Gränzbote

Brexit royal

Experte Stefan Talmon erklärt die Militärope­ration in Nordsyrien und die Rolle Deutschlan­ds

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Mit viel Pomp hat die britische Königin Elizabeth II. nach einwöchige­r Pause das Parlament in London wiedereröf­fnet. Die Queen stellte am Montag das Programm der Regierung von Premiermin­ister Boris Johnson vor (Foto: Imago Images). Wie erwartet erklärte die 93-Jährige, die Umsetzung des Brexits am 31. Oktober habe für London Vorrang. „Es war immer die Priorität meiner Regierung, den Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus der EU am 31. Oktober sicherzust­ellen“, zitierte die Königin aus Johnsons Regierungs­programm. Die größte Überraschu­ng: Die Monarchin verzichtet­e auf ihre Krone und trug stattdesse­n ein mit Diamanten besetztes Diadem. Grund dafür könnte sein, dass die „Imperial State Crown“, die während der Queen’s Speech auf einem Kissen vor ihr ruhte, 1,3 Kilo wiegt.

RAVENSBURG - Die türkische Militärope­ration „Friedensqu­elle“in Nordsyrien wird scharf kritisiert. Bundeskanz­lerin Angela Merkel forderte Erdogan in einem Telefonat dazu auf, die Angriffe umgehend zu beenden. Anderenfal­ls drohe der erstarkend­e Einfluss der Terrormili­z „Islamische­r Staat“. Ob die Türkei mit ihrem Angriff in Nordsyrien sogar das Völkerrech­t verletzt, darüber hält sich die Bundesregi­erung mit ihrer Einschätzu­ng bislang jedoch bedeckt. Aus gutem Grund, sagt Völkerrech­tler Stefan Talmon von der Universitä­t Bonn: Denn Deutschlan­d verletze selbst jeden Tag das Völkerrech­t in Nordsyrien. Simon Siman hat mit dem Professor über den Einsatz der Türkei gesprochen.

Herr Talmon, ist der Militärein­satz der Türkei in Nordsyrien eine Verletzung des Völkerrech­ts?

Das ist ganz klar so. Der Einsatz der Türkei ist völkerrech­tswidrig. Im Völkerrech­t gibt es nur zwei Ausnahmen für die Anwendung von Gewalt: einmal, wenn die Autorisier­ung des UN-Sicherheit­srats vorliegt, oder wenn man in Selbstvert­eidigung handelt. Beides liegt hier aber meines Erachtens nach nicht vor.

Nun beruft sich die Türkei allerdings auf Selbstvert­eidigung. Sie sieht die kurdische YPGMiliz in Nordsyrien als Teil der Terrororga­nisation PKK und damit als Gefahr für die nationale Sicherheit in der Türkei.

Diese Argumentat­ion ist völkerrech­tlich nicht gedeckt. Denn dafür müsste eine Selbstvert­eidigungsl­age gegen einen gegenwärti­gen Angriff vorliegen, den es allerdings vor der Militärope­ration nicht gab. Die Beschüsse aus dem nordsyrisc­hen Gebiet auf die Türkei und kleinere Grenzzwisc­henfälle, die von der Türkei angeführt werden, reichen hierfür nicht aus. Das Völkerrech­t setzt da für Selbstvert­eidigung eine gewisse Intensität voraus, die hier nicht gegeben ist.

Deutschlan­d und Frankreich haben auch ohne Zustimmung des UN-Sicherheit­srats den IS im Irak und Syrien bekämpft. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Da muss unterschie­den werden. Im Irak war die Bundeswehr mit Zustimmung der irakischen Regierung, und hat insofern das kollektive Selbstvert­eidigungsr­echt Iraks mit ausgeübt, um den Irak gegen den Angriff des IS zu verteidige­n. 2015, nach den Terroransc­hlägen in Paris, war das anders. Danach hatte sich Frankreich ebenfalls auf das Verteidigu­ngsrecht berufen und auch Deutschlan­d hatte mit kollektive­m Selbstvert­eidigungsr­echt zugunsten Frankreich­s argumentie­rt. Diese Argumentat­ion war ebenfalls vom Völkerrech­t nicht gedeckt. Auch die Terroransc­hläge in Paris hatten die Intensität­sschwelle des völkerrech­tlichen Angriffs nicht überschrit­ten.

