Sie springen ein, wenn’s nicht rund läuft
Ehemalige Fachkräfte helfen Auszubildenden bei Schwierigkeiten im Betrieb
BAD BUCHAU/RAVENSBURG - Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Mit ihnen beginnt der Ernst des Lebens. Sprüche, die – so pauschalisierend sie sind – einen wahren Kern haben. Denn der Übergang vom Schul- ins Berufsleben ist oft ein schwieriger Schritt. Lehrlinge müssen sich anpassen, in Hierarchien eingliedern – und arbeiten. Der Griff zum Smartphone ist verboten, der zur Zigarette außerhalb der Pausen auch. Und der Werktag beginnt morgens um acht Uhr und zwar jeden Morgen. Und wenn dann der Lehrherr noch auf Pünktlichkeit, Fleiß und Korrektheit besteht, bleiben Konflikte nicht aus. Konflikte, die das Ausbildungsverhältnis belasten, unerträglich machen, ja, zum Scheitern bringen können.
Und Scheitern ist keine Ausnahme. Jeder vierte Azubi in Deutschland bricht seine Ausbildung ab. Nur zwei davon setzen sie bei einem anderen Unternehmen fort. Der Senior Experten Service (SES), der als Berater in ehrenamtlicher Tätigkeit frühere Fach- und Führungskräfte in Unternehmen vermittelt, hat sich des Problems angenommen. Die Organisation mit Sitz in Bonn, die auch im Südwesten aktiv ist und hinter der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft stehen, hat das Programm „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“(VerA) gegründet.
Der Bad Saulgauer Albert Deutsch ist ein solcher Experte, er unterstützt Auszubildende mit Problemen am Arbeitsplatz. Der gelernte Schlosser hilft den Azubis ehrenamtlich dabei, eine neue Stelle zu finden. Denn oft ist die Situation im Betrieb so verfahren, dass der Lehrling dort nicht bleiben kann. So ging es Max Siegert vor mehr als zwei Jahren in seiner Lehre zum Feinwerkmechaniker: „Im alten Betrieb ist es nicht rund gelaufen“, erzählt der 21-Jährige. Deutsch hat ihm geholfen einen neuen Ausbildungsbetrieb zu finden. Jetzt lernt er im dritten Jahr Zerspanungsmechaniker beim Maschinenbauer Kessler und in der Werkstatt des nahegelegenen Donnerhofs in Bad Buchau. Probleme will der Rentner im Vorfeld im persönlichen Gespräch aus dem Weg schaffen. Siegert erzählt: „Er spricht mit dem Meister darüber, wie es läuft und wie ich mich mache.“
Vor einem Jahr hat Experte Deutsch einen weiteren Azubi an Kessler vermittelt: Rainer Hohl hat damals dringend eine neue Ausbildungsstelle zum Industriekaufmann gesucht. Der 21-Jährige beendete vor einem Jahr sein Ausbildungsverhältnis, da er das Betriebsklima in der ehemaligen Firma nicht mehr ertragen hatte. „Für mich war es in dieser Situation wichtig einen Ansprechpartner zu haben“, sagt der 21-Jährige. Ohne Albert Deutsch hätte er wohl nicht so nahtlos weiterarbeiten können.
Dass Deutsch nicht nur mit großer Berufserfahrung, sondern auch mit zahlreichen Kontakten aufwarten kann, kommt ihm in seinem Ehrenamt zugute. Dabei ist der ehemalige Schlosser nicht allein durch seinen Beruf in der Region gut vernetzt. Vielmehr nimmt der 71-Jährige noch immer die Gesellenprüfung von Feinwerk- und Zerspanungsmechanikern ab. Er kennt die Betriebe und Ausbilder vor Ort. Daher könne er abschätzen, welcher Auszubildende gut in welchen Betrieb passe.
Welcher Senior-Experte zu welchem Azubi passt, weiß man beim
SES offenkundig ebenso. So hat der Service den ehemaligen Geschäftsführer Franz Mattes mit dem Azubi Mustafa Almasri zusammengebracht. Der 27-jährige Syrer arbeitet bei Südpack in Ochsenhausen im Vertrieb. Die beiden setzen sich einmal in der Woche zusammen und gehen Rechenaufgaben oder Fachtexte durch. Mattes ist Betriebswirt und hat in vielen unterschiedlichen Branchen gearbeitet – zum Beispiel Telekommunikation, Gütertransport und Rohstoffförderung. Sein Wissen gibt er jetzt an Jüngere weiter. „Die letzten zehn Jugendlichen, die ich begleitet habe, haben die Prüfung gut bestanden“, erzählt Begleiter Franz Mattes. Der Rentner schätzt, dass sechs von ihnen aufgrund schlechter Noten ihren Abschluss sonst nicht geschafft hätten.
Die Sprache und die deutsche Bürokratie sind Mustafa Almasris Hürden. Mattes erklärt ihm Fachbegriffe in einfachem Deutsch und beantwortet alle Fragen des Auszubildenden. Der 27-Jährige ist nicht der typische Auszubildende, den Franz Mattes begleitet. „Er hat Ehrgeiz und sein Ziel vor Augen“, sagt Mattes über den Syrer, der vor fünf Jahren nach Deutschland kam. Anders als die heutige Generation der Azubis. Die nämlich, ließen oft den nötigen Ehrgeiz vermissen, findet Mattes, der nicht ausschließlich Auszubildende seines Fachs begleitet. Wenn er sich Maurern, Kranken- oder Altenpflegern annehme, gehe es vorwiegend um Umgangsformen: Manche machen zu oft Pausen oder streiten mit Kollegen. Für andere ist es nicht einmal selbstverständlich, regelmäßig zur Arbeit zu gehen.