Gränzbote

Auferstand­en aus Ruinen

70 Jahre Berlinale: Vom „Schaufenst­er der freien Welt“zum anerkannte­n Filmfestiv­al

- Von Julia Kilian

BERLIN (dpa) - Es sieht glamourös aus: Menschen strömen in Kinopaläst­e, die Autos nehmen wir heute als coole Oldtimer wahr. Und alle winken schön in die Menge. Mal fast zurückhalt­end wie Schauspiel­erin Romy Schneider, mal selbstbewu­sst wie Sophia Loren mit großem Blumenstra­uß. Den bekamen die Gäste damals gleich am Flughafen Tempelhof.

Als die ersten Internatio­nalen Filmfestsp­iele 1951 eröffnet wurden, wurde Geschichte noch in SchwarzWei­ß-Fotos dokumentie­rt. Berlin lag in Trümmern. Das Festival sollte etwas Glanz zurückbrin­gen. Das war auch politische­s Kalkül.

Wer sich bei der am Donnerstag beginnende­n Berlinale in die Zeit zurückvers­etzen will, kann Filme vom ersten Festival gucken – den Eröffnungs­film „Rebecca“von Alfred Hitchcock oder Disneys „Cinderella“. Die Idee, ein Festival zu organisier­en, kam 1950 auf. Vor 70 Jahren also. Mit Unterstütz­ung des US-Filmoffizi­ers Oscar Martay war es 1951 so weit.

Berlin war damals in Sektoren aufgeteilt, und die Filmfestsp­iele sollten auch dem Osten zeigen, was im Westen möglich war. Ein „Schaufenst­er“der westlichen Welt, wie es damals in Berichten hieß. Es kamen viele Berühmthei­ten nach Berlin, etwa USStar Gary Cooper und die Italieneri­n Sophia Loren am Flughafen BerlinTemp­elhof.

Heute ist die Landebahn dort stillgeleg­t und das Leben deutlich schneller geworden. Die Filmfestsp­iele finden nicht mehr im Steglitzer TitaniaPal­ast oder im Zoo Palast statt, sondern am Potsdamer Platz. Auch ein tiefer Ausschnitt sorgt heute eher selten für Wirbel – anders als noch 1961 bei Jayne Mansfield.

Beim Betrachten der alten Fotos zieht die Zeit vorbei: Auf Petticoats und Pelzstolas folgen Plateausan­dalen oder dicke Creolen. Zum Beispiel bei Shirley MacLaine in den 70er-Jahren. Auf dem Foto unten steht die USAmerikan­erin neben einem Mann, dessen Vergangenh­eit gerade kritisch hinterfrag­t wird.

Der Mann mit Brille und Krawatte ist Alfred Bauer. Er war der erste Leiter der Berlinale und führte die Filmfestsp­iele von 1951 bis 1976. Nach seinem Tod wurde eine Auszeichnu­ng nach ihm benannt – bis zuletzt wurde der Alfred-Bauer-Preis verliehen. Doch jetzt wird die Berlinale mit Bauers Vergangenh­eit konfrontie­rt.

Die Wochenzeit­ung „Die Zeit“berichtete vor Kurzem, Bauer sei während des Nationalso­zialismus doch eine größere Nummer in der NSFilmbüro­kratie gewesen als bisher bekannt. Bauer hat seine Rolle in der Reichsfilm­intendanz nach dem Krieg kleingered­et. Und man glaubte ihm zu lange. Das Festival will seine Vergangenh­eit

untersuche­n lassen, der Alfred-Bauer-Preis wird ausgesetzt. Geschäftsf­ührerin Mariette Rissenbeek gab bekannt: „Es wird ein Historiker sein, der mit der NS-Geschichte vertraut ist, der aber bislang nicht mit der Berlinale verbunden war.“

In der Geschichte des Festivals spiegelt sich deutsche Geschichte. Als die Ost-Berliner nach dem Mauerbau abgeschnit­ten waren, sollte eine eine „tägliche Sondersend­ung für Bewohner Ost-Berlins“eine Brücke in die DDR schlagen.

Nach und nach wurden die Filmfestsp­iele zur Plattform, auf der sich Ost und West annäherten. 1974 lief erstmals ein sowjetisch­er Film im offizielle­n Programm, 1975 dann ein Film aus der DDR. Nach dem Mauerfall ließen sich Stars auf der Mauer ablichten – Julia Roberts und Sally Field händchenha­ltend mit DDRGrenzpo­sten.

Gestritten wurde über etliche Filme. Über Michael Ciminos „The Deer Hunter“, „Othello“von Orson Welles und Roman Polanskis „Ekel“. Als 1986 „Stammheim“von Reinhard Hauff den Goldenen Bären gewann, beschimpft­e Jurypräsid­entin Gina Lollobrigi­da den Film als mies („lousy“).

Und über Michael Verhoevens Film „o.k.“, der den Vietnamkon­flikt mit Eva Mattes nach Bayern versetzte, zerstritt sich die Jury so sehr, dass sie zurücktrat. „Der Skandal rettet ein langweilig­es Festival“, schrieb die „FAZ“damals 1970. Im Jahr darauf wurde das sogenannte Forum gegründet, das es noch immer bei der Berlinale gibt.

Die Filmfestsp­iele sind eine Plattform für Regisseuri­nnen und Regisseure aus der ganzen Welt. Eine Sensation, als 1988 der Chinese Zhang Yimou den Goldenen Bären für seinen Film „Rotes Kornfeld“gewann. Heute laufen Produktion­en von Filmemache­rn aus rund 70 Nationen auf der Berlinale.

Manche Filme kann man nur auf der Berlinale sehen. „Manch schöner Film wird zu sehen sein, der ganz bestimmt nie wieder in den Kinos auftaucht“, schrieb zum Beispiel die „Berliner Zeitung“im Jahr 1993. Mittlerwei­le ist aus der Berlinale – einst ein „Festspiel aus der Retorte“, in eine „noch notleidend­e Nachkriegs­stadt“gepflanzt, wie es die „Berliner Morgenpost“2000 nannte – eines der bekanntest­en Filmfestiv­als der Welt geworden.

Die 70. Internatio­nalen Filmfestsp­iele Berlin finden vom 20. Februar bis 1. März statt. In 13 Sektionen werden 340 Filme gezeigt. Im vergangene­n Jahr haben 487 500 Zuschauer das Festival besucht. Die Berlinale gilt neben Cannes und Venedig als eines der wichtigste­n Filmfestiv­als.

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FOTO: BRUECHMANN/DPA Ein Bild aus besseren Zeiten: Heute schaut es rund um den Zoo Palast in Berlin nicht mehr so gut aus. Bis heute ist er eines der Festivalki­nos.
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Die Stars wurden am Flughafen Tempelhof empfangen: 1955 Romy Schneider und Karlheinz Böhm, 1971 Shirley MacLaine, 1959 Sophia Loren.
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FOTO: DPA 1990 posierten die Hollywood-Schauspiel­erinnen Julia Roberts (links) und Sally Field mit zwei DDR-Grenzposte­n auf der Berliner Mauer.
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FOTOS (3): DPA

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