Joy Jenkins ist zurück bei ihren Eltern
Familiengericht Villingen-Schwenningen hebt Inobhutnahme der Eineinhalbjährigen auf
VILLINGEN-SCHWENNINGEN - Die Freude ist zurück in der Familie Jenkins: Am Mittwoch haben Marina und Darren Jenkins ihre eineinhalbjährige Tochter Joy zurückbekommen. Das Mädchen war am 16. September durch das Jugendamt Villingen-Schwenningen in Obhut genommen worden (wir haben berichtet). Das Familiengericht der Doppelstadt hob diese Entscheidung sowie den Entzug von Teilen des elterlichen Sorgerechtes durch eine einstweilige Verfügung nun vorerst auf.
„Wir sind aber noch nicht durch“, sagt Marina Jenkins. In einem Hauptsacheverfahren muss weiterhin geklärt werden, ob es eine Restgefahr gibt, dass die „Eltern die Verletzungen herbeigeführt haben oder zumindest nicht oder nicht rechtzeitig haben behandeln lassen“, schreibt das Familiengericht in seinem Beschluss. Bis dahin darf Joy unter Auflagen bei ihren Eltern, die täglich ihr zweites Kind erwarten, bleiben.
Zur Erinnerung: Am 5. September waren Marina und Darren Jenkins mit ihrem Kind abends in die Notaufnahme des Schwarzwald-Baar-Klinikums gefahren, weil Joy im Schwimmbad verlangsamt mit dem linken Arm im Wasser gespielt hatte. In der Klinik wurde zunächst ein frischer Bruch der linken Speiche sowie ein älterer Bruch der linken Elle festgestellt. Weil beide Frakturen nicht zeitgleich erfolgt sein konnten, wurde Joy an den folgenden Tagen intensiver untersucht. Anhand von Röntgen-Aufnahmen diagnostizierten die Mediziner Brüche am rechten Arm, am rechten Knie sowie an der linken Schulter und verständigten wegen des Verdachts der Kindesmisshandlung das Jugendamt.
Dieses führte am 16. September, obwohl die Mitarbeiterin des Amtes die Eltern an diesem Tag erst kennengelernt hat, die Inobhutnahme durch. Das Kind war fortan bei einer Pflegemutter untergebracht. Von Anfang an wehrten sich die Eltern entschieden gegen die Vorwürfe.
Aus Sicht der Ärzte waren die von Marina und Darren Jenkins genannten Stürze damals „wenig wahrscheinlich“für die Entstehung der Frakturen. Das hat sich seitdem geändert. Schon bei einer Nachuntersuchung am 24. September wird die vermeintliche Schulterfraktur als „nicht sicher“eingestuft. Weil sich Joy Jenkins Anfang November bei der Pflegemutter den Unterschenkel bricht, als sie auf dem Bauch liegend von der Couch rutscht, erklären die Mediziner im Arztbrief: „Aus unserer Sicht ist die Verdachtsdiagnose einer Kindesmisshandlung als wahrscheinlichste Ursache für die multiplen Brüche nicht mehr aufrecht zu erhalten.“Schließlich sei auch die Beschreibung des Unfalls durch die Pflegemutter „inadäquat für einen solchen Bruch.“Deshalb müsse wegen „der neu hinzugekommenen Fraktur außerhalb des familiären Umfeldes“der Verdacht einer Kindesmisshandlung neu bewertet werden, fordern die Ärzte, die im November auch den Bruch des rechten Knies nicht mehr als sicher bewertet hatten.
