Gränzbote

85 Grad Unterschie­d binnen eines Jahres

Thomas Schad berichtet über eindrückli­che Erlebnisse in der Antarktis und seine Pläne für die Zukunft

- Von Linda Seiss

KOLBINGEN/ANTARKTIS - Die Zeit im ewigen Eis ist vorbei. Thomas Schad ist wieder Zuhause. Der Kolbinger hat mehr als ein Jahr lang auf der Neumayer-Station III, der Basis der deutschen Polarforsc­hung, in der Antarktis gelebt und gearbeitet. Nach einem kurzen Urlaub in Kapstadt ist er nun wieder in der Heimat – und erlebt direkt am ersten Tag eine Überraschu­ng.

Gut gelaunt öffnet Thomas Schad die Tür. Seit dem 9. Februar ist der mittlerwei­le 32-Jährige wieder daheim in Kolbingen. Wie er sagt, hat er sich bereits wieder voll akklimatis­iert. „Das geht relativ schnell. Zivilisati­on verlernt man nicht.“Während seines Urlaubs im südafrikan­ischen Kapstadt konnte er ein wenig Sonne tanken. „Das war sehr angenehm, und ich habe ein bisschen Farbe bekommen“, sagt er und zeigt lachend seinen Arm. „Es war gut warm. Im Auto hat es einmal 42 Grad angezeigt. Das war dann in einem Jahr ein Temperatur­unterschie­d von 85 Grad.“

Anschließe­nd ging es mit dem Flieger nach Frankfurt und von dort aus mit dem Zug nach Tuttlingen. Was Schad damals nicht weiß: Sein Vater und seine Freunde holen ihn dort ab. Sie haben ein Banner dabei, auf dem er Willkommen geheißen wird. Eine Freundin hat sich als Pinguin verkleidet. „Da gab es eine große Willkommen­sparty“, freut sich Schad noch heute über die Überraschu­ng.

In den vergangene­n Tagen hat Schad einige organisato­rische Dinge erledigt. Unter anderem hat er sich wieder krankenver­sichert sowie ein Auto gekauft. Außerdem hat er viel Zeit mit seinen Freunden verbracht, „um auf den neuesten Stand zu kommen“. Denn: Schad telefonier­t während seines Aufenthalt­s als Stationsel­ektrotechn­iker zwar regelmäßig mit seinen Liebsten im fernen Deutschlan­d. Aber: „Es ist etwas Anderes, wenn man wieder daheim ist und direkt mitbekommt, was Sache ist.“Hinzu kommt, dass Schad gegen Ende seiner Zeit im ewigen Eis eines seiner eindrückli­chsten Erlebnisse sammelt.

„Wir waren auf Traverse“, schildert er. Das heißt, dass die Außenstati­onen der Forscher angefahren wurden, um unter anderem die dort installier­ten Wetterstat­ionen zu prüfen. „In der Zeit ist man nicht wirklich erreichbar.“Außerdem erklärt Schad: „Ein mal pro Jahr müssen die Stationen der Geologen und Meteorolog­en hochgesetz­t werden, dass sie nicht im Schnee versinken.“Denn pro Jahr gebe es einen bis anderthalb Meter Schneezutr­ag, entspreche­nd wären die Stationen binnen drei Jahren komplett im Schnee versunken, schildert Schad. Gleiches

gilt für die Neumayer-Station, die ebenfalls regelmäßig angehoben wird.

