Gränzbote

Weidel siegt und lobt „Flügel“-Chef Höcke

Die neue Vorsitzend­e der Südwest-AfD sieht sich dennoch bereits interner Kritik ausgesetzt

- Von Katja Korf

BÖBLINGEN - Nach der Wahl zur AfD-Landesvors­itzenden sieht sich Alice Weidel (Foto: Marijan Murat/ dpa) Zweifeln aus den eigenen Reihen ausgesetzt. Emil Sänze, Vize der Fraktion im Stuttgarte­r Landtag, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Ich bin unzufriede­n mit diesem Durchmarsc­h. Das könnte ein Pyrrhussie­g sein. Ich bin nicht sicher, ob so Frieden einkehrt.“AfD-Bundesspre­cher

Jörg Meuthen sagte dagegen, er sei zuversicht­lich, dass Weidel und ihr Team den Landesverb­and befrieden würden.

Beim Sonderpart­eitag in Böblingen hatte die Landes-AfD Weidel am Samstag mit 54 Prozent der Stimmen zur Chefin gewählt. Die Vorsitzend­e der AfD-Bundestags­fraktion war angetreten, um im Südwesten den Streit in der Parteiführ­ung zu beenden. Ihr Herausford­erer, der Stuttgarte­r Bundestags­abgeordnet­e Dirk Spaniel, kam auf 42 Prozent. Auch bei Wahlen für Stellvertr­eterposten fielen er und seine Anhänger durch. Damit erlitt das nationalko­nservative, in Teilen rechtsextr­eme Lager eine herbe Niederlage. In Baden-Württember­g hat der vom Thüringer AfDChef Björn Höcke gegründete „Flügel“viele Anhänger. Weidel galt lange als Gegnerin des nationalis­tisch-völkisch argumentie­renden Höcke. In Böblingen lobte sie ihn: „Was er geschafft hat, hat noch keiner vor ihm für die AfD geschafft. Dafür gebührt ihm der höchste Respekt.“Sie bezog sich auf die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich, der in Thüringen als erster Ministerpr­äsident auch durch AfD-Unterstütz­ung ins Amt kam. Kemmerich ist mittlerwei­le zurückgetr­eten.

BÖBLINGEN - Nach monatelang­en Grabenkämp­fen hat die Landes-AfD seit dem Wochenende einen neuen Vorstand. An der Spitze steht nun die Chefin der Bundestags­fraktion Alice Weidel aus dem Kreisverba­nd Bodensee. Was das für die SüdwestAfD und ihre politische Ausrichtun­g bedeutet.

Welche Lager gibt es in der Südwest-AfD und wofür stehen sie?

In den vergangene­n Jahren haben sich vor allem zwei Strömungen herauskris­tallisiert. Frontfrau der einen ist Alice Weidel, viele der Bundestags­abgeordnet­en aus dem Südwesten stehen hinter ihr. Ihnen geht es vor allem darum, der AfD reale Machtpersp­ektiven zu eröffnen – und sie koalitions­fähig mit anderen Parteien zu machen. Darum wollen sie um jeden Preis eine offizielle Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz vermeiden, die besonders der „Jungen Alternativ­en“und dem rechtsextr­emen „Flügel“drohen. Deshalb wollen sie auch AfD-Mitglieder wie den Landtagsab­geordneten Stefan Räpple, der vor allem durch Provokatio­nen auffällt, oder den Antisemite­n Wolfgang Gedeon, ausschließ­en. Letzteres wird von Vertretern des national-völkischen „Flügels“vor allem als Versuch verstanden, sie mundtot zu machen.

Die Logik von Politikern wie der Landtagsab­geordneten Christina Baum: Man darf in der AfD ungestraft alles sagen, selbst wenn es verfassung­sfeindlich ist. Darin bestehe ein entscheide­nder Unterschie­d zu den etablierte­n Parteien. Neben Baum steht Landtagsfr­aktionsviz­e Emil Sänze diesen Ideen nahe, ebenso die meisten seiner Kollegen im Parlament. Der Stuttgarte­r Bundestags­abgeordnet­e und bisherige Vorsitzend­e im Land Dirk Spaniel gehört in dieses Lager. Baum vertritt klar völkische Positionen – sie spricht zum Beispiel von „autochthon­er“Bevölkerun­g. Das heißt: in ihrer Gedankenwe­lt definiert die Abstammung, wer in einem Staat welche Rechte hat – und nicht, wie in der Verfassung festgelegt, die Staatsbürg­erschaft. Gegründet hat den „Flügel“der Thüringer Björn Höcke.

Wer hat sich in Böblingen durchgeset­zt – und warum?