In einem Telefonat mit der Richterin am Familiengericht hatte Matthias Henschen, Chefarzt der Kinderklinik, erklärt, dass sich die „medizinische Einschätzung des Falles mittlerweile gravierend geändert“habe. In der Einladung zur Anhörung steht weiter, dass von weniger Frakturen als ursprünglich angenommen auszugehen sei. Es sei eventuell anzunehmen, „dass bei Joy eine Neigung zu Knochenbrüchen bestehe.“Zudem sei der linke Arm, nicht wie im Bericht des Jugendamtes vom 25. September dargestellt, nicht abgespreizt gewesen, sondern habe nur eine Schwellung aufgewiesen. Henschen hielt es rückblickend für denkbar, „dass es für die Eltern insoweit nicht ersichtlich war, dass medizinischer Handlungsbedarf bestand.“
Trotz dieser Aussagen befürwortete das Jugendamt vor Gericht, dass den Eltern die Gesundheitsvorsorge, das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen und Aufenthaltsbesagt stimmungsrecht für ihre Tochter entzogen bleibt. Dem folgt die Richterin nicht. Vielleicht auch, weil sich die von der Stadt bestellte Ergänzungspflegerin und Verfahresbeistand Erika Manicke sich für die Eltern Jenkins einsetzen. „Frau Manicke hat gekämpft wie eine Löwin“, betont Marina Jenkins. In dem Beschluss der Richterin steht letztlich: „Es kann vor diesem Hintergrund nicht länger mit hinreichender
Matthias Henschen, Chefarzt der Kinderklinik Villingen-Schwenningen
Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass Joy Opfer von Gewaltanwendungen wurde oder die Eltern ihr in vorwerfbarer Weise trotz erkennbarer erheblicher Verletzungen ärztliche Hilfe vorenthalten haben.“Eine Trennung der Eltern und des Kindes weise ebenfalls „kindeswohlgefährdende Elemente auf“, der „Bindungsverlust“oder die „Bindungsverunsicherung“sei geeignet, „seelische Wunden bei dem Kleinkind zu hinterlassen.“
Bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, für das ein zweites medizinisches Gutachten eingeholt wird, darf Joy Jenkins wieder bei den Eltern sein – allerdings unter Auflagen. Das Mädchen wird mit den Eltern bei den Großeltern mütterlicherseits wohnen und wird zweimal wöchentlich einer Kinderärztin vorgestellt. Zudem müssen Marina und Darren Jenkins eine sozialpädagogische Familienhilfe beantragen und mit dieser kooperieren. Sie wird zweimal in der Woche die Familie besuchen und an das Jugendamt berichten. Zusätzlich wollen sich die Eltern einem psychologischen Gutachten stellen. „Das machen wir freiwillig. Wir sind zu allem bereit.“
Zunächst einmal sind sie aber froh, wieder als Familie vereint zu sein. „Wir genießen die Zeit“, sagt M ar inaJenk ins. Die Bindung zueinander scheint nicht gelitten zu haben. Als die Eltern ihr Kind am Kinder- und Familien zentrumVillinge nS ch wenn in gen abholen– die Pflegemutter hatte das Pflege verhältnis am 18. November beendet – ist Joy glücklich. „Wir mussten an einer Glasscheibe warten. Sie ist schon so getragen worden, dass sie uns gesehen hat. Sie hat sich gefreut und uns nicht mehr losgelassen“, berichtet die 29Jährige. Auch in der Nacht habe das Mädchen, das frühmorgens aus dem eigenen ins elterliche Bett gebracht worden war, die Eltern minutenlang im Gesicht gestreichelt. „Sie sucht uns pausenlos“, berichtet Marina Jenkins.
Nach der Ursache für die Knochenbrüche wird ebenfalls noch gefahndet. Ein Gen-Test wurde in Auftrag gegeben. Nach Einschätzung von Kinderklinik-Chef Henschen kann der „medizinische Nachweis für die Ursache langwierig oder sogar unmöglich sein.“Jedenfalls liegt nach Angaben des Mediziners eine „au feinen Gen defekt zurückzuführende Genese der multiplen Knochen frakturen nähe ral sein Misshandlung s- o derVern ach lässigungs geschehen .“
„Die medizinische Einschätzung des Falles hat sich mittlerweile gravierend geändert.“