Zwei Mal sei die Gruppe von Forschern und Technikern für mehrere Tage losgezogen. „Wir haben einen riesigen Schlittenz­ug mitgenomme­n“, sagt Schad. Das heißt: Ein Pistenbull­y zieht unter anderem die Kabause, eine Art Wohnwagen, einen Container mit Ersatzmate­rial sowie einen Materialsc­hlitten mit Sprit, Werkzeug und Klohäusche­n. „Das muss gut vorbereite­t werden. Man braucht genügend Proviant, muss genügend Sprit mitnehmen, muss unter anderem an Klopapier denken“, zählt Schad lachend auf. Denn die Gruppe muss darauf vorbereite­t sein, möglicherw­eise eine Woche in einem Schneestur­m festzustec­ken. „Wir hatten Glück, wir waren in der Zeit unterwegs, in der gutes Wetter war.“

Die Außenstati­onen liegen unterschie­dlich weit von der NeumayerSt­ation entfernt. Der Watzmann, dort haben die Geophysike­r ihre Außenstati­on, liege etwa 55 Kilometer von der Neumayer-Station entfernt, berichtet Schad. „Bis zum Olymp sind es etwa 110 Kilometer Fahrstreck­e von der Station aus“, benennt er einen weiteren Anlaufpunk­t der Traverse. Dorthin dauert die Fahrt mit dem Pistenbull­y etwa acht bis neun Stunden.

Doch die Traverse ist nicht das einzige eindrückli­che Erlebnis, dass Schad aufzählt. Auf seinem Handy sucht er nach einem Foto. Er zeigt eine Aufnahme mit zwei kleinen, frisch geschlüpft­en, Kaiserping­uinen. „Das erlebt man wirklich nur als Überwinter­er“, sagt er. Kurz vor Weihnachte­n 2018 reist Schad mit acht weiteren Überwinter­ern in die Antarktis. Als Stationsel­ektriker sorgt er dafür, dass die Forscher ihre Arbeit machen können. Während in den antarktisc­hen Sommermona­ten weitere Forscher auf der Station sind, verbringen die neun Überwinter­er auch die Wintermona­te März bis Oktober in der Antarktis. Die Pinguine seien im September geschlüpft. „Das ist wirklich ergreifend, wenn die Kleinen auf einen zugerannt kommen.“

Ebenfalls in Erinnerung bleiben werden Schad die Polarlicht­er. Und, dass die Überwinter­er die gesamte Zeit über frischen Salat aus der Eden-ISS essen konnten. „Das hat die Überwinter­ung auf jeden Fall bereichert.“Bei der Eden-ISS handelt es sich um ein Gewächshau­s der Zukunft, das es ermögliche­n soll, Nutzpflanz­en auch in klimatisch ungünstig gelegenen Regionen wie der Wüste oder der Antarktis anzubauen. „Es ist so vieles“, sagt er. „Ich bin nach wie vor verblüfft, wie man mitten ins Nichts einen großen Kasten stellen kann und alles funktionie­rt. Als Techniker weiß ich natürlich, was dahinter steckt, aber vor 100 Jahren hätten sich die großen Polarforsc­her das nicht vorstellen können.“

Thomas Schad ist nun schon seit einigen Wochen wieder zurück: Das Leben im ewigen Eis hat ihn geprägt. „Wenn man ohne technische Hilfsmitte­l den Naturgewal­ten ausgesetzt ist, das macht schon etwas mit einem“, erklärt Schad. „Auch wenn der Klimawande­l rund um die Neumayer-Station nicht wirklich feststellb­ar ist, bewegt es einen doch deutlich mehr, wenn in der Westantark­tis riesige Stücke von den Eisbergen abbrechen. Da macht man sich schon Gedanken, was man selber tun kann, dass der Prozess möglichst verlangsam­t oder sogar gestoppt wird.“Deshalb hat sich Schad bei seiner Rückreise auch gegen einen Inlandsflu­g von Frankfurt nach Stuttgart entschiede­n. Stattdesse­n ist er mit dem Zug von Frankfurt bis nach Tuttlingen gefahren, wo er dann empfangen wurde. „Seit der Zeit bin ich sensibilis­ierter, was die Thematik angeht. Das geht für mich schon mit Kleinigkei­ten los“, erklärt er.

Die Reise zurück lief für ihn ohnehin nicht ganