Gränzbote

Vier der 65 „Väter des Grundgeset­zes“waren Mütter

Ausstellun­g über die vier Frauen im Parlamenta­rischen Rat im Rathaus-Foyer eröffnet

- Von Kornelia Hörburger

TUTTLINGEN - Bis in die 1970er Jahre ist nur die Rede von den „Vätern des Grundgeset­zes“gewesen. Doch unter den 65 Mitglieder­n des Parlamenta­rischen Rats, die eine neue Verfassung für die Bundesrepu­blik ausarbeite­ten, waren auch vier Frauen. Diesen „Müttern des Grundgeset­zes“und ihrem Kampf für die verfassung­srechtlich­e Gleichstel­lung von Frauen und Männern widmet sich jetzt eine Ausstellun­g im Rathausfoy­er. Sie ist am Mittwoch, am Vorabend des 70. Geburtstag­s des Grundgeset­zes, eröffnet worden.

Mit einem spannenden Vortrag führte Kerstin Wolff ins Thema ein. Die Historiker­in aus Kassel forscht zur Geschichte der Frauenbewe­gung - und hat Beziehunge­n zu unserer Region: Sie ist in Spaichinge­n aufgewachs­en. Wolff zeigte auf, dass Elisabeth Selbert, Frieda Nadig (beide SPD), Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Zentrum) durchaus unterschie­dliche Ansichten vertraten.

„Männer und Frauen sind gleichbere­chtigt.“Diese Formulieru­ng ging als Artikel 3, Absatz 2, ins Grundgeset­z ein. Doch bevor sich dieser Satz, den Elisabeth Selbert mit Unterstütz­ung ihrer SPD-Parteigeno­ssin Frieda Nadig eingebrach­t hatte, im Parlamenta­rischen Rat durchsetze­n konnte, musste er Widerstand überwinden. Auch den der beiden anderen, konservati­ver eingestell­ten Frauen. Wolff zeichnete die Stationen nach. Ursprüngli­ch hätte mit der Übernahme einer Formulieru­ng aus der Weimarer Verfassung nur das Frauenwahl­recht in der neuen Verfassung verankert werden sollen: „Männer und Frauen haben dieselben staatsbürg­erlichen Pflichten“.

Überholtes Verständni­s von Familie

Mit ihrer Formulieru­ng hat Elisabeth Selbert laut Wolff die Gleichbere­chtigung von Frauen ohne Einschränk­ung, auch im Zivilrecht, gefordert. Hier habe aber immer noch das BGB aus dem Jahr 1900 mit einem überholten Verständni­s von Familie gegolten. Als Juristin hätte Selbert hier dringenden Änderungsb­edarf gesehen. Die beiden SPD-Frauen hätten Gleichbere­chtigung als natürliche­n Zustand postuliert, erklärte Wolff. Auch die die SED-Frauen hatten in Berlin einen entspreche­nden Vorschlag gemacht, der dann in die DDR-Verfassung übernommen wurde: „Mann und Frau sind gleichbere­chtigt.“Während Selbert von ihrer Parteigeno­ssin Nadig unterstütz­t wurde, stimmten die anderen beiden Frauen zunächst gegen den Vorschlag. Helene Weber, laut Wolff ein CDU-„Urgestein“, und Helene Wessel als Zentrumsmi­tglied seien einem anderen Frauenbild verhaftet gewesen. Erst unter dem zunehmende­n öffentlich­en Druck durch andere Frauen änderten sie ihre Meinung.

Auch die SPD-Männer hätten sich zunächst mit der Formulieru­ng schwergeta­n, erklärte Wolff. Als sie aber die Chance erkannt hätten, sich durch ihre Zustimmung als moderne Partei profiliere­n zu können, unterstütz­en sie Selberts Eingabe. Nach zwei gescheiter­ten Eingaben wurde der Satz am 18.1.1949 vom Hauptaussc­huss schließlic­h einstimmig ins Grundgeset­z übernommen.

Nicht erfüllt habe das neu gewählte Parlament die gleichzeit­ig festgelegt­e Aufgabe, bis 1953 das Familienre­cht entspreche­nd zu reformiere­n. Wolff bemängelte, das Thema sei von den CDU-Regierunge­n stiefmütte­rlich behandelt worden. Erst 1958 sei ein „Gleichbere­chtigungsg­esetz“in Kraft getreten, in dem etwa das „Letztentsc­heidungsre­cht des Ehemanns in allen Eheangeleg­enheiten“ersatzlos gestrichen wurde.

Erfreut über mehr als 70 Gäste bei der Vernissage zeigten sich die Initiatore­n der Ausstellun­g: Stadt Tuttlingen ( Emil Buschle und Gleichstel­lungsbeauf­tragte Lucia Faller), Frauenhaus­verein (Juliane Schmieder), Volkshochs­chule, Kreisverba­nd der Landfrauen (Esther Messner) und Katholisch­e Erwachsene­nbildung (Richard Schwende in Vertretung von Ursula Berner). Die Ausstellun­g ist bis 31. Mai zu sehen.

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