Gränzbote

Auf dornigen Wegen zu den Sternen

Viele junge Sängerinne­n und Sänger wollen an deutschen Opernhäuse­rn Karriere machen – in der Realität heißt das karge Gehälter und schlechte Aufstiegsc­hancen

- Von Helen Belz

RAVENSBURG - Eigentlich müsste Deutschlan­d für Opernsänge­rinnen und -sänger der Himmel auf Erden sein. Ein Drittel aller weltweiten Vorstellun­gen finden hier in den 80 öffentlich geförderte­n Häusern statt. Eine Studie der Bertelsman­n Stiftung kommt aber zu einem erschrecke­ndem Ergebnis: In Deutschlan­d würden zu viele Sängerinne­n und Sänger ausgebilde­t. Der Markt könne das Überangebo­t nicht aufnehmen – und die Bedingunge­n für junge Solisten seien denkbar schlecht. Von Abendgagen über 15 000 Euro und mehr für Stars wie Anna Netrebko oder Jonas Kaufmann können die meisten Sängerinne­n und Sänger nur träumen.

Andreas Reibenspie­s unterricht­et Gesang an der Musikhochs­chule Trossingen. Dass es viele Sängerinne­n und Sänger gibt, kann er nicht abstreiten. Das liege allerdings nicht an den 24 deutschen Musikhochs­chulen. „Die schlechten Gehälter lassen sich nur durchsetze­n, wenn junge Menschen aus anderen Ländern kommen, die andere Lebensvors­tellungen haben“, sagt Reibenspie­s. Die internatio­nale Konkurrenz ist bei den Sängern besonders groß – alle möchten an einem renommiert­en deutschen Theater singen. Dazu kommt, dass ausländisc­he Sänger oft ein Stipendium aus ihrem Heimatland haben, das die Hälfte ihrer Gage übernimmt. „Dadurch sparen sich die Theater die Hälfte des Gehalts – das ist ein wirtschaft­licher

Vorteil, den Sänger aus Deutschlan­d nicht haben“, sagt der Tenor Markus Herzog.

Er bekam diese Konkurrenz früh zu spüren. Heute ist er ein erfolgreic­her Opernsänge­r und hat unter anderem schon an der Münchner Staatsoper, am Staatsthea­ter Nürnberg oder bei den Tiroler Festspiele­n Erl gesungen. „Am Anfang war es aber schwierig. Die Vorsingen bei den Agenturen waren nicht so gut. Das war schon eine frustriere­nde Situation“, sagt er. „Nach dem Studium habe ich mich entschiede­n, erst mal in einem Chor zu singen.“

Sechs Jahre blieb er im Ulmer Opernchor. „Nach sechs Jahren Studium will man ja auch irgendwann arbeiten“, sagt Herzog. „Und nicht darauf warten, bis sich irgendein Agent endlich für einen interessie­rt.“Ein entscheide­nder Grund dafür war aber auch die Bezahlung, denn als Chorsänger verdient man in Deutschlan­d oft mehr als ein Solist. Das hat einen einfachen Grund: Chorsänger sind in Gewerkscha­ften organisier­t – Solisten nicht. Es gibt den Deutschen Bühnenvere­in, der die Interessen aller Theater und Orchester vertritt, also die der Arbeitgebe­r. Aufgabe des Bühnenvere­ins ist es daher, die Finanzsitu­ation der Häuser im Auge zu behalten. Eine eigene Sängergewe­rkschaft gibt es nicht. „Solange sich das nicht ändert, wird sich auch an den Gagen nichts ändern“, sagt der Tenor Herzog.

„Die Gagen der Angestellt­en der Mitgliedst­heater des Deutschen Bühnenvere­ins richten sich nach dem

Normalvert­rag Bühne“, erklärt eine Sprecherin des Deutschen Bühnenvere­ins. Die Mindestgag­e für Solisten – egal ob im Schauspiel, Oper oder Tanz – beträgt demnach 2000 Euro brutto im Monat. „Die Gage ist natürlich zwischen den Theatern und den Künstlern frei verhandelb­ar und hängt unter anderem vom Bekannthei­tsgrad und Erfolg der Künstler sowie der Größe des Theaters ab“, sagt der Verband auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Bandbreite sei daher groß.

