Therapie statt Hirntod
Außenminister Maas schlägt eine Expertenkommission vor, um die Zusammenarbeit in der Nato zu verbessern
BRÜSSEL (dpa) - Hirntot? Die Nato? Das größte Verteidigungsbündnis der Welt? Heiko Maas vermeidet es am Mittwoch, noch einmal direkt auf die Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron einzugehen. Der SPD-Politiker hat stattdessen einen Vorschlag zum NatoAußenministertreffen in Brüssel mitgebracht. Wenn es nach ihm geht, wird schon bald eine Expertenkommission eingesetzt, um die sicherheitspolitische Zusammenarbeit der 29 Alliierten zu verbessern, vielleicht sogar umfassend zu reformieren.
„Die Nato ist die Lebensversicherung Europas – und wir wollen, dass das so bleibt“, erklärt der deutsche Chefdiplomat. Es komme nun darauf an, dass das Bündnis in Geschlossenheit in die Zukunft gehe.
Maas geht damit einen sicheren Mittelweg. Auf der einen Seite distanziert er sich klar von Macron, der dem Bündnis den Hirntod und damit das sichere Ende attestiert hat. Auf der anderen Seite gesteht er ein, dass auch er das Bündnis in einer schweren Krise sieht.
Beispiele dafür muss er gar nicht nennen. Schon bevor die Türkei zuletzt mit ihrer unabgesprochenen Militäroffensive in Nordsyrien für Ärger sorgte, hatten die USA viele Partner immer wieder mit Alleingängen vor den Kopf gestoßen. Ohne Absprache wurden zuletzt zum Beispiel Planungen für einen Teilabzug aus Afghanistan gemacht und Truppen aus Syrien abgezogen. Hinzu kommt der scheinbar endlose Streit über Verteidigungsausgaben, in dem US-Präsident Donald Trump zeitweise mit einem Austritt drohte.
Ob Maas’ Vorschlag für eine Expertenkommission dafür sorgen kann, dass in der Nato Ruhe einkehrt, erscheint deswegen fraglich. Generalsekretär Jens Stoltenberg stellte sich zwar hinter die Initiative. Erfahrungen aus der Vergangenheit machen aber wenig Hoffnung. So war bereits 1956 eine Kommission aus „drei Weisen“eingesetzt worden, um Ärger über mangelnde Absprachen beizulegen. Die konkreten Ergebnisse fielen am Ende bescheiden aus.
Hinzu kommt, dass es mit dem Nordatlantikrat eigentlich schon eine ständige Expertenkommission gibt. Er tagt mehrfach in der Woche auf Botschafterebene und ist als Forum für den ständigen politischen Austausch und für Abstimmung gedacht.
Der Vorstoß von Maas hat auch einen innenpolitischen Hintergrund. Der SPD-Politiker liefert sich seit einigen Wochen eine Art sicherheitspolitischen Ideenwettbewerb mit seiner Kabinettskollegin Annegret Kramp-Karrenbauer. Angezettelt hat ihn die Verteidigungsministerin im Oktober mit ihrer Initiative für eine UN-Schutztruppe in Nordsyrien. Nach wenigen Tagen war der Vorstoß verpufft. In der Bundesregierung sorgte er aber für erheblichen Ärger, weil er nicht abgesprochen war.
Anfang November legte KrampKarrenbauer mit einer Grundsatzrede nach, in der sie sich für eine aktivere deutsche Sicherheitspolitik und einen Nationalen Sicherheitsrats einsetzte. „Wir Deutschen sind oft besser darin, hohe Ansprüche, auch moralisch hohe Ansprüche zu formulieren, an uns und an andere, als selbst konkrete Maßnahmen vorzuschlagen und umzusetzen“, sagte sie damals.
Das will sich Maas offensichtlich nicht vorhalten lassen und geht nun mit dem Nato-Vorstoß in die Offensive. Anders als beim Syrien-Plan Kramp-Karrenbauers ist der Vorstoß in der Bundesregierung abgestimmt. Da er ausreichend vage ist und keinerlei Vorgaben für Reformschritte macht, dürften die Erfolgschancen auch gar nicht so schlecht stehen. Was am Ende in konkrete Politik umgesetzt wird, wäre dann aber immer noch eine andere Frage. „Zu oft waren Expertengremien bisher Verschiebebahnhöfe für Verantwortung“, mahnt der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour.
Das Verteidigungsministerium reagierte nicht gerade euphorisch auf die Maas-Initiative, zeigte sich aber kooperativ. „Wir haben Kenntnis von dem Vorschlag“, sagte ein Sprecher. Man würde sich gerne an der Kommission beteiligen und Experten entsenden. Aber zunächst müsse das in der Nato diskutiert werden.
Und Bundeskanzlerin Angela Merkel? Sie verhält sich in dem Ideenwettbewerb ihrer Minister bisher neutral. Anfang Dezember hat sie beim Jubiläumsgipfel zum 70-jährigen Bestehen der Nato in London die Gelegenheit, selbst neue Ideen loszuwerden.