Bravouröses Weltuntergangsgeschrammel
Standing Ovations nach Rickie Lee Jones’ Abschlusskonzert beim Landesjazzfestival in Ravensburg
RAVENSBURG - Touren kann dich fertig machen, hat Frank Zappa einst, völlig unironisch, nach einer ausgedehnten US-Tour festgestellt. 200 mehr oder weniger runtergeschrappte Motels, immer auf Achse. Das Schlusskonzert oft ein Vabanquespiel. Die Musiker fix und foxi, keinen Bock mehr? Oder bestens aufgelegt, besser als bei anderen Terminen, in Vorfreude auf Wiedersehen mit Familie, Hundis, Gemüsegarten? Bei Ricky Lee Jones und ihrer fabelhaften Band letzteres. Standing Ovations nach ihrem zweistündigen Auftritt im Rahmen des Landesjazzfestivals in Ravensburg.
Der Abend im Konzerthaus beginnt hypnotisch. Mike Dillon, Drummer und Percussionist, klöppelt zunächst wenige Töne, dann immer komplexere Serien auf dem Xylophon. Könnte auch als eigenständiges Werk eines zeitgenössischen Komponisten bestehen. Rob Mangano
steigt mit reduziertem Gitarrensound ein. Cliff Hines kommt dezent dazu. Spotlight: Ricky Lee Jones am Flügel, mit unverkennbarer Stimme. Lebenserfahren, leicht rauchig, ungebrochen. Sie erzählt ihre Geschichten nicht mehr ganz so schwirrend wie in früheren Jahren. Ist nicht ganz einfach zu verstehen, US-Englisch leicht vernuschelt. Schwingt sich aber immer wieder aus den dahinfließenden Erzählungen in fast schmerzhafte Höhen. Steht nicht für chilliges Wohlgefühl. Wie das einstige Run-Away-Girl bei ihrem Debüt im Jahr 1979. Eigenständiger PopJazz für Unangepasste.
Mit 14 Jahren ist sie das erste Mal von zu Hause abgehauen, von Phoenix/Arizona mit Freund und geklautem Auto nach San Diego. Aufgegriffen, zurückgebracht, der Drang zum Ausreißen höchst lebendig. Ab 1972, da wird sie 18, schlägt sie sich in Los Angeles durch. Der Stadt der Träume vieler junger Frauen – hier zum Star, berühmt, reich zu werden. Um in der
Realität beim Pornoproduzenten zu landen. Oder in die Provinz zurückzukehren. Die junge Rickie verdient ein par Dollars mit KellnerinnenJobs, tingelt ein paar Jahre später durch die Clubs. Sie wohnt wenig glamourös im Tropicana Hotel, dort auch der Sänger und Drummer Chuck E. Weiss. Und ein gewisser Tom Waits. Damals ihr Lebensgefährte.
Sie schafft weite Räume
Der Song „Chuck E’S In Love“schlägt 1979 wie eine Bombe ein. Ihr größter Hit bis heute, die Plattencompanies reißen sich um die junge, so besondere Sängerin. Natürlich bringt sie dieses frühe Stück auch in Ravensburg. Kernig, direkt, unverstaubt. Vor und nachher zieht sie sozusagen eine musikalische Bilanz, Songs aus ihren bislang 18 Platten. „Infinity“von 2015 erklingt sphärisch, Rickie Lee Jones an der Gitarre und ihre Band schaffen weite Räume. Die Zeit ist eine Welle, die sich durch den Weltraum bewegt. „Thank you“sagt sie mit Kleinmädchenstimme. Um ein kräftiges, dunkles „Danke“hinterherzuschieben.
Bei „The White Boy Cool“greift sie zur Akustikgitarre, und ja: Zusammen mit den beiden Stromgitarren plus Percussion klingt das großartig. „Rodeo Girl“von 1989 kommt nachdenklich, nicht ohne Hintersinn ist da die Rede von versteinerten Wäldern. Rickie Lee Jones hat Höhen und Tiefen durchlebt, frau kann nicht immer weglaufen, ausreißen. „Stewart’s Coat“von 1993 hört sich wesentlich positiver an, „Love is a healing thing“.
Ja, die Liebe heilt. Während der ersten 40 Minuten präsentiert sie sich ein wenig spröde, fremdelt. Dann wird sie freier, lockerer, mit Freude. Dass sie „A Scary Chinese Movie“als ein Liebeslied vorstellt, ist ihre Art von Ironie. Mit Akkorden so dunkel wie die Seele von Tom Waits. Mit psychedelischen Gitarrengewittern im Finale. Großartig.
„Coolsville“bringt sie, „Horses“, „Pirates“, „Satellites“, „The Last Chance Texaco“und mehr – kurzum eine Tour durch ihr musikalisches, oft auch wirkliches Leben. Auf dem aktuellen Album covert sie Songs anderer Künstler, auf ihre Art. Dabei hat sie tief in den Archiven der Musik geforscht. Einen Sinatra-Song interpretiert sie in „Ich-bin-ein-kleinesliebes-Mädchen“-Manier. Bei der Hommage an die Mills Brothers aus New Orleans („die beste Gesangsgruppe ever“) singen Hines und Mangano mit, das swingt richtig.
Wie intensiv Rickie Lee Jones berühren kann, Tiefen, Abgründe offenlegt, zeigt sie ziemlich zum Schluss. „Bad Company“ist der erste große Hit von Paul Rodgers mit seiner damals neuen, ebenso benannten Rockband. Rickie Lee Jones seziert das Stück an der E-Gitarre, langsam, mit Bedacht. Etwas ganz Neues entsteht, etwas höchst Intensives, Existenzielles. Plus finalem Weltuntergangsgeschrammel. Rickie Lee Jones pur.
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