbar ist.
Stimmt es, dass, wenn jetzt kein Chefarzt gefunden wird, Spaichingen Ende des Jahres zugemacht und das Personal nach Hause geschickt werden muss, wenn Dr. Sauer geht? Welche Optionen gäbe es für das Szenario, dass man im Lauf des Jahres keinen Chefarzt findet?
Ich möchte mich nicht an Spekulationen beteiligen. Unser Ziel ist es, die medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten.
Aber es wurde doch immer gesagt, dass die Spaichinger Mitarbeiter hochgeschätzt sind, und Sie haben auch immer gesagt, dass überhaupt nicht zur Debatte steht, dass Menschen entlassen werden sollten. Wo kommen dann die Verunsicherung und die Dringlichkeit her?
Wenn Sie Abteilungen betreiben wollen, brauchen Sie verantwortliche Mediziner, also die Spitze. Und über die Spitze hinaus brauchen Sie das ganze Team, das dazu gehört, von den Oberärzten bis zu den Fachärzten bis zur Pflege. Unser Vorstoß hat das Ziel, die Dinge so zu gestalten, dass wir diese fragile Situation im Interesse der Mitarbeiter und der Patienten absichern können. Aber darüber hinaus wissen wir, dass die heutige Spitze spätestens Ende des Jahres gehen wird, und da muss man frühzeitig beginnen, die Nachfolge zu regeln. Kein Betrieb würde in so einer Situation einfach abwarten.
Da wären aber auch die Vorschläge Dr. Dapps und Dr. Groß’ eine Perspektive – dass die beiden Ärztinnen eine kleinere Innere in SpaiDie
Oberärztin Frau Dr. Bucher hat grundsätzlich ihre Bereitschaft erklärt, aber sie hat nicht definitv zugesagt. Wir brauchen dafür das medizinische Konzept und das notwendige Personal. Das alles wollen wir ergebnisoffen prüfen, fachlich unterlegen und wirtschaftlich bewerten und vor allem das Personaltableau bewerten.
Ich verstehe Sie so, dass Sie die Lage lieber klar entschieden hätten. Aber wenn Sie die Vorschläge Dr. Dapps und anderer Ärzte anschauen: Halten Sie die für zielführend?
Mein Vorschlag war, diese Vorschläge gutachterlich prüfen zu lassen und damit zu einer Versachlichung beizutragen. Ich werde mich also nicht im Vorfeld zu den Vorschlägen äußern.
Es geht ja auch um die Frage des Gutachterbüros. Es wird gemutmaßt, dass die Folien mit der Begrifflichkeit „Gesundheitscampus“für Spaichingen von einem bestimmten Gutachterbüro stammten, auf dessen Vorschlag woanders eine Klinik auf umstrittene Weise geschlossen wurde...
Nein, die in Spaichingen und Wehingen gezeigten Folien wurden von meiner Mitarbeiterin alleine erstellt.
Sie haben also noch kein bestimmtes Gutachterbüro im Blick?
Nein, ich habe noch kein bestimmtes Gutachterbüro im Blick. Ich bekomme natürlich jetzt viele Anfragen. Aber das Gutachterbüro wird nicht der Landrat oder der Geschäftsführer festlegen, sondern, nach der Ermächtigung durch den Kreistag, der Aufsichtsrat – so mein Vorschlag. Mir ist allerdings wichtig, dass wir ein Büro finden, das nicht nur rein stationär spezialisiert ist, sondern Gesundheit weiter, intersektoral denkt und auch Richtung ambulant, in den Blick nimmt.
Jenseits der vorgeschlagenen Konzepte nehme ich wahr, dass das Thema Notfallversorgung mit das Allerwichtigste für die Menschen ist: der 24-Stunden-Anlaufpunkt für die Bevölkerung. Und zwar nicht für den Teil, der 112 wählt, sondern jene, die sagen: Oh, ich habe seit gestern, Samstag, so einen Druck auf der Brust, da gehe ich doch lieber mal ins Krankenhaus. Sehen Sie in irgend einer Weise die Möglichkeit – vielleicht aufgerüstet mit einer kleinen Chirurgie -für die Platzwunde etwa –, dass eine Notaufnahme in Spaichingen erhalten bleiben kann?
Dass die Notfallversorgung eine ganz zentrale Frage ist, ist mir bewusst. Deshalb werden wir das Thema Notaufnahme in diesem Gutachten mit betrachten. Wenn das realistisch machbar wäre, und es geht dabei ja auch um die Köpfe, gehe ich davon aus, dass sich der Kreistag dem nicht verweigern würde. Eine Erstversorgung in Spaichingen wäre eine ideale Lösung, aber wir müssten dafür sorgen, dass es auch dauerhaft trägt, 24 Stunden, sieben Tage. Und das ist anspruchsvoll.
Gibt es – in welchem Kontext der Entwicklung auch immer – Überlegungen, das „Weltzentrum der Medizintechnik“für eine Spezialisierung in Tuttlingen einzubeziehen?
Wir werden im Landkreis Tuttlingen immer ein Haus der Grund- und Regelversorgung bleiben. Wir müssen uns anschauen: Was brauchen die Menschen in unserer Region, und fragen, was gibt es schon? Der Auftrag an die Gutachter wäre zu fragen: Welche Angebote und welche Lücken gibt es in der Region, wo kann man etwas aufbauen.
Seit Neuestem ist immer wieder mal von den alten Plänen eines zentralen gemeinsamen Neubaus die Rede. Was halten Sie davon?
Ich sehe niemanden, der das will. Es löst unser aktuelles Problem auch nicht.
Wenn es ein Gutachten gibt, wird eine inhaltliche Entscheidung erst in einem halben Jahr gefällt...
Die Entscheidung liegt beim Kreistag. Ich würde mir zumindest in Teilbereichen eine Entscheidung wünschen.
Und wenn es nicht passiert...
...ist es eine demokratische Entscheidung, aus der wir das Beste machen. Eine Verschiebung hat natürlich ein gewisses Risiko. Ich glaube, das Gutachten ist wichtig, um alle Vorschläge und Argumente aufzuarbeiten und transparent zu machen. Aber das Gutachten verändert die Rahmenbedingungen nicht und auch nicht das Problem der Personalgewinnung. Es wird zur Versachlichung dienen und daher eine gewisse Beruhigung bringen können.