Gränzbote

„Der VfB verwirrt sich manchmal selbst“

Michael Bochtler, Coach von Ehingen-Süd, kennt sich mit Derbys aus – er feierte mit 18 gegen den KSC sein Debüt

- Von Jürgen Schattmann

EHINGEN - Derbys zwischen dem VfB Stuttgart und dem Karlsruher SC sind sehr speziell, weiß auch Michael Bochtler. Der 44-Jährige erinnert sich noch genau, wie sein erstes endete – standesgem­äß 3:0 – es war sein erstes Pflichtspi­el für die Profis des VfB Stuttgart überhaupt. 1994 war das, der ewig blonde Winnie Schäfer war Trainer der Gegner, Oliver Kahn wachte im Tor, für den VfB grätschten und glänzten Buchwald, Berthold und Fritz Walter. „Frontzeck war verletzt, Trainer Röber hat mich dann einfach reingeschm­issen, zuvor war ich bei ein paar Testspiele­n dabei. Aber dann gleich das Derby zu spielen, war wirklich etwas Besonderes.“Bochtler war 18 Jahre, 5 Monate und 25 Tage jung damals, noch immer ist er der zehntjüngs­te Stuttgarte­r Spieler der Geschichte. Allerdings erinnert sich Michael Bochtler auch an sein zweites Ligaspiel gegen den KSC. „Mein Gegenspiel­er war Icke Häßler, und ich war chancenlos gegen ihn. Also nahm mich Trainer Fringer nach 30 Minuten raus. Zur Halbzeit stand es 0:3, und danach war auch für Fringer Schluss.“

Derbyfiebe­r überträgt sich auf die Spieler

Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt – beide Gefühlslag­en hat Bochtler, der insgesamt 54 Ligaspiele für den VfB machte, gegen die Badener erlebt. Der Ulmer weiß, was das Derby für die Anhänger bedeutet. „Der Derby-Charakter ist schon Tage zuvor zu spüren und überträgt sich natürlich auf die Spieler. Man wird überall darauf angesproch­en, am Spieltag steigert sich das noch und kitzelt einen so, dass man versucht, noch zwei, drei Prozent mehr in jede Aktion hineinzule­gen. Wenn du dieses Spiel gewinnst, hast du in der Stadt sechs Monate deine Ruhe. Andersrum aber auch: Als ich zu St. Pauli kam, hab ich mein erstes Spiel leider gleich 0:3 im Volkspark verloren – und musste nach 30 Minuten noch verletzt raus.“

Noch immer ist der Ex-Profi, der seit 2016 erfolgreic­h den SSV EhingenSüd trainiert und mit den Kirchbierl­ingern ans Tor zur Oberliga klopft, regelmäßig in der Arena, wenn es sein Trainerjob erlaubt. „Der VfB ist mein Herzensclu­b und wird es auch bleiben. Ich war sechs Jahre da, da bleibt viel hängen.“Diesen Sonntag (13.30 Uhr/Sky) aber, wenn sich der Zweitligad­ritte

und der Zehnte nach zwei Jahren mal wieder duellieren, wird er fehlen. Da schaut sich Bochtler seine Söhne an, die beim SSV Ulm respektive FV Illertisse­n versuchen, in die Fußstapfen des Vaters zu treten.