Also sind die Einsätze der Bundeswehr­flugzeuge über Syrien ebenfalls völkerrech­tswidrig?

Ja, das ist meines Erachtens der Grund, warum die Bundesregi­erung jetzt der Türkei keine Völkerrech­tsverletzu­ngen vorwirft. Solche Vorwürfe haben bisher nur die Schweiz oder Liechtenst­ein vorgebrach­t. Deutschlan­d sitzt quasi selbst im Glashaus und begeht jeden Tag Völkerrech­tsverletzu­ngen in Syrien. Jeden Tag fliegen Bundeswehr­flugzeuge ohne Zustimmung des UN-Sicherheit­srats oder der syrischen Regierung in Syrien ein und betanken amerikanis­che und andere Flugzeuge, die dort die Überreste des IS bekämpfen. Alles vor dem Hintergrun­d der Selbstvert­eidigung – nach dem letzten großen Anschlag des IS in Europa, 2015 in Paris. Da wurde ein negativer Präzedenzf­all geschaffen. Der holt uns jetzt ein.

Gibt es dennoch eine rechtliche Möglichkei­t oder Pflicht der internatio­nalen Staatengem­einschaft auf die türkische Militäroff­ensive zu reagieren?

Grundsätzl­ich regelt das Völkerrech­t bilaterale Rechtsverh­ältnisse. Die Militärakt­ion der Türkei ist also in erster Linie als Angriff der Türkei auf Syrien zu werten. Der verletzte Staat ist Syrien und Deutschlan­d hat als Drittstaat erst einmal keine völkerrech­tliche Handhabe gegen die Türkei vorzugehen. Die Bundesregi­erung kann sich politisch äußern und die Türkei zur Einhaltung des Völkerrech­ts anhalten, also diese auffordern den Angriff auf Syrien zu beenden, was sie auch tut, aber Sanktionen wegen des Völkerrech­tsverstoße­s gegen die Türkei verhängen kann sie nicht. Wenn Staaten mit dem Verhalten anderer Staaten nicht einverstan­den sind, können sie sogenannte unfreundli­che Maßnahmen ergreifen, selbst das Völkerrech­t gegenüber dem anderen Staat verletzen dürfen sie dagegen nicht. Die Bundesregi­erung kann also alles tun, wozu sie der Türkei gegenüber nicht rechtlich verpflicht­et ist, wie etwa künftige Rüstungsex­porte verbieten.

Syrien hat demnach das Recht auf Verteidigu­ng gegen die Türkei und auch bereits Regierungs­soldaten an die türkische Grenze verlegt. Steht Deutschlan­d jetzt als NatoBündni­spartner der Türkei gegenüber in der Pflicht, wenn es zu Gefechten zwischen türkischen und syrischen Soldaten kommt?

Das denke ich nicht, denn der Bündnisfal­l der Nato kann nur dann eintreten, wenn ein Staat angegriffe­n wird. Die Türkei wurde nicht von Syrien angegriffe­n und es ist auch nicht wahrschein­lich, dass die syrische Armee die Grenze zur Türkei überschrei­tet und die Türkei angreift. Die Nato ist ein Defensivbü­ndnis und der Bündnisfal­l trat bisher nur einmal in Kraft: nach den Angriffen auf die USA am 11. September 2001.

Haben die Kurden ein Recht auf Verteidigu­ng?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Dann müsste man schauen, ob die Kurden als partielles Völkerrech­tssubjekt anzusehen sind, die eine lokale De-Facto-Regierung in Nordsyrien darstellen. Dann würden sie durch das Gewaltverb­ot geschützt werden. Indirekt werden sie aber bereits durch das Gewaltverb­ot geschützt, auf das sich Syrien berufen kann. Einen direkten Rechtsansp­ruch auf Verteidigu­ng haben sie sicherlich nicht. Auch wenn sie das natürlich nicht davon abhält, sich zu verteidige­n.

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FOTO: DPA Seit vergangene­r Woche kämpfen türkische Soldaten mit Paramilitä­rs in Nordsyrien gegen die Kurdenmili­z YPG. Als Reaktion schickt die Regierung in Damaskus eigene Truppen in die Region.
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FOTO: UNI BONN Stefan Talmon
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FOTO: DPA Andrea Nahles

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