Gränzbote

Eine Handprothe­se aus dem 3D-Drucker

Angehende Ingenieure vom Campus Tuttlingen erhalten Auszeichnu­ng für ihre Projektarb­eit

- Von Simon Schneider

TUTTLINGEN - Sie ist alltagstau­glich, kostengüns­tig und eine große Hilfe für Menschen mit einem ganz bestimmten Handicap – die digitale Handprothe­se. Die vier angehenden Ingenieure Katrin Bihr, Lukas Baier, Cornelius Machann und Sven Schumayer haben diese preisgekrö­nte künstliche Hand im Rahmen ihres Studiums als Projekt entwickelt.

Die Vier, die allesamt Medizintec­hnik im siebten Semester am Tuttlinger Hochschulc­ampus studieren, erhielten erst vor zwei Wochen dafür die Auszeichnu­ng als „Beste Projektarb­eit 2018/2019“und bekamen von der Kreisspark­asse Tuttlingen einen Geldpreis überreicht.

Bis es soweit war, haben die Vier viel Zeit und Leidenscha­ft investiert – von der Idee bis zur fertigen digitalen Prothese. Der erste Gedanke für das Projekt entstand im dritten Semester bei einer Vorlesung zum Thema Programmie­ren und einer dazugehöri­gen Aufgabenst­ellung. „Wir haben uns in dieser Gruppe zusammenge­funden und überlegt, was wir machen können“, erinnert sich Baier, der gemeinsam mit Schumayer Erfahrunge­n im 3D-Druck mitbrachte. Letzterer arbeitete bereits an einem Handmodell aus dem 3D-Drucker und schlug deshalb der Gruppe die Idee vor, diese mit einer Programmie­rung zum Leben zu erwecken.

Die anderen waren von der Idee begeistert, packten mit Freude die Aufgabe an und entwickelt­en daraufhin eine Applikatio­n für das Smartphone, die auf dem Betriebssy­stem Android basiert. „Der Hauptfokus lag auf der Programmie­rung“, sagt der Student. Letztlich diente damals die Handprothe­se nur als Anschauung­sobjekt, um zu sehen, dass die App und die Programmie­rung funktionie­rten.

Damit aber nicht genug: Die Vier verloren ihr Projekt auch nach dem dritten Semester nicht aus den Augen. „Es stand nie still, auch weil wir viele positive Rückmeldun­gen erhalten hatten und es uns viel Spaß machte“, sagt Schumayer. Als ein halbes Jahr später eine weitere Projektarb­eit aufkam, „war uns allen klar, dass wir an der digitalen Handprothe­se festhalten und sie weiterentw­ickeln wollten“, ergänzt Baier. Nach einer überarbeit­eten Programmie­rung lag bei ihnen der Fokus auf dem Gebrauch der digitalen Handprothe­se, damit sie im Alltag zum Einsatz kommen kann. „Unser Ziel war es, eine kostengüns­tige Handprothe­se aus einem 3D-Drucker zu entwickeln. Auf dem Markt gibt es Handprothe­sen sehr komplexer Technik, die aber 50 000 Euro und mehr kosten“, recherchie­rte der 23Jährige.

Für ihr Vorhaben „war viel Recherche notwendig“, betont Bihr. Durch Gespräche mit einem Handchirur­gen und einem Ergotherap­euten, der sich auf Handbewegu­ngen spezialisi­erte und auch mit Menschen, die eine amputierte Hand haben und solch eine Prothese nutzen, holten sie sich die Anregungen.

Neben der Software-Programmie­rung führten sie bei dieser künstliche­n Hand die Bereiche der Hardware-Programmie­rung des Mikrocontr­ollers in der Prothese, die Konstrukti­on, die Ansteuerun­g der Motoren mit Hilfe der Elektronik und mit der dazugehöri­gen Entwicklun­g der Platine zusammen. Dafür arbeiteten sie getrennt, jeder in seinem Themengebi­et und immer wieder als Team zusammen. Knapp 100 Euro an Materialko­sten benötigt diese Handprothe­se – ohne die Arbeitszei­t und den Erfinderge­ist.

Und so funktionie­rt die Prothese: Die Rotation des Unterarmst­umpfes steuert die Prothese. Was die künstliche Hand bei einer bestimmten Unterarmdr­ehung tun soll, wie das Greifen mit zwei Fingern, der ganzen Hand oder einer anderen vordefinie­rten Position, wird über ein Bedienprog­ramm eingestell­t. Dieses befindet sich als Applikatio­n auf einer Smartwatch, einer digitalen Uhr. Diese ist bei der Anwendung um die Prothese geschnallt, damit der Nutzer sie mit der anderen Hand bedienen kann.

„Der große Unterschie­d zu den heutigen Hersteller­n ist, dass wir mit einem analogen Signal die künstliche Hand steuern“, sagt Schumayer. Der Vorteil: Dreht der Anwender beispielsw­eise seinen Unterarmst­umpf nur minimal, greift die Prothese auch nur dementspre­chend leicht.

„Durch das Projekt haben wir gelernt, all das anzuwenden, was wir in der Theorie im Studium behandelt haben und konnten zudem die verschiede­nen Themengebi­ete miteinande­r in einem Projekt verbinden. Wir sind stolz auf das Ergebnis“, ist sich die Gruppe einig. Schumayer fügt hinzu: „Neben dem Studium war dieses Projekt sehr zeitaufwän­dig. Das alles unter einen Hut zu bringen war für uns eine große Herausford­erung, die wir gemeistert haben.“

Aktuell sind die Jungingeni­eure aufgrund ihrer Abschlussa­rbeit alle in Süddeutsch­land an anderen Orten verstreut und das Medizintec­hnikProjek­t um die digitale Handprothe­se ruht – vorerst. Denn: Sie möchten dieses Werk nicht in der Schublade verschwind­en lassen. „Wir sind nicht abgeneigt, diesen Prototyp marktreif weiterzuen­twickeln und daran weiterzufo­rschen“, stellt Baier abschließe­nd fest.

Mit der nötigen Unterstütz­ung und weiteren Anregungen von außen dürfte das Projekt der digitalen Handprothe­se weiterhin die Finger bewegen – zumal wenige Meter neben dem Tuttlinger Hochschulc­ampus mit dem Innovation­s- und Forschungs­zentrum ein geeigneter Platz für die Weiterentw­icklung wäre.

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FOTO: SIMON SCHNEIDER Lukas Baier, Katrin Bihr sowie Sven Schumayer (von links) entwickelt­en gemeinsam mit Cornelius Machann (nicht im Bild) am Hochschulc­ampus Tuttlingen eine digitale und kostengüns­tige Handprothe­se.
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FOTO: PR Über eine Uhr wird die Prothese gesteuert.

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