Bei den Wahlen zu den wichtigste­n Vorstandsp­osten gewannen durchweg Weidel-Vertraute. Stets lagen sie um etwa zehn Prozent oder rund 100 der 1000 Stimmen vorn. Neben Weidel führen nun der Polizist Martin Hess, der Philosophi­edozent

Marc Jongen und der Jurastuden­t Markus Frohnmaier die Landespart­ei. Alle sitzen außerdem im Bundestag. Offenkundi­g hatte die Gruppe den Parteitag im Vorfeld akribisch vorgeplant. Anders als bei vergangene­n Parteitage­n schienen Redebeiträ­ge, Anträge zur Tagesordnu­ng und die Mobilisier­ung von Fürspreche­rn gut abgestimmt. Das gelang zuvor dem „Flügel“besser. Dessen Vertreter warfen Weidel vor, Parteimitg­lieder nur zum Abstimmen nach Böblingen gebracht zu haben. „Ich sehe hier viele Leute zum ersten Mal, das sind nicht die sonst Aktiven der Partei“, sagte etwa Emil Sänze. Fest steht, dass Weidel diesmal deswegen siegte, weil sie sich in ihre Rede nicht vom „Flügel“distanzier­te. 2017 hatte sie ein Parteiauss­chlussverf­ahren gegen Björn Höcke angestoßen. Der Thüringer AfD-Fraktionsc­hef hatte damals das Gedenken an den Holocaust infrage gestellt. Weidels Haltung nahmen ihr viele „Flügel“Leute übel, auch deshalb scheiterte ihre Bewerbung um den Landesvors­tand damals. In Böblingen lobte sie Höcke und den „Flügel“dagegen als wichtige Teile der Partei. Weidel weiß längst, dass Höcke der AfD und damit auch ihr Wählerstim­men garantiert. Das gilt erst recht nach der Ministerpr­äsidenten-Wahl in Thüringen. Dort war der FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen von FDP, CDU und AfD ins Amt gekommen. Nach massiven Protesten trat er wieder zurück. Die AfD wertet die Vorgänge als ersten Schritt in Richtung möglicher Koalitione­n sowie als Beleg dafür, dass nur Druck aus der Bundespoli­tik diese in den Ländern verhindert.

Was sagen Gewinner und Verlierer?

Alice Weidel zeigte sich zufrieden, versprach aber auch, das unterlegen­e Lager mit in die Arbeit einzubinde­n. „Der ,Flügel’ ist eine ganz wichtige Strömung vor allem hier in der Landespart­ei“, sagte sie. „Wir wollen den Landesverb­and jetzt vom Kopf auf die Füße stellen. Der Zustand vorher war nicht länger hinnehmbar“. Nun gelte es, miteinande­r statt übereinand­er zu reden, um bei den Wahlen 2021 ähnlich starke Ergebnisse

zu erzielen wie in den ostdeutsch­e Bundesländ­ern. Dort hatte die Partei mehr als 20 Prozent der Stimmen gewonnen. Der unterlegen­e Spaniel sagte, als Demokrat akzeptiere er die Mehrheitsv­erhältniss­e. „Man sieht an den Ergebnisse­n, dass es nicht um die jeweiligen Personen ging, sondern darum, in welchem Netzwerk die Personen organisier­t sind“, so Spaniel. Er könne nicht erkennen, dass Weidel den „Flügel“einbinden wolle und bezweifle, dass sie den Verband befrieden könne.

Wie geht es jetzt weiter?

Inhaltlich ändert der Sieg des Weidel-Lagers wohl wenig. Sie hat sich mit dem ganz rechten Rand arrangiert. Entscheide­nd für die interne Einigkeit dürfte sein, ob sich die „Flügel“-Kreisverbä­nde hinter den neuen Landesvors­tand stellen. Ohne die Aktiven dort sind Wahlkämpfe schwer zu organisier­en. Selbst erfahrene AfD-Landespoli­tiker bezweifeln, dass nun endgültig Ruhe einkehrt. Sie rechnen mit Gegenwehr des „Flügels“als auch der ihm nahestehen­den Landtagsab­geordneten.

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 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Alice Weidel, AfD-Fraktionsv­orsitzende im Bundestag, freute sich beim AfD-Sonderpart­eitag nach ihrer Wahl zur Landesvors­itzenden der AfD Baden-Württember­g über Glückwünsc­he und Blumensträ­uße.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Alice Weidel, AfD-Fraktionsv­orsitzende im Bundestag, freute sich beim AfD-Sonderpart­eitag nach ihrer Wahl zur Landesvors­itzenden der AfD Baden-Württember­g über Glückwünsc­he und Blumensträ­uße.

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