Kritik an Arbeit der Kripo wächst
Prozess um bandenmäßigen Drogenhandel: Ermittler gestehen Fehler ein
TUTTLINGEN/ROTTWEIL - Annähernd 40 000 Telefongespräche haben die Ermittler im Fall des bandenmäßigen, bewaffneten Drogenhandels gegen acht Männer und eine Frau (wir berichteten) abgehört und ausgewertet. Trotzdem blieben Lücken und bleiben Fragen. Das Polizeipräsidium Tuttlingen und die Staatsanwaltschaft Rottweil geraten immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik.
Am fünften Verhandlungstag am Landgericht Rottweil wird erneut der Ermittlungsführer der Kripo Tuttlingen, Außenstelle Villingen, in den Zeugenstand bestellt. Er muss sich – wie schon sein Kollege aus dem bayerischen Erding am Vortag (wir berichteten) – weiteren bohrenden Fragen der 19 Verteidiger stellen.
Der Kriminaloberkommissar versucht, seine Nervosität zu überspielen, trotzdem bleibt ihm in auffällig vielen Antworten nur noch, Wissenslücken, Versäumnisse und Fehler einzugestehen.
Die Vernehmung beginnt mit einem Frontalangriff: „Sie haben nichts geklärt, nicht überprüft, ob die Angaben des Kronzeugen stimmen“, sagt ein Verteidiger und fragt: „Warum?“. Keine Antwort. Laut setzt der Anwalt nach: „Sie haben ihn nicht nach dem Lebenslauf gefragt, eigentlich Standard, nicht nach seinen Straftaten, und Sie haben auch keine Rechtshilfe in Bulgarien beantragt, wo er als verdeckter Ermittler tätig gewesen sein soll.“Kleinlaut entgegnet der Kriminaloberkommissar: „Das ist richtig.“Gründe nennt er nicht.
Der Anwalt ist nicht zu bremsen. Zwar habe der Hauptzeuge neben zwei gefälschten auch zwei offenbar echte Dokumente vorgelegt, sagt er, aber das besage nichts, denn entscheidend sei, ob sie staatlich autorisiert seien. „Haben Sie das überprüft?“Antwort: „Nein“. „Wissen Sie, in welchem Bereich er als Vertrauensperson in Bulgarien gearbeitet hat und haben Sie Erkenntnisse über die Qualität?“Antwort: „Tatsachen weiß ich keine.“
Es geht in gleichem Stil weiter. Ein anderer Verteidiger klagt: „Ich verstehe die Anklage nicht. Sie stimmt nicht mit den Ermittlungen überein. Und ich habe auch noch nie erlebt, dass die Polizei in den Akten eine Person unter falschem Namen wie hier führt.“Dann hakt der Anwalt nach: „Warum haben Sie nicht gefragt, aus welchem Land er wirklich kommt, Syrien, Bulgarien oder Libanon?“Antwort: „Okay, das habe ich nicht gemacht.“Der Vorwurf, „Sie lassen sich doch jeden Mist ungeprüft erzählen, Sie hinterfragen nichts“, bleibt ohne Widerspruch.
Es bleibt völlig unklar, welche Funktion der Kronzeuge für die Polizei hatte. Der Kriminaloberkommissar erklärt, wegen verschiedener Strafverfahren sei er als Beschuldigter geführt worden, deshalb habe der Verantwortliche des Polizeipräsidiums den Wunsch des Mannes abgelehnt, ihn als „Vertrauensperson“zu engagieren. Trotzdem wurde er dann doch als Zuträger beziehungsweise Spitzel in der jetzt angeklagten, mutmaßlichen Drogenbande engagiert.
Die Polizei habe ihm ein Handy besorgt und auch seine Auslagen übernommen, berichtet der Kommissar. Er formuliert es so: „Er war eine Vertrauensperson, der keine Vertraulichkeit zugesichert wurde.“
Als ein weiterer Verteidiger nachweist, dass in den Akten ein Tatort in Tuttlingen vermerkt ist, „den es so gar nicht geben kann“, behilft sich der offenbar ortsunkundige Zeuge mit einem Satz, den er immer wieder verwendet: „Das kann ich aus dem Stegreif nicht sagen.“
Die Vorwürfe der Verteidiger wollen nicht enden, die Liste ist lang; das ganze Verfahren weise „elementare Fehler“auf, wichtige Sachverhalte seien nicht ausermittelt, die Vernehmung von Zeugen sei nicht rechtmäßig abgelaufen, der Kronzeuge sei falsch belehrt worden. Zudem seien seine Aussage-Motive überhaupt nicht hinterfragt worden. Auch hier ist der Kriminaloberkommissar zum Teil einsichtig. Einmal sagt er: „Auch diesen Schuh muss ich mir anziehen.“Und dann zeigt sich doch, dass er sich ungerecht behandelt fühlt. Als er als „Ermittlungsführer“angesprochen wird, sagt er: „Ich war halt der, der das alles zusammengetragen hat.“
In geschlossener Front versuchen die Verteidiger schließlich, die für Dienstag, 26. November, vorgesehene Vernehmung des Kronzeugen zu verhindern. Einer von ihnen zieht alle Register der Strafprozessordnung und beantragt mit ausführlicher Begründung, dass die Vernehmung rechtlich nicht zulässig wäre. Oberstaatsanwalt Michael Gross widerspricht in einer kurzen Stellungnahme. Alle schauen gespannt auf Karlheinz Münzer, den Vorsitzenden Richter. Der bittet um 20 Minuten Beratungspause und weist dann den Antrag ohne Begründung zurück.
Und so muss der Kronzeuge, der an einem geheimen Ort in einem Zeugenschutzprogramm lebt, am kommenden Dienstag um 9 Uhr zur Vernehmung erscheinen.