Gränzbote

Die Sehnsucht nach Ursprüngli­chkeit

Naturweine aus Deutschlan­d sieht man immer häufiger in Weinläden und auf Speisekart­en

- Von Annette Meinke-Carstanjen

FREIBURG/KÖLN (dpa) - Bio, Demeter und Handarbeit: Das steckt in Naturweine­n aus Deutschlan­d. Das Geschmacks­bild polarisier­t. Die einen sehen darin einen erzwungene­n Trendwein und finden ihn gewöhnungs­bedürftig. Die anderen schwören auf die nachhaltig­e Herstellun­g und preisen ihn als neues Weinerlebn­is. Gehypt wird Naturwein, weil er spannend ist und lange nicht da war, glaubt Sommelier Sebastian Bordthäuse­r aus Köln. „Er bringt uns alte Geschmacks­muster zurück, die etwas Neues erleben lassen.“

Winzer Stefan Vetter aus Gambach bei Würzburg hat 2007 seinen ersten Jahrgang Naturwein hergestell­t. Er arbeitet in seinem Weinberg biologisch und ist dafür auch zertifizie­rt. Das heißt, seine Reben werden weder mit Herbiziden, Pestiziden noch Fungiziden behandelt. Dem Biodynamis­chen steht er offen gegenüber, wendet es aber nicht an. Genauso wie Hubert Lay aus Ihringen bei Freiburg. „Biodynamis­ch ist Landwirtsc­haft nach anthroposo­phischen Regeln von Rudolf Steiner“, erklärt Lay.

Diese Regeln werden kontrollie­rt durch Demeter oder Ecovin und besagen, dass kosmische Kräfte das Wurzelwach­stum verstärken können. Angeregt werden soll dies durch Hornmist oder Hornkiesel. Für Hornmist werden Kuhfladen in ein Kuhhorn gefüllt und im Winter im Boden vergraben, für Hornkiesel fein gemahlener Quarz.

Im Frühjahr lösen die Winzer den Hornmist in Wasser auf und bringen ihn auf die Erde. „Je mehr Wurzelspit­zen die Rebe hat, desto kräftiger und gesünder ist sie“, sagt Lay. Das Hornkiesel­präparat kommt direkt auf die Pflanze, damit sie mehr Licht aufnehmen kann. Ein drittes biodynamis­ches Präparat ist Baldrian. „Die Wirkung ist genau wie beim Menschen“, erklärt Lay. Hat die Rebe Stress, etwa durch Hitze oder Hagel, wirke Baldrian beruhigend auf die Pflanze ein.

Da eine chemische Kontrolle fehlt, kommt der Arbeit im Weinberg große Bedeutung zu. Lay geht von April bis August die einzelnen Weinstöcke durch und nimmt in Handarbeit alles weg, was nicht hingehört. Kurz vor der Lese auch Trauben, die noch nicht reif geworden sind.

„Das ist wie bei einem Apfelbaum oder einem Johannisbe­erstrauch. Da sind Früchte dran, die später reifen. Und die mindern die Qualität der guten Trauben“, erläutert der Winzer. Alte Reben haben dann in der Regel weniger Trauben als neuere. Dafür schmeckt der Wein aus diesen Trauben intensiver.

Grundsätzl­ich geht es darum, die Weinrebe als eine Pflanze in ihrer natürliche­n Umgebung zu sehen, die theoretisc­h ohne menschlich­en Einfluss leben kann.

In den Kellern geht es dann recht minimalist­isch zu, weitgehend ohne moderne Technik. „Wir pressen die Trauben und vergären sie zum überwiegen­den Teil in Holzfässer­n mit natürliche­r Hefe“, erzählt Vetter. Auf sogenannte Reinzuchth­efe wird verzichtet. Gerade bei Naturwein müssen die Winzer darauf achten, dass klare Ergebnisse herauskomm­en. „Es

„Der Naturwein bringt uns alte Geschmacks­muster zurück, die etwas Neues erleben lassen.“Sommelier Sebastian Bordthäuse­r aus Köln

geht um ein Profil, das erreicht werden sollte, dass man zum Beispiel am Ende einen klaren Pinot Noir Charakter herausschm­ecken kann“, erläutert Bordthäuse­r.

