Thema Kirchensteuer lockt nur wenige an
Zum Auftakt der „Horizonte“-Reihe geht es um die Finanzen der evangelischen Kirche
TUTTLINGEN - Die Kirchensteuer in der Evangelischen Landeskirche war das Thema der Podiumsdiskussion zum Auftakt der Reihe „Horizonte“der Evangelischen Erwachsenenbildung. Groß war das Interesse der Tuttlinger daran allerdings nicht: „Beschämend“fand ein Besucher, dass sich am Donnerstag nur zehn Zuhörer dazu im Evangelischen Gemeindehaus Tuttlingen eingefunden hatten.
Der Abend war deshalb weniger geprägt von einer Kontroverse über die grundsätzliche Berechtigung der Kirchensteuer. Vielmehr erhielten die Besucher einen umfassenden Einblick in die Strukturen der Kirchenfinanzierung.
Wie ist das aktuelle Kirchenbesteuerungssystem historisch gewachsen? Dazu referierte zunächst Dieter Kleinmann, Pfarrer i.R., Volkswirt und ehemaliger Landtagsabgeordneter: Nach den napoleonischen Kriegen eigneten sich die deutschen Fürsten im Zuge der Säkularisation als Ausgleich zu ihren Verlusten kirchliches Vermögen an. Mit ihren Gütern verloren die Kirchen auch die Möglichkeit, ihre Gebäude zu unterhalten und ihre Pfarrer zu bezahlen. Schrittweise übernahmen deshalb die Fürsten im Lauf des 19. Jahrhunderts diese Aufgabe. Zur eigenen finanziellen Entlastung erlaubten sie den Kirchen, dafür Steuern zu erheben.
Nach dem Krieg wurde als Grundrecht die Religionsfreiheit im Grundgesetz verankert. Darüber hinaus erhalten im Artikel 140 des Grundgesetzes alle Religionsgemeinschaften, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sind, das Recht, Steuern zu erheben.
Wie Kirchensteuer heute erhoben wird, führte Kleinmann weiter aus: Der derzeitige Kirchensteuersatz, der jährlich von der Landessynode festgelegt wird, beträgt in BadenWürttemberg acht Prozent. Besteuert wird auf der Grundlage von Lohn-, Einkommens- und Kapitalertragssteuer. Kirchensteuern sind als Sonderausgaben steuerlich abzugsfähig. Wer mehr als 2,75 Prozent Kirchensteuer bezahlt, kann einen Antrag auf „Kappung“stellen. Der Staat behält drei Prozent der Steuer selber ein.
Wohin geht das Steuergeld? Das erläuterte Martin Bauch, Verwaltungswissenschaftler und ehemaliger Oberbürgermeister von Geislingen, der auch Mitglied der Landessynode war. Zuletzt hätte die Evangelische Landeskirche Württemberg bereinigt 632 Millionen Euro aus Kirchensteuern eingenommen. „Die Hälfte der Kirchensteuern erhalten die Gemeinden“, sagte Bauch. „Die andere Hälfte geht an die Landeskirche – die wiederum den Großteil davon für die Pfarrer ausgibt.“Neben den aktiven Pfarrern müsse die Landeskirche auch für die Ausbildung sowie für die Versorgung der Ruheständler aufkommen. Zudem habe sie 6500 Immobilien und 1500 Kirchen instandzuhalten.
Negativ wirke sich bei der Finanzierung der Rückgang der Mitglieder aus: Von 2,3 Millionen sei in Württemberg die Zahl der Kirchenmitglieder in zehn Jahren auf 1,99 Millionen zurückgegangen. Für 2060 prognostiziere ein Freiburger Institut nur noch eine Million Mitglieder. „186 000 Austritte in den letzten sechs Jahren entsprechen bei gleichbleibender Pastorationsdichte 109 Pfarrstellen, die eingespart werden müssen“, sagte Bauch. „Wir müssen heute Rücklagen bilden, um auch in Zukunft die laufenden Personalkosten und die zunehmenden Kosten für die Versorgung der Ruheständler zu sichern.“Vorgesehen sei dafür in den nächsten zehn Jahren eine Milliarde Euro.
Wie finanzieren sich die Gemeinden? Dazu Wolfgang Staiger, Leiter der Verwaltungsstelle der Kirchenbezirke Tuttlingen, Balingen und Sulz: „Schon für die laufenden Geschäfte reicht die Kirchensteuer in der Regel nicht aus.“Zu den Personalkosten, etwa für Mesner, Sekretärinnen oder Kirchenmusiker, kämen Kosten für Gebäudeunterhalt, Substanzerhaltungsrücklagen, Umlagen und Arbeitsmaterial wie Computer. Kirchliche Haushalte müssten ohne Schulden auskommen, deshalb würden zur Deckung der Defizite weitere Einnahmequellen herangezogen: Opfer aus Gottesdiensten, Spenden, Vermächtnisse und Gebühren, etwa für Kindergärten. Zudem erhalte die Kirche staatliche Leistungen, wenn sie im sozialen Bereich kommunale Aufgaben wahrnehme, etwa in Beratungsstellen.
In einer kurzen Diskussion sah Bauch die Trennung von Staat und Kirche nicht gefährdet, weil die Kirche sich durch die Kirchensteuer eigenverantwortlich organisieren könne, auch im kirchlichen Arbeitsrecht. Als Alternative zum oft diskutierten Einzug der Kirchensteuern durch die öffentliche Hand sah Pfarrer Dober die Abgabe direkt an die jeweilige Gemeinde, und damit eine Gefahr: „Wir würden uns wieder um die einzelnen Kirchtürme scharen.“
Bauch war der Ansicht, dass Kirche ihre derzeitigen Aufgaben, auch in der Diakonie und Caritas, als wichtiger Teil der Gesellschaft, nur in den bestehenden Verwaltungsstrukturen weiter wahrnehmen könne: „Man müsste sonst die Organisation der Kirche ganz neu denken. “