Spaichingen aus unterschiedlichen Perspektiven
Auf dem Berg zeichnen die Gemeinderatsfraktionen recht verschiedene Bilder des Geschehens in der Gemeinde
SPAICHINGEN - In diesem Jahr hat es in der Gaststätte auf dem Dreifaltigkeitsberg wieder eine traditionelle „Bergsitzung“des Gemeinderats gegeben. Der Haushalt konnte zwar noch nicht verabschiedet werden, doch hatten die Fraktionen Gelegenheit, ihre Jahresreden zu halten, wobei insbesondere Pro Spaichingen auch scharfe Angriffe auf Bürgermeister und Gemeinderatsmehrheit führte.
Die Verabschiedung der Haushaltssatzung mit Haushaltsplan 2020, die eigentlich traditionsgemäß auf der Tagesordnung gestanden hätte, musste vertagt werden, da das aktualisierte Zahlenwerk noch nicht aus der Druckerei zurück ist.
Pater Alfons Schmid gab vor Beginn der eigentlichen Gemeinderatssitzung als Superior der Claretiner auf dem Dreifaltigkeitsberg und damit als Gastgeber einen geistlichen Impuls zum neuen Jahr, in dem er sein Gepäck für die Reise mit dem „Lebensschiff“skizzierte, das nicht „mit guten Vorsätzen überladen“werden sollte, in dem er aber gerne Hoffnung und Träume (auch für mehr Frieden und Menschlichkeit), Hilfsbereitschaft und Humor mitnehmen möchte.
Ein Thema, das alle Fraktionen mit Bedauern ansprachen, war der
Klinikstandort Spaichingen. Heinrich Staudenmayer (Freie Wähler) mahnte ein bislang fehlendes „schlüssiges, tragfähiges und zukunftsweisendes Konzept“für den Standort Spaichingen an. Jede und jeder, der eine tragfähige Idee in der Klinkdebatte einbringen könne, müsse willkommen sei, so Ulrich Braun für die CDU. Harald Niemann (Pro Spaichingen) beklagte, dass Bürgermeister Hans Georg Schuhmacher es „nicht für nötig“gehalten habe, „mit dem Gemeinderat eine gemeinsame Taktik“in Sachen Klinik abzustimmen. Alexander Efinger (Grüne) dankte allen, die für den Erhalt des Standorts gekämpft haben, und hofft, dass das geplante Intersektorale Gesundheitszentrum (IGZ) mit Unterstützung des Kreistags erfolgreich eingeführt werden kann. „Wir fühlen uns um unser Krankenhaus betrogen“, sagte Leo Grimm (FDP): „Wo waren die Spaichinger, um sich dagegen zu wehren? Wo war die Verwaltungsgemeinschaft?“Walter Thesz (SPD) wiederum ist die Haltung der SPD-Kreistagsfraktion zur Schließung des Krankenhauses Spaichingen „bis heute unerklärlich“.
„Noch etwas ungewohnt“war es für Heinrich Staudenmayer im Namen
der Freien
Wähler als stärkste Fraktion als Erster reden zu dürfen. Er zeichnete ein Bild Spaichingens als „einer der erfolgreichsten Gemeinden im Kreis Tuttlingen“, die „in vielem Vorbild“sei, unter andrem mit hohem finanziellen Spielraum, ohne Sanierungsstau, als ein attraktiver Freizeit-, Wirtschafts- und Wohnstandort.
Als „besondere Schwerpunkte“der Freien Wähler nannte Staudenmayer den Ausbau des Radwegenetzes und anderer alternativer Beförderungsmöglichkeiten, den Biotopschutz, die Aufwertung der Hauptstraße und die „maßvolle“Bereitstellung von nötigen Bauplätzen. Für den Neubau eines Kindergartens bevorzugten die Freien Wähler einen zentralen Standort. Durch die von örtlichen Vertretern von Fridays for Future initiierte und von der Stadt finanzierte „Zukunftswerkstatt“sei Spaichingen auch „Vorreiter in Sachen Jugendbeteiligung“.
Auf die Bürgermeisterwahl am 15. März anspielend bezeichnete er Spaichingen als „Alles in Allem ein gemachtes Nest, in das sich der eine oder andere Auswärtige gerne setzen würde“. Doch „gemäß einer alten Weisheit wechselt man nicht mitten im Rennen die Pferde.“
Von einem „intensiven Jahr“2019 sprach Ulrich Braun im Namen der
CDU. Mit „zugegeben ambitionierten“, aber notwendigen und in die Zukunft gerichteten Entscheidungen habe der Gemeinderat in Infrastruktur und Bildung investiert und dafür „mit Augenmaß“das nötige Geld in die Hand genommen.
Der Kreuzplatz solle eine Begegnungsstätte für Jung und Alt, aber mit wenig Verkehrsaufkommen werden. Stadtentwicklung bedeute auch Wohnraumbeschaffung, allerdings, wie Braun betonte, „nicht um jeden Preis“. Jungen Familien, auch solchen, die nicht auf der Sonnenseite stünden, müsse man Angebote bereitstellen, und zwar „würdig und anständig“.
Wenn die Stadt in Sachen Barrierefreiheit am Bahnhof Unterstützung von außerhalb erhalte, so Braun, so dürfe man diese nicht zurückweisen.