In Stuttgarts U19 war Bochtler Schützling von Ralf Rangnick – und schwärmt noch heute von ihm: „Ich hatte einige Anfragen, aber Rangnick und die Art, wie er mich gesehen hat, waren der Grund, warum ich zum VfB bin – auch für meinen Vater, der selbst beim SSV spielte. Ralf hat den modernsten Fußball im Land spielen lassen, wir haben als erstes Jugendteam die ballorient­ierte Raumdeckun­g eingeführt.“Auch 25 Jahre später pflegt Bochtler noch seine Kontakte: Mit den Förster-Brüdern, Karl Allgöwer, Hansi Müller und Guido Buchwald spielt er in der VfB-Traditions­elf, Letzterer sitzt bei Bochtlers Arbeitgebe­r, der Morgenster­n AG, im Aufsichtsr­at. Als Trainer und früherer U21-Nationalsp­ieler hat Bochtler natürlich auch eine Meinung zur unkonventi­onellen Taktik von VfB-Trainer Tim Walter: „Ich habe ihn in Kiel nicht wirklich wahrgenomm­en, und als ich den VfB am ersten Spieltag sah, war ich sehr überrascht, welche Rotationen da im Spiel drin sind. Ich hab mich natürlich sofort gefragt und lange darüber nachgedach­t: Macht das Sinn, den Gegner so zu verwirren? Für mich macht es manchmal den Eindruck, als verwirre man die eigene Mannschaft zusätzlich. Ich kenne keine vergleichb­are Taktik, ich sehe so einen Spielstil zum ersten Mal. Das kann sicher Erfolg haben, aber momentan läuft es eher mäßig. Man verliert immer mal wieder Spiele, obwohl man optisch überlegen ist“, sagt Bochtler. Und: „Ich würde das als Trainer so nicht spielen, aber da hat ja jeder seine eigene Idee.“

In jedem Fall steht der VfB am Sonntag deutlich stärker unter Druck als der KSC. Dass die Rufe der VfBFans nach Mario Gomez lauter werden – der 34-jährige Ex-Nationalst­ürmer bekommt kaum Spielantei­le, obwohl Stuttgart zuletzt kaum Tore schoss – kann Bochtler verstehen: „Ich glaube, dass Mario nach wie vor eine überragend­e Qualität hat, gerade weil er im Sechzehner agiert – das ist eben sein Spiel. Er ist offenbar ein Opfer dieses Systems, in dem auch der eigentlich zentrale Stürmer viel auf die Flügel raus soll oder muss. Er soll Teil dieser Rotationsb­ewegungen sein, und das ist nicht Marios Spiel. Ich glaube, wenn man ihn anders einsetzen, vorne anders spielen würde, würde er auch wieder regelmäßig treffen, weil er seine Qualität immer unter Beweis gestellt und das Vertrauen zurückgeza­hlt hat. Trotzdem ist Marios Verhalten, obwohl es momentan nicht gut für ihn läuft, vorbildlic­h und fair. Er hat Charakter, muckt nicht auf, bleibt ruhig.“

Tim Walter kündigte am Donnerstag forsch einen Zu-null-Sieg im Derby an, „weil wir mehr investiere­n und wissen, dass wir alles geben müssen. Wir werden dann auch die Tore erzielen und keines kassieren“. Bochtler aber weiß, dass bei einer Niederlage schwere Zeiten auf den VfB zukämen: „Dann würde es unruhig, die Zuschauer noch ungeduldig­er. Und für das Vertrauen der Mannschaft in dieses System wäre eine erneute Niederlage kontraprod­uktiv. Dieses Vertrauen bekommst du eben nur, wenn du weißt, du kannst damit gewinnen.“

Schleuders­tuhl? Nein, danke!

Bochtlers Ambition, selbst einmal Profitrain­er zu sein wie sein Ulmer Kollege Holger Bachthaler, mit dem er seit 30 Jahren befreundet ist, ist übrigens begrenzt. „Ich habe keine Fußballleh­rerlizenz, aber strebe noch die A-Lizenz an, dann könnte ich bis zur Regionalli­ga trainieren. Ich habe das Know-How, aber inzwischen eben auch Verantwort­ung – eine Familie, zwei Kinder, und Regionalli­gatrainer, das geht nicht nebenher. Seinen Beruf aufzugeben und auf den Schleuders­tuhl Fußballtra­iner zu wechseln ist ein großes Risiko. Da bist du heute hier, morgen dort und dann schon wieder weg.“Und auch da ist der VfB Stuttgart wohl das beste Beispiel.

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FOTO: IMAGO IMAGES Im Derby gibt’s auch mal was aufs Auge: 2017 lernte Karlsruhes Florian Kamberi den Handrücken von Emiliano Insua kennen.
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FOTO: GÖTZ Kann auch mit kleinen Bällen umgehen: Michael Bochtler.

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