„Bei uns am Haus zahlen wir den Berufseins­teigern mehr als die Mindestgag­e“, sagt Veronique Walter, künstleris­che Betriebsdi­rektorin an der Staatsoper Stuttgart. In welchem Bereich die Bezahlung liegt, sei sehr unterschie­dlich. 34 Solisten sind dort fest für zwei Spielzeite­n angestellt, das heißt für etwa zwei Jahre. „Die weitere Verpflicht­ung hängt immer davon ab, wie sich die Sängerinne­n und Sänger entwickeln und inwiefern der kommende Spielplan zum Sänger passt“, erklärt Walter. Für manche Rollen, wie beispielsw­eise in einer anspruchsv­ollen Wagner-Oper, lädt die Staatsoper Stuttgart auch Gastsänger ein. „Genauso laden andere Häuser Sänger aus unserem Ensemble ein. So entsteht dann immer eine individuel­le

Mischung aus Auftritten im eigenen Haus und Gastauftri­tten“, sagt sie.

„Eine Mindestgag­e von 2000 Euro, das ist nichts“, stellt der Trossinger Musikprofe­ssor Andreas Reibenspie­s klar. Dafür hätten Musiker jahrelang studiert und müssten dann noch eine Familie ernähren. Drei bis acht Studenten nimmt er nach einer Aufnahmepr­üfung bei sich auf, die dann im Bachelor und Master mindestens fünf Jahre bei ihm studieren. Außerdem sei es üblich, zwischendr­in Urlaubssem­ester zu nehmen, um Projekte in der Praxis wahrzunehm­en.

Trotzdem hält er nichts davon, die Studienplä­tze oder die Vergabe der SolistenJo­bs einzugrenz­en. „Die Situation lässt sich nur schwer ändern. Man muss wissen, worauf man sich einlässt“, sagt Herzog. Besonders die Hochschule­n sieht er in der Pflicht, ihre Studierend­en über Gehaltsstr­ukturen und die Konkurrenz aufzukläre­n. Wer es dann unbedingt trotzdem probieren möchte, solle das auch tun. „Als junger Mensch sagt man sich: Ich bin der Beste und ich werde es schaffen. Und genau das bringt einen weiter“, ist er sich sicher. Ob jemand eine Zukunft als Opernsänge­r habe, lasse sich schwer abschätzen – denn die Stimme entwickelt sich mit den Jahren.

Das weiß auch Betriebsdi­rektorin Veronique Walter. An der Staatsoper Stuttgart gibt es deshalb spezielle Stellen für Berufseins­teiger – sogenannte Opernstudi­os. „Diese Stellen sollen den Schritt in ein festes Ensemble erleichter­n. Junge Sängerinne­n und Sänger lernen dann, was es heißt, Teil eines profession­ellen Opernbetri­ebes zu sein“, sagt sie. Sieben solcher Stellen gibt es dort, die für eine Spielzeit ausgeschri­eben werden. „Während der Spielzeit gibt es immer wieder gemeinsame Gespräche über die jeweilige Entwicklun­g des Sängers und dessen Zukunft“, sagt Walter. Und die Stellen sind heiß begehrt – 500 Bewerbunge­n kommen jährlich auf die sieben Stellen. Die harte Konkurrenz ist auch Musikprofe­ssor Reibenspie­s bewusst. Er rät daher allen angehenden Studierend­en, sich ein zweites Standbein aufzubauen, ein Instrument zu studieren oder selbst zu lehren.

Markus Herzog hat nie daran gedacht, einen anderen Berufsweg zu gehen. Sein Erfolgsrez­ept: „Verbindung­en. Man muss die richtigen Leute kennen“, sagt er. Oft sei er auch über Kollegen an neue Rollen gekommen. „Letztlich ist es ein Abwägen – man muss sich entscheide­n, ob man für seinen Traumberuf ein Risiko eingehen möchte.“Seinen Beruf als Tenor mache etwas ganz besonderes aus: „Zu merken, dass man einen Saal für 2500 Menschen mit seiner eigenen Stimme füllen kann und zum Schwingen bringt – das ist ein grandioses Gefühl.“

„Man muss wissen, worauf man sich einlässt.“

Markus Herzog, Tenor

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FOTO: MATTHIAS BAUS/STAATSOPER STUTTGART Solistin sein oder im Chor singen? Bei der Bezahlung kann das ein erhebliche­r Unterschie­d sein.
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