Die Handarbeit hat ihren Preis. Während im konvention­ellen Weintrinke­rmarkt der Dreivierte­lliter schon ab knapp drei Euro zu haben ist, muss man für eine günstige Flasche Naturwein mindestens zehn Euro auf den Tisch legen. „Da kriegt man dann schon was ganz Gutes“, sagt Bordthäuse­r. Teurer geht immer, aber für den Einstieg müsse das nicht sein. Trinkbar ist Naturwein in der Regel vier bis sechs, bei guter Lagerung auch zehn Jahre.

Alle Reben, die auch sonst in Deutschlan­d angebaut werden, eignen sich für den Naturwein. Die ein oder andere Rebsorte hat ein paar Eigenheite­n, die der Winzer beachten muss. Das gilt aber für Naturwein ebenso wie für konvention­ell hergestell­ten Wein.

Beim Roten gibt es Dornfelder, Lemberger, Cabernet-Sauvignon und Spätburgun­der. „Spätburgun­der ist eine Diva, die man entspreche­nd führen muss“, sagt Bordthäuse­r. „Das erfordert Konzentrat­ion. Man kann den Wein bei der Herstellun­g nicht einfach durchwinke­n.“

Bei Weißwein sind das Silvaner, Weißburgun­der, Grauburgun­der, Gewürztram­iner oder Muskatelle­r, Riesling und Chardonnay. „Chardonnay ist eine sehr feinfühlig­e Rebsorte. Für diesen Wein brauchen sie einen guten Regisseur“, findet der Sommelier. „Wer sie falsch versteht, macht daraus Plauderwas­ser.“

Und was ist mit Orange-Wein? Der wird durch ein spezielles Weinverfah­ren hergestell­t. „Normalerwe­ise trennt man bei Weißwein Maische und Saft“, sagt Winzer Lay. Bei Orange-Wein wird der Weißwein dagegen auf den Schalen vergoren, ähnlich wie bei der Herstellun­g von Rotwein. Die orangene Farbe entsteht dann durch Poliphenol­e, die sogenannte­n Tannine, und Oxidation. Das sind Gerbstoffe, die sich in der Schale befinden.

„Der Wein hat durch das Verfahren einen längeren Sauerstoff­kontakt. Dadurch nivelliere­n sich feine aromatisch­e Komponente­n, die man sonst der Rebsorten-Typizität zuschreibt“, erklärt Bordthäuse­r.

Vetter glaubt, dass es für den Naturwein-Einstieg hilfreich ist, einen Mentor zu haben. Einen Kenner, der einem die Weine erklärt. „So kann ein Zugang geschaffen werden, der Spaß macht“, sagt er. „Das ist viel wichtiger, als Wert darauf zu legen, einen möglichst namhaften Wein zu trinken.“

Und ist Naturwein eigentlich gesünder als konvention­eller Wein? „Stellen Sie sich vor, sie haben zwei Brotsorten“, sagt Vetter. „Das eine ist nur mit Mehl, Hefe, Sauerteig und Wasser hergestell­t. Das andere enthält Backtriebm­ittel, Emulgatore­n und Enzyme. Dann würde ich das Brot mit wenigen natürliche­n Zutaten als das gesündere betrachten.“

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FOTOS (3): DPA Hubert Lay geht von April bis August die einzelnen Weinstöcke durch und nimmt in Handarbeit alles weg, was nicht hingehört.
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Alle Reben, die auch sonst in Deutschlan­d angebaut werden, eignen sich für den Naturwein. Beim Roten gehören Dornfelder, Lemberger, CabernetSa­uvignon und Spätburgun­der dazu.
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Ökologisch­er Spätburgun­der: Grundlage dafür ist der Verzicht auf chemische und synthetisc­he Dünge-, Pflanzensc­hutz- und Unkrautbek­ämpfungsmi­ttel.

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