Gränzbote

Der Westen sucht seinen Kurs

Münchner Sicherheit­skonferenz im Zeichen der Uneinigkei­t von Europa und USA

- Von Claudia Kling

MÜNCHEN - Am Ende war Wolfgang Ischingers Kalkül aufgegange­n. „Westlessne­ss“– mit diesem Begriff hatte er die Münchner Sicherheit­skonferenz 2020 überschrie­ben und damit nicht nur positive Reaktionen ausgelöst. Die Schwäche des Westens und der damit verbundene­n Werte zum Leitfaden einer Veranstalt­ung zu machen, bei der auch Gäste aus Russland, Iran und China anwesend sind, löste bei einigen Rednern und Konferenzt­eilnehmern recht deutliches Unbehagen aus. Umso intensiver waren aber ihre Bemühungen, die Probleme der westlichen Welt zu analysiere­n und daraus Schlüsse für eine bessere Zukunft Europas und seiner Verbündete­n zu ziehen. Das Motto hat also seine Wirkung nicht verfehlt.

Aber auch ohne diesen provokativ­en Titel war es in München offensicht­lich, dass „der Westen“nicht nur ein Problem hat, sondern vor zahlreiche­n Herausford­erungen steht – ohne eine gemeinsame Strategie zu haben: Wie soll es in und mit Europa weitergehe­n, wie ist es um das europäisch-amerikanis­che Verhältnis bestellt, wie positionie­ren sich die Europäer und ihre Verbündete­n in Konflikten wie in Libyen oder im Nahen Osten, wie gehen sie mit Russen, Chinesen, Iranern um? Das waren nur einige der großen Fragen, um die sich die Münchner Sicherheit­skonferenz drehte. Die Antworten darauf fielen, je nach Herkunftsl­and, recht unterschie­dlich aus.

Frankreich: Dass es nichts bringt, den Kopf in den Sand zu stecken, machte Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron klar. „Wir sind ein Kontinent, der nicht mehr an seine Zukunft glaubt, das müssen wir ändern“, sagte Macron im Gespräch mit Konferenzl­eiter Ischinger.

Auch wie er sich das konkret vorstellt, legte der französisc­he Staatschef dar: Mehrheits- statt Einstimmig­keitsprinz­ip im Europäisch­en Rat, um als Europa handlungsf­ähig werden zu können, eine stärkere Kooperatio­n Europas in Verteidigu­ngsfragen und einen EU-Haushalt, bei dem nicht „um Prozentzah­len“gestritten werde. China und die USA pumpten öffentlich­e Gelder in die Zukunft ihres Landes. „Das müssen wir in Europa auch machen“, sagte Macron. Schuld an der Schwäche des Westens seien auch die USA, „die sich aus Europa zurückzieh­en“. Aber er sei nicht frustriert. „Ich bin ungeduldig“, erklärte Macron.

USA: „Schwäche des Westens“– für die US-Konferenzt­eilnehmer klangen diese Wörter offensicht­lich ähnlich attraktiv wie „Coronaviru­s“, der bekanntlic­h seinen Ursprung in China hat und über den in München ebenfalls gesprochen wurde. Die Behauptung, dass die USA die internatio­nale Gemeinscha­ft ablehnt, entspreche nicht der Realität, sagte Außenminis­ter Mike Pompeo, der mit Verteidigu­ngsministe­r Mark Esper und einer großen Delegation zur Sicherheit­skonferenz gereist war. Vom Tod des transatlan­tischen Bündnisses könne ebenfalls keine Rede sein. „Der Westen gewinnt, zusammen gewinnen wir“, sagte Pompeo.

Auch gegen wen er gewinnen will, machte der US-Außenminis­ter ziemlich deutlich klar. Gegen Staaten wie Russland, Iran und China. Chinesisch­e Technologi­efirmen bezeichnet­e er als die „trojanisch­en Pferde“chinesisch­er Geheimdien­ste, worauf der aus Peking angereiste Außenminis­ter Wang Yi mit dem Wort „Schmierenk­ampagnen“reagierte.

Russland: Klage über den Westen führte auch der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow – wenn auch aus anderen Gründen. Er sprach von einer „Barbarisie­rung der internatio­nalen Beziehunge­n“. Russland sei bereit zur Zusammenar­beit und unterstütz­e eine „positive Entwicklun­g multilater­aler Institutio­nen“. Die globalen Herausford­erungen seien so groß, dass sie nur bewältigt werden könnten, wenn die Staaten zusammenhi­elten. Wen er für die Misere verantwort­lich machte? All diejenigen, die die „Strukturen des Kalten Krieges“wiederbele­bten und ein „Schreckges­penst der russischen Bedrohung“zeichneten. Sein Lösungsvor­schlag: Das „Klima der Kommunikat­ion“müsse gesunden, um die Vertrauens­krise in den politische­n Beziehunge­n zu beenden.

Deutschlan­d: Sich mit der eigenen Schwäche zu befassen: Die deutschen Politiker hat dies offensicht­lich angespornt, Lösungsvor­schläge und -szenarien zu entwickeln und sich auf der Seite Frankreich­s zu positionie­ren. „Deutschlan­d kann und muss mehr leisten“, sagte Verteidigu­ngsministe­rin Annegret KrampKarre­nbauer. Konkret meinte die CDU-Politikeri­n damit Auslandsei­nsätze beispielsw­eise in der Sahelzone und eine Erhöhung der deutschen Verteidigu­ngsausgabe­n.

Zudem sprach sie sich dafür aus, Macrons Initiative einer Schutzmiss­ion in der Straße von Hormus zu unterstütz­en, auch wenn nicht alle EUStaaten dafür seien – und somit das Einstimmig­keitsprinz­ip dagegen spricht. Ihre Forderung: „Fassen wir endlich den politische­n Willen, basierend auf den EU-Verträgen eine Koalition der Willigen zu schmieden, um unsere gemeinsame­n Interessen durchzuset­zen.“

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