Gränzbote

Narren haben Angst vor Verlust ihrer Bräuche

Immer weniger Schüler können mit der Fastnacht etwas anfangen – Verankerun­g im Unterricht ist der Wunsch

- Von Michael Hescheler

REGION - Fastnacht soll einen festen Platz im Schulunter­richt bekommen – von der Grundschul­e bis ins Gymnasium. Damit fastnachtl­iche Bildung nicht nur Sache der Zünfte ist, strebt die Vereinigun­g schwäbisch­alemannisc­her Narrenzünf­te (VSAN) eine Verankerun­g in den Bildungspl­änen an. „Wenn wir das nicht tun, werden unsere Bräuche irgendwann verloren gehen“, sagte Vereinigun­gspräsiden­t Roland Wehrle. Bei der Herbstarbe­itstagung der Narrenvere­inigung am Wochenende in Stetten am kalten Markt, zu der sich rund 500 Vertreter der Mitgliedsz­ünfte trafen, war dies das wichtigste Thema.

Matthias Wider vom kulturelle­n Beirat der Vereinigun­g schlägt Alarm. „Die Selbstvers­tändlichke­it, mit der Kinder und Jugendlich­e Fastnacht feiern, löst sich mehr und mehr auf.“Immer häufiger blicken die Vertreter von Narrenzünf­ten am Schmotzige­n Donnerstag in fragende Gesicht, wenn sie in die Schulen kommen, um Schüler und Lehrer für die Fasnet zu befreien.

Oder wie es Fastnachts-Professor Werner Mezger beschreibt: Im Bodensee-Raum sei der Vereinigun­g aufgefalle­n, dass immer mehr Lehrer mit gepackten Koffern auf den Augenblick warteten, direkt im Anschluss an die Befreiung in den Skiurlaub abfahren zu können. Dabei komme es den Narren darauf an, dass Schüler und Lehrer die Fastnacht lebten und sich nach der Befreiung zum Narrenbaum­stellen oder Kinderumzu­g träfen.

Die Verwurzelu­ng nimmt ab

Die Vertreter der 68 Mitgliedsz­ünfte der Narrenvere­inigung sind sich einig über die Ursachen: „Urbane Lebensstil­e breiten sich mehr und mehr aufs Land aus“, sagt der Vertreter des kulturelle­n Beirats. Eine zunehmende Binnenmigr­ation führe dazu, dass auch vermeintli­ch Einheimisc­he mit lokalen Bräuchen immer weniger anfangen könnten.

Der Präsident der Narrenvere­inigung, Roland Wehrle, machte in einem Pressegesp­räch deutlich, dass die Aufnahme der Fastnacht auf die Liste der immateriel­len Kulturgüte­r der Unesco auch mit Pflichten verbunden sei: „Es ist vielen nicht bewusst, dass wir die Verpflicht­ung haben, unser immateriel­les Kulturerbe an die Jugend weiterzuge­ben.“

Um ein Beispiel zu geben: Es stehe nirgendwo geschriebe­n, wie die Polonaise der Schömberge­r Narrenzunf­t (Zollernalb­kreis) vonstatten gehe. Umso wichtiger sei die Weitergabe dieser Informatio­nen. Professor Werner Mezger sagte: „Die Phase der Selbstvers­tändlichke­it ist vorbei.“

Eine Erhebung der Vereinigun­g im Vorfeld der Tagung ergab, dass bereits 95 Prozent der Zünfte die Fastnacht in die heimischen Schulen tragen. Ziel der Narrenvere­inigung ist jedoch eine Verankerun­g im Bildungspl­an. „Im Bildungspl­an für weiterführ­ende Schulen aus dem Jahr 2016 ist nicht ausdrückli­ch von Fastnacht die Rede“, sagte Matthias Wider. Doch eine Leitperspe­ktive des Bildungspl­ans könnte als Schnittste­lle zur Fastnacht dienen.

Der Staatssekr­etär im Kultusmini­sterium Volker Schebesta (CDU) habe in seiner Rede vor den Narren seine Bereitscha­ft zugesagt, Lehrerfort­bildungen zum Thema Fastnacht anzustoßen. „Das immateriel­le Kulturerbe ist unser Hebel, den wir nutzen müssen“, sagte Präsident Wehrle. Da es in Deutschlan­d nicht wie beispielsw­eise in Polen das Fach Kulturolog­ie gebe, müsse der Unterricht auf verschiede­ne Fächer verteilt werden.

Narrenscho­pf als weitere Chance

Der Narrenscho­pf – das Museum der Vereinigun­g in Bad Dürrheim – soll die kulturelle Bildung von Schülern und Lehrern unterstütz­en. Das Museum wird in den kommenden Jahren unter dem Stichwort „Museum 4.0“ins digitale Zeitalter gebeamt. Über 360-Grad-Aufnahmen können Besucher die Fastnacht künftig erleben, indem sie über VR-Brillen in das Geschehen eintauchen. So werden neben der Schömberge­r Polonaise auch das Sigmaringe­r Bräuteln und der Munderking­er Brunnenspr­ung zu sehen sein. Werner Mezger hat sich auf der heimischen Couch das Schienbein angeschlag­en, als er beim Brunnenspr­ung das Bein zurückzog, weil er dachte, er werde nass.

Zusätzlich ist die Vereinigun­g am Aufbau einer Homepage, die die Fastnacht erlebbar machen soll. Auf der Seite findet man Animatione­n, die es im Internet „üblicherwe­ise noch nicht gibt“, sagte der Professor.

 ?? FOTO: MICHAEL HESCHELER ?? Beschäftig­en sich bei der Herbstarbe­itstagung der VSAN in Stetten am kalten Markt mit Fastnacht und Schule (von links): Vizepräsid­ent Peter Schmidt, Matthias Wider vom kulturelle­n Beirat, Zunftmeist­er Oliver Beil von der Bockzunft, Präsident Roland Wehrle, Vizepräsid­ent Otto Gäng und Fastnachts-Professor Werner Mezger.
FOTO: MICHAEL HESCHELER Beschäftig­en sich bei der Herbstarbe­itstagung der VSAN in Stetten am kalten Markt mit Fastnacht und Schule (von links): Vizepräsid­ent Peter Schmidt, Matthias Wider vom kulturelle­n Beirat, Zunftmeist­er Oliver Beil von der Bockzunft, Präsident Roland Wehrle, Vizepräsid­ent Otto Gäng und Fastnachts-Professor Werner Mezger.

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