Gränzbote

Kritik an Arbeit der Kripo wächst

Prozess um bandenmäßi­gen Drogenhand­el: Ermittler gestehen Fehler ein

- Von Lothar Häring

TUTTLINGEN/ROTTWEIL - Annähernd 40 000 Telefonges­präche haben die Ermittler im Fall des bandenmäßi­gen, bewaffnete­n Drogenhand­els gegen acht Männer und eine Frau (wir berichtete­n) abgehört und ausgewerte­t. Trotzdem blieben Lücken und bleiben Fragen. Das Polizeiprä­sidium Tuttlingen und die Staatsanwa­ltschaft Rottweil geraten immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik.

Am fünften Verhandlun­gstag am Landgerich­t Rottweil wird erneut der Ermittlung­sführer der Kripo Tuttlingen, Außenstell­e Villingen, in den Zeugenstan­d bestellt. Er muss sich – wie schon sein Kollege aus dem bayerische­n Erding am Vortag (wir berichtete­n) – weiteren bohrenden Fragen der 19 Verteidige­r stellen.

Der Kriminalob­erkommissa­r versucht, seine Nervosität zu überspiele­n, trotzdem bleibt ihm in auffällig vielen Antworten nur noch, Wissenslüc­ken, Versäumnis­se und Fehler einzugeste­hen.

Die Vernehmung beginnt mit einem Frontalang­riff: „Sie haben nichts geklärt, nicht überprüft, ob die Angaben des Kronzeugen stimmen“, sagt ein Verteidige­r und fragt: „Warum?“. Keine Antwort. Laut setzt der Anwalt nach: „Sie haben ihn nicht nach dem Lebenslauf gefragt, eigentlich Standard, nicht nach seinen Straftaten, und Sie haben auch keine Rechtshilf­e in Bulgarien beantragt, wo er als verdeckter Ermittler tätig gewesen sein soll.“Kleinlaut entgegnet der Kriminalob­erkommissa­r: „Das ist richtig.“Gründe nennt er nicht.

Der Anwalt ist nicht zu bremsen. Zwar habe der Hauptzeuge neben zwei gefälschte­n auch zwei offenbar echte Dokumente vorgelegt, sagt er, aber das besage nichts, denn entscheide­nd sei, ob sie staatlich autorisier­t seien. „Haben Sie das überprüft?“Antwort: „Nein“. „Wissen Sie, in welchem Bereich er als Vertrauens­person in Bulgarien gearbeitet hat und haben Sie Erkenntnis­se über die Qualität?“Antwort: „Tatsachen weiß ich keine.“

Es geht in gleichem Stil weiter. Ein anderer Verteidige­r klagt: „Ich verstehe die Anklage nicht. Sie stimmt nicht mit den Ermittlung­en überein. Und ich habe auch noch nie erlebt, dass die Polizei in den Akten eine Person unter falschem Namen wie hier führt.“Dann hakt der Anwalt nach: „Warum haben Sie nicht gefragt, aus welchem Land er wirklich kommt, Syrien, Bulgarien oder Libanon?“Antwort: „Okay, das habe ich nicht gemacht.“Der Vorwurf, „Sie lassen sich doch jeden Mist ungeprüft erzählen, Sie hinterfrag­en nichts“, bleibt ohne Widerspruc­h.

Es bleibt völlig unklar, welche Funktion der Kronzeuge für die Polizei hatte. Der Kriminalob­erkommissa­r erklärt, wegen verschiede­ner Strafverfa­hren sei er als Beschuldig­ter geführt worden, deshalb habe der Verantwort­liche des Polizeiprä­sidiums den Wunsch des Mannes abgelehnt, ihn als „Vertrauens­person“zu engagieren. Trotzdem wurde er dann doch als Zuträger beziehungs­weise Spitzel in der jetzt angeklagte­n, mutmaßlich­en Drogenband­e engagiert.

Die Polizei habe ihm ein Handy besorgt und auch seine Auslagen übernommen, berichtet der Kommissar. Er formuliert es so: „Er war eine Vertrauens­person, der keine Vertraulic­hkeit zugesicher­t wurde.“

Als ein weiterer Verteidige­r nachweist, dass in den Akten ein Tatort in Tuttlingen vermerkt ist, „den es so gar nicht geben kann“, behilft sich der offenbar ortsunkund­ige Zeuge mit einem Satz, den er immer wieder verwendet: „Das kann ich aus dem Stegreif nicht sagen.“

Die Vorwürfe der Verteidige­r wollen nicht enden, die Liste ist lang; das ganze Verfahren weise „elementare Fehler“auf, wichtige Sachverhal­te seien nicht ausermitte­lt, die Vernehmung von Zeugen sei nicht rechtmäßig abgelaufen, der Kronzeuge sei falsch belehrt worden. Zudem seien seine Aussage-Motive überhaupt nicht hinterfrag­t worden. Auch hier ist der Kriminalob­erkommissa­r zum Teil einsichtig. Einmal sagt er: „Auch diesen Schuh muss ich mir anziehen.“Und dann zeigt sich doch, dass er sich ungerecht behandelt fühlt. Als er als „Ermittlung­sführer“angesproch­en wird, sagt er: „Ich war halt der, der das alles zusammenge­tragen hat.“

In geschlosse­ner Front versuchen die Verteidige­r schließlic­h, die für Dienstag, 26. November, vorgesehen­e Vernehmung des Kronzeugen zu verhindern. Einer von ihnen zieht alle Register der Strafproze­ssordnung und beantragt mit ausführlic­her Begründung, dass die Vernehmung rechtlich nicht zulässig wäre. Oberstaats­anwalt Michael Gross widerspric­ht in einer kurzen Stellungna­hme. Alle schauen gespannt auf Karlheinz Münzer, den Vorsitzend­en Richter. Der bittet um 20 Minuten Beratungsp­ause und weist dann den Antrag ohne Begründung zurück.

Und so muss der Kronzeuge, der an einem geheimen Ort in einem Zeugenschu­tzprogramm lebt, am kommenden Dienstag um 9 Uhr zur Vernehmung erscheinen.

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FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Fehler haben die Ermittler beim Drogen-Prozess am Landgerich­t Rottweil eingeräumt.

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