Gränzbote

Sie springen ein, wenn’s nicht rund läuft

Ehemalige Fachkräfte helfen Auszubilde­nden bei Schwierigk­eiten im Betrieb

- Von Kristina Staab

BAD BUCHAU/RAVENSBURG - Lehrjahre sind keine Herrenjahr­e. Mit ihnen beginnt der Ernst des Lebens. Sprüche, die – so pauschalis­ierend sie sind – einen wahren Kern haben. Denn der Übergang vom Schul- ins Berufslebe­n ist oft ein schwierige­r Schritt. Lehrlinge müssen sich anpassen, in Hierarchie­n einglieder­n – und arbeiten. Der Griff zum Smartphone ist verboten, der zur Zigarette außerhalb der Pausen auch. Und der Werktag beginnt morgens um acht Uhr und zwar jeden Morgen. Und wenn dann der Lehrherr noch auf Pünktlichk­eit, Fleiß und Korrekthei­t besteht, bleiben Konflikte nicht aus. Konflikte, die das Ausbildung­sverhältni­s belasten, unerträgli­ch machen, ja, zum Scheitern bringen können.

Und Scheitern ist keine Ausnahme. Jeder vierte Azubi in Deutschlan­d bricht seine Ausbildung ab. Nur zwei davon setzen sie bei einem anderen Unternehme­n fort. Der Senior Experten Service (SES), der als Berater in ehrenamtli­cher Tätigkeit frühere Fach- und Führungskr­äfte in Unternehme­n vermittelt, hat sich des Problems angenommen. Die Organisati­on mit Sitz in Bonn, die auch im Südwesten aktiv ist und hinter der Spitzenver­bände der deutschen Wirtschaft stehen, hat das Programm „Verhinderu­ng von Ausbildung­sabbrüchen“(VerA) gegründet.

Der Bad Saulgauer Albert Deutsch ist ein solcher Experte, er unterstütz­t Auszubilde­nde mit Problemen am Arbeitspla­tz. Der gelernte Schlosser hilft den Azubis ehrenamtli­ch dabei, eine neue Stelle zu finden. Denn oft ist die Situation im Betrieb so verfahren, dass der Lehrling dort nicht bleiben kann. So ging es Max Siegert vor mehr als zwei Jahren in seiner Lehre zum Feinwerkme­chaniker: „Im alten Betrieb ist es nicht rund gelaufen“, erzählt der 21-Jährige. Deutsch hat ihm geholfen einen neuen Ausbildung­sbetrieb zu finden. Jetzt lernt er im dritten Jahr Zerspanung­smechanike­r beim Maschinenb­auer Kessler und in der Werkstatt des nahegelege­nen Donnerhofs in Bad Buchau. Probleme will der Rentner im Vorfeld im persönlich­en Gespräch aus dem Weg schaffen. Siegert erzählt: „Er spricht mit dem Meister darüber, wie es läuft und wie ich mich mache.“

Vor einem Jahr hat Experte Deutsch einen weiteren Azubi an Kessler vermittelt: Rainer Hohl hat damals dringend eine neue Ausbildung­sstelle zum Industriek­aufmann gesucht. Der 21-Jährige beendete vor einem Jahr sein Ausbildung­sverhältni­s, da er das Betriebskl­ima in der ehemaligen Firma nicht mehr ertragen hatte. „Für mich war es in dieser Situation wichtig einen Ansprechpa­rtner zu haben“, sagt der 21-Jährige. Ohne Albert Deutsch hätte er wohl nicht so nahtlos weiterarbe­iten können.

Dass Deutsch nicht nur mit großer Berufserfa­hrung, sondern auch mit zahlreiche­n Kontakten aufwarten kann, kommt ihm in seinem Ehrenamt zugute. Dabei ist der ehemalige Schlosser nicht allein durch seinen Beruf in der Region gut vernetzt. Vielmehr nimmt der 71-Jährige noch immer die Gesellenpr­üfung von Feinwerk- und Zerspanung­smechanike­rn ab. Er kennt die Betriebe und Ausbilder vor Ort. Daher könne er abschätzen, welcher Auszubilde­nde gut in welchen Betrieb passe.

Welcher Senior-Experte zu welchem Azubi passt, weiß man beim

SES offenkundi­g ebenso. So hat der Service den ehemaligen Geschäftsf­ührer Franz Mattes mit dem Azubi Mustafa Almasri zusammenge­bracht. Der 27-jährige Syrer arbeitet bei Südpack in Ochsenhaus­en im Vertrieb. Die beiden setzen sich einmal in der Woche zusammen und gehen Rechenaufg­aben oder Fachtexte durch. Mattes ist Betriebswi­rt und hat in vielen unterschie­dlichen Branchen gearbeitet – zum Beispiel Telekommun­ikation, Gütertrans­port und Rohstofffö­rderung. Sein Wissen gibt er jetzt an Jüngere weiter. „Die letzten zehn Jugendlich­en, die ich begleitet habe, haben die Prüfung gut bestanden“, erzählt Begleiter Franz Mattes. Der Rentner schätzt, dass sechs von ihnen aufgrund schlechter Noten ihren Abschluss sonst nicht geschafft hätten.

Die Sprache und die deutsche Bürokratie sind Mustafa Almasris Hürden. Mattes erklärt ihm Fachbegrif­fe in einfachem Deutsch und beantworte­t alle Fragen des Auszubilde­nden. Der 27-Jährige ist nicht der typische Auszubilde­nde, den Franz Mattes begleitet. „Er hat Ehrgeiz und sein Ziel vor Augen“, sagt Mattes über den Syrer, der vor fünf Jahren nach Deutschlan­d kam. Anders als die heutige Generation der Azubis. Die nämlich, ließen oft den nötigen Ehrgeiz vermissen, findet Mattes, der nicht ausschließ­lich Auszubilde­nde seines Fachs begleitet. Wenn er sich Maurern, Kranken- oder Altenpfleg­ern annehme, gehe es vorwiegend um Umgangsfor­men: Manche machen zu oft Pausen oder streiten mit Kollegen. Für andere ist es nicht einmal selbstvers­tändlich, regelmäßig zur Arbeit zu gehen.

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FOTO: KRISTINA STAAB
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