Im politischen Umgang miteinander wünscht er sich „Respekt und Anerkennung für den jeweils anderen“.
Harald Niemann fand es im Namen der Fraktion Pro Spaichingen „bedenklich“, „wie unkritisch das Gremium Gemeinderat die Debatten teilweise begleitet“und „sanftmütig haufenweise Verstöße gegen die Gemeindeordnung“hinnehme. Er schilderte als Beispiel die Ausschreibung der Neugestaltung des Kreuzplatzes und der Gehwege. Aufgrund des unkritischen Verhaltens einer Mehrheit des Gemeinderats könnte sich der Bürgermeister in Spaichingen „Dinge herausnehmen, welche in anderen Gemeinden undenkbar wären“. Niemann nannte weitere Beispiele für den seiner Meinung nach „sehr lässigen Umgang des Bürgermeisters mit den rechtlichen Bestimmungen“. Zudem kenne Schuhmacher „nur die knallharte Konfrontation vor
Gericht“und „eine friedliche Beilegung von Meinungsverschiedenheiten“scheine ihm fremd zu sein. Für Pro Spaichingen sei Kandidat Markus Hugger „die klar bessere Alternative“bei der Bürgermeisterwahl.
„Ablauf, Terminierung und Durchführung“der Gemeinderatssitzungen ist nach Meinung der Grünen, so Alexander Efinger, „stark verbesserungswürdig“. Auch die Fraktion der Grünen werde „oft in ihrer Arbeit behindert, ja gar angefeindet“, wobei Efinger als „negativen Höhepunkt“die inzwischen wieder von der Homepage der Stadt entfernte öffentliche Bekanntgabe des Bürgermeisters zum Abbruch der Gemeinderatssitzung vom 16. Dezember nannte. „Äußerst bedenklich“seien auch die „andauernden Anfeindungen“des Bürgermeisters auf die freie Presse. Hier müsse man auch bei der Wiedereinführung des Amtsblatts „genau hin sehen“. Ebenso wie Harald Niemann monierte Efinger, dass seine Fraktion seit Juni 2019 noch keine Protokolle der Gemeinderatssitzungen erhalten habe.
Efinger hob die angenommenen Anträge der Grünen in Sachen Klimaschutz und städtische Photovoltaikanlage hervor, und betonte, dass Jugendthemen für die Grünen eine hohe Priorität einnehmen, die auch überfraktionelle Projekte begrüße.
Nach wie vor seien die Grünen überzeugt, dass eine Umgehungsstraße, so wie sie bisher vorgesehen ist, der Stadt mehr schade als nutze.
Trotz der Umsetzung zahlreicher Maßnahmen, so stellte Leopold Grimm für die FDP fest, stehe die
Stadt gut da und werde die ProKopf-Verschuldung weiter gesenkt. „Stolz“sei man vor allem auch auf den Bau des Lehrschwimmbeckens
an der Schillerschule entgegen dem Bundestrend. Der Umgang im Gemeinderat habe sich deutlich verschlechtert, bedauerte Grimm. Unterstellung von Korruption oder Vorteilsnahme, gegenüber Fraktionen und Unterstellung gegenüber der Verwaltung, dass diese nicht korrekt arbeite, seien ein täglicher Begleiter. „Unser Ratssaal“, so Grimm, „war in den letzten Jahren teilweise ein Gerichtssaal und jetzt mutiert er zu einem Narrensaal.“Nach der Bürgermeisterwahl, „egal wie sie ausgeht“, müsse es im Gemeinderat wieder um die Sache gehen.
„Stillstand ist Rückschritt“betonte Grimm und rief dazu auf, Spaichingen weiter zu entwickeln. Auch das Thema Seilbahn auf den Dreifaltigkeitsberg sprach Grimm dabei noch einmal kurz an.
Walter Thesz machte deutlich, dass er sich als inzwischen alleiniger Vertreter der SPD im Gemeinderat „auf das Wesentliche“konzentrieren müsse. Thesz betonte, dass der Wechsel von der kameralistischen zur doppischen Haushaltsführung den Gemeinderat noch mehr zu mittelund langfristigem Denken bei der Investitionsplanung zwinge. Er zählte eine ganze Reihe von Aufgaben für das kommende Jahr aus, wobei er vor allem im Kindergartenbereich „noch erheblichen Handlungsbedarf“sieht. Er unterstütze ausdrücklich das Ansinnen der Landes-SPD, Kitagebühren in BadenWürttemberg abzuschaffen. Thesz wünschte sich einen fairen Bürgermeister-Wahlkampf „ohne persönliche Diffamierungen“. Er persönlich sehe aber „keinen Grund, warum ein Wechsel nötig sein sollte“.
Einig waren sich alle Fraktionen, dass sie das Sitzungsgeld für die Bergsitzung wieder gemeinsam spenden wollen – diesmal für eine kleine Bank im Stadtgebiet. Wo diese genau stehen wird, soll der Technische Ausschuss besprechen.
Im Anschluss an die Fraktionsreden gaben Volkshochschule, Stadtbücherei, Gewerbemuseum, Jugendreferat, Feuerwehr und Freibad ihre Berichte ab (wir werden berichten).
Die Reden der Bergsitzung finden Sie in voller Länge unter: www.schwaebische.de/ spaichingen