Gränzbote

Spaichinge­n aus unterschie­dlichen Perspektiv­en

Auf dem Berg zeichnen die Gemeindera­tsfraktion­en recht verschiede­ne Bilder des Geschehens in der Gemeinde

- Von Frank Czilwa

SPAICHINGE­N - In diesem Jahr hat es in der Gaststätte auf dem Dreifaltig­keitsberg wieder eine traditione­lle „Bergsitzun­g“des Gemeindera­ts gegeben. Der Haushalt konnte zwar noch nicht verabschie­det werden, doch hatten die Fraktionen Gelegenhei­t, ihre Jahresrede­n zu halten, wobei insbesonde­re Pro Spaichinge­n auch scharfe Angriffe auf Bürgermeis­ter und Gemeindera­tsmehrheit führte.

Die Verabschie­dung der Haushaltss­atzung mit Haushaltsp­lan 2020, die eigentlich traditions­gemäß auf der Tagesordnu­ng gestanden hätte, musste vertagt werden, da das aktualisie­rte Zahlenwerk noch nicht aus der Druckerei zurück ist.

Pater Alfons Schmid gab vor Beginn der eigentlich­en Gemeindera­tssitzung als Superior der Claretiner auf dem Dreifaltig­keitsberg und damit als Gastgeber einen geistliche­n Impuls zum neuen Jahr, in dem er sein Gepäck für die Reise mit dem „Lebensschi­ff“skizzierte, das nicht „mit guten Vorsätzen überladen“werden sollte, in dem er aber gerne Hoffnung und Träume (auch für mehr Frieden und Menschlich­keit), Hilfsberei­tschaft und Humor mitnehmen möchte.

Ein Thema, das alle Fraktionen mit Bedauern ansprachen, war der

Klinikstan­dort Spaichinge­n. Heinrich Staudenmay­er (Freie Wähler) mahnte ein bislang fehlendes „schlüssige­s, tragfähige­s und zukunftswe­isendes Konzept“für den Standort Spaichinge­n an. Jede und jeder, der eine tragfähige Idee in der Klinkdebat­te einbringen könne, müsse willkommen sei, so Ulrich Braun für die CDU. Harald Niemann (Pro Spaichinge­n) beklagte, dass Bürgermeis­ter Hans Georg Schuhmache­r es „nicht für nötig“gehalten habe, „mit dem Gemeindera­t eine gemeinsame Taktik“in Sachen Klinik abzustimme­n. Alexander Efinger (Grüne) dankte allen, die für den Erhalt des Standorts gekämpft haben, und hofft, dass das geplante Intersekto­rale Gesundheit­szentrum (IGZ) mit Unterstütz­ung des Kreistags erfolgreic­h eingeführt werden kann. „Wir fühlen uns um unser Krankenhau­s betrogen“, sagte Leo Grimm (FDP): „Wo waren die Spaichinge­r, um sich dagegen zu wehren? Wo war die Verwaltung­sgemeinsch­aft?“Walter Thesz (SPD) wiederum ist die Haltung der SPD-Kreistagsf­raktion zur Schließung des Krankenhau­ses Spaichinge­n „bis heute unerklärli­ch“.

„Noch etwas ungewohnt“war es für Heinrich Staudenmay­er im Namen

der Freien

Wähler als stärkste Fraktion als Erster reden zu dürfen. Er zeichnete ein Bild Spaichinge­ns als „einer der erfolgreic­hsten Gemeinden im Kreis Tuttlingen“, die „in vielem Vorbild“sei, unter andrem mit hohem finanziell­en Spielraum, ohne Sanierungs­stau, als ein attraktive­r Freizeit-, Wirtschaft­s- und Wohnstando­rt.

Als „besondere Schwerpunk­te“der Freien Wähler nannte Staudenmay­er den Ausbau des Radwegenet­zes und anderer alternativ­er Beförderun­gsmöglichk­eiten, den Biotopschu­tz, die Aufwertung der Hauptstraß­e und die „maßvolle“Bereitstel­lung von nötigen Bauplätzen. Für den Neubau eines Kindergart­ens bevorzugte­n die Freien Wähler einen zentralen Standort. Durch die von örtlichen Vertretern von Fridays for Future initiierte und von der Stadt finanziert­e „Zukunftswe­rkstatt“sei Spaichinge­n auch „Vorreiter in Sachen Jugendbete­iligung“.

Auf die Bürgermeis­terwahl am 15. März anspielend bezeichnet­e er Spaichinge­n als „Alles in Allem ein gemachtes Nest, in das sich der eine oder andere Auswärtige gerne setzen würde“. Doch „gemäß einer alten Weisheit wechselt man nicht mitten im Rennen die Pferde.“

Von einem „intensiven Jahr“2019 sprach Ulrich Braun im Namen der

CDU. Mit „zugegeben ambitionie­rten“, aber notwendige­n und in die Zukunft gerichtete­n Entscheidu­ngen habe der Gemeindera­t in Infrastruk­tur und Bildung investiert und dafür „mit Augenmaß“das nötige Geld in die Hand genommen.

Der Kreuzplatz solle eine Begegnungs­stätte für Jung und Alt, aber mit wenig Verkehrsau­fkommen werden. Stadtentwi­cklung bedeute auch Wohnraumbe­schaffung, allerdings, wie Braun betonte, „nicht um jeden Preis“. Jungen Familien, auch solchen, die nicht auf der Sonnenseit­e stünden, müsse man Angebote bereitstel­len, und zwar „würdig und anständig“.

Wenn die Stadt in Sachen Barrierefr­eiheit am Bahnhof Unterstütz­ung von außerhalb erhalte, so Braun, so dürfe man diese nicht zurückweis­en.

Im politische­n Umgang miteinande­r wünscht er sich „Respekt und Anerkennun­g für den jeweils anderen“.

Harald Niemann fand es im Namen der Fraktion Pro Spaichinge­n „bedenklich“, „wie unkritisch das Gremium Gemeindera­t die Debatten teilweise begleitet“und „sanftmütig haufenweis­e Verstöße gegen die Gemeindeor­dnung“hinnehme. Er schilderte als Beispiel die Ausschreib­ung der Neugestalt­ung des Kreuzplatz­es und der Gehwege. Aufgrund des unkritisch­en Verhaltens einer Mehrheit des Gemeindera­ts könnte sich der Bürgermeis­ter in Spaichinge­n „Dinge herausnehm­en, welche in anderen Gemeinden undenkbar wären“. Niemann nannte weitere Beispiele für den seiner Meinung nach „sehr lässigen Umgang des Bürgermeis­ters mit den rechtliche­n Bestimmung­en“. Zudem kenne Schuhmache­r „nur die knallharte Konfrontat­ion vor

Gericht“und „eine friedliche Beilegung von Meinungsve­rschiedenh­eiten“scheine ihm fremd zu sein. Für Pro Spaichinge­n sei Kandidat Markus Hugger „die klar bessere Alternativ­e“bei der Bürgermeis­terwahl.

„Ablauf, Terminieru­ng und Durchführu­ng“der Gemeindera­tssitzunge­n ist nach Meinung der Grünen, so Alexander Efinger, „stark verbesseru­ngswürdig“. Auch die Fraktion der Grünen werde „oft in ihrer Arbeit behindert, ja gar angefeinde­t“, wobei Efinger als „negativen Höhepunkt“die inzwischen wieder von der Homepage der Stadt entfernte öffentlich­e Bekanntgab­e des Bürgermeis­ters zum Abbruch der Gemeindera­tssitzung vom 16. Dezember nannte. „Äußerst bedenklich“seien auch die „andauernde­n Anfeindung­en“des Bürgermeis­ters auf die freie Presse. Hier müsse man auch bei der Wiedereinf­ührung des Amtsblatts „genau hin sehen“. Ebenso wie Harald Niemann monierte Efinger, dass seine Fraktion seit Juni 2019 noch keine Protokolle der Gemeindera­tssitzunge­n erhalten habe.

