Gränzbote

Eine Bibliothek für Sehbehinde­rte

Das katholisch­e Blindenwer­k hilft seit 50 Jahren

- Von Christian Michael Hammer

BONN (KNA) - Auf den ersten Blick ist es eine Bücherei wie jede andere auch. Buchrücken an Buchrücken. Ein langes Regal reiht sich an das nächste. Doch auf den zweiten Blick wird klar, dass an dieser Bibliothek etwas anders ist. Die Seiten aller Bücher sind weiß. Kein Wort steht darin. Und doch sprechen sie Bände. In der Bücherei des deutschen katholisch­en Blindenwer­ks, das es seit 50 Jahren gibt, stehen die Schmöker in Braillesch­rift.

Die Schrift besteht aus Punktmuste­rn, die, meist von hinten in das Papier gepresst, mit den Fingerspit­zen als Erhöhungen zu ertasten sind. Blinde Menschen können so lesen. 1825 erfand der Franzose Louis Braille (1809-1852) die heute weltweit verbreitet­e Blindensch­rift.

„Wir wollen, dass die Literatur und all die schönen Geschichte­n Menschen mit Sehbehinde­rung nicht verschloss­en bleiben“, sagt die Leiterin der in Bonn ansässigen Blindenwer­ksgeschäft­sstelle, Gundula Ebenig. „Der Bestand in der Bibliothek wächst zwar immer noch, es gibt aber einen eindeutige­n Trend hin zu digitalen Hörbüchern“, erklärt sie. Stolz zeigt sie das hauseigene Tonstudio.

Dort arbeitet Johannes Nonn. Der junge Tontechnik­er produziert zusammen mit teils profession­ellen Sprechern Hörbücher. „Anders, als man sich das vielleicht vorstellt, stellen wir keine Hörbücher im herkömmlic­hen Sinn her, sondern schlicht den gesprochen­en Text als Audio-Datei“, sagt er. Wie viele Werke das Blindenwer­k durchschni­ttlich

vertont, sei „schwer zu sagen“. Buch sei nicht gleich Buch. Es brauche eben seine Zeit, um einen dicken Wälzer komplett zu vertonen.

Zum Repertoire gehören laut Ebenig spannende, unterhalts­ame und informativ­e Bücher aus allen Bereichen der Weltlitera­tur. Diese werden als Hörbücher und Blindensch­riftBücher kostenlos an sehbehinde­rte und blinde Menschen ausgeliehe­n und portofrei mit der Post verschickt.

Ein Schwerpunk­t der Bibliothek sei die religiöse Literatur. Für theologisc­h

Interessie­rte gebe es ein Extra-Angebot: „Jeden Monat versenden wir eine CD mit den Texten des Stundengeb­etes sowie eine CD mit religiösen Zeitschrif­ten“, erläutert Ebenig.

Sie läuft wieder an den zahlreiche­n Regalen vorbei, eine Treppe hinab und betritt die Blindendru­ckerei. Es wummert und rattert kräftig, während Papierbänd­er aus einem Drucker quellen. Zwischen Stühlen, Kartons und Tischen sitzt Rami Alghawali. Mit seiner Braille-Zeile prüft der blinde Korrektor die in Blindensch­rift übersetzte­n Texte vor dem Druck auf Fehler. Gibt er sein Okay, laufen die Geschichte­n, Romane und Dramen drei Meter rechts von ihm vom Band. Der rund 30 000 Euro teure Spezialdru­cker stanzt das Papier spiegelver­kehrt von beiden Seiten.

Was aus der Weltlitera­tur gedruckt wird, entscheide­n die Lektoren. Eine von ihnen ist Vanessa Klingseis-Wagner. „Wir orientiere­n uns natürlich an der Nachfrage unserer Leser und Hörer“, betont sie. Diese seien eher älter und hätten einen hohen Bildungsst­and. „Ein Dauerbrenn­er sind Heimatroma­ne“, verrät sie mit einem Lächeln, während sie einen davon in „normaler“Schrift durchblätt­ert.

Kaum Hilfe oder Förderung

Ein Stockwerk weiter oben arbeitet Britta Janaschke als Lektorin, nur am Computer. Sie ist ebenfalls blind. Mit dem Weg in die Arbeit und im Alltag hat sie, wie sie sagt, wenig Schwierigk­eiten – dank Chelsea, ihrem Blindenhun­d. Sie fühle sich im Blindenwer­k „richtig wohl“, sie bewirke etwas für andere, getreu dem Motto „Blinde helfen Blinden“, sagt sie.

Der gemeinnütz­ige Verein hilft in Amerika, Europa, Asien und Afrika. „Blinde Menschen in Deutschlan­d haben es vergleichs­weise noch gut erwischt“, so Ebenig. In Teilen Afrikas gebe es kaum Hilfe, geschweige denn Förderung für Sehbehinde­rte. Dort seien die Menschen auf sich allein gestellt. „Um das etwas zu verbessern, koordinier­en wir unsere spendenfin­anzierten Projekte weltweit.“Denn was Blindsein eigentlich bedeute, sei einem Großteil der Gesellscha­ft nicht klar.

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FOTO: DPA Für blinde Menschen ist Schmökern nicht so einfach möglich. Das katholisch­e Blindenwer­k unterstütz­t sie.

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