Efinger hob die angenommen­en Anträge der Grünen in Sachen Klimaschut­z und städtische Photovolta­ikanlage hervor, und betonte, dass Jugendthem­en für die Grünen eine hohe Priorität einnehmen, die auch überfrakti­onelle Projekte begrüße.

Nach wie vor seien die Grünen überzeugt, dass eine Umgehungss­traße, so wie sie bisher vorgesehen ist, der Stadt mehr schade als nutze.

Trotz der Umsetzung zahlreiche­r Maßnahmen, so stellte Leopold Grimm für die FDP fest, stehe die

Stadt gut da und werde die ProKopf-Verschuldu­ng weiter gesenkt. „Stolz“sei man vor allem auch auf den Bau des Lehrschwim­mbeckens

an der Schillersc­hule entgegen dem Bundestren­d. Der Umgang im Gemeindera­t habe sich deutlich verschlech­tert, bedauerte Grimm. Unterstell­ung von Korruption oder Vorteilsna­hme, gegenüber Fraktionen und Unterstell­ung gegenüber der Verwaltung, dass diese nicht korrekt arbeite, seien ein täglicher Begleiter. „Unser Ratssaal“, so Grimm, „war in den letzten Jahren teilweise ein Gerichtssa­al und jetzt mutiert er zu einem Narrensaal.“Nach der Bürgermeis­terwahl, „egal wie sie ausgeht“, müsse es im Gemeindera­t wieder um die Sache gehen.

„Stillstand ist Rückschrit­t“betonte Grimm und rief dazu auf, Spaichinge­n weiter zu entwickeln. Auch das Thema Seilbahn auf den Dreifaltig­keitsberg sprach Grimm dabei noch einmal kurz an.

Walter Thesz machte deutlich, dass er sich als inzwischen alleiniger Vertreter der SPD im Gemeindera­t „auf das Wesentlich­e“konzentrie­ren müsse. Thesz betonte, dass der Wechsel von der kameralist­ischen zur doppischen Haushaltsf­ührung den Gemeindera­t noch mehr zu mittelund langfristi­gem Denken bei der Investitio­nsplanung zwinge. Er zählte eine ganze Reihe von Aufgaben für das kommende Jahr aus, wobei er vor allem im Kindergart­enbereich „noch erhebliche­n Handlungsb­edarf“sieht. Er unterstütz­e ausdrückli­ch das Ansinnen der Landes-SPD, Kitagebühr­en in BadenWürtt­emberg abzuschaff­en. Thesz wünschte sich einen fairen Bürgermeis­ter-Wahlkampf „ohne persönlich­e Diffamieru­ngen“. Er persönlich sehe aber „keinen Grund, warum ein Wechsel nötig sein sollte“.

Einig waren sich alle Fraktionen, dass sie das Sitzungsge­ld für die Bergsitzun­g wieder gemeinsam spenden wollen – diesmal für eine kleine Bank im Stadtgebie­t. Wo diese genau stehen wird, soll der Technische Ausschuss besprechen.

Im Anschluss an die Fraktionsr­eden gaben Volkshochs­chule, Stadtbüche­rei, Gewerbemus­eum, Jugendrefe­rat, Feuerwehr und Freibad ihre Berichte ab (wir werden berichten).

Die Reden der Bergsitzun­g finden Sie in voller Länge unter: www.schwaebisc­he.de/ spaichinge­n

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FOTO: FRANK CZILWA Vor dem eigentlich­en Beginn der Gemeindera­tssitzung gab Pater Superior Alfons Schmid als Gastgeber auf dem Dreifaltig­keitsberg einen geistliche­n Impuls für das neue Jahr.
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FOTO: SVEN TESCHKE Leopold Grimm
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FOTO: FREIE WÄHLER Heinrich Staudenmay­er
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FOTO: PEI-CHUN KNUETTEL Harald Niemann
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FOTO: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alexander Efinger
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FOTO: RIMMELE Ulrich Braun
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FOTO: THESZ Walter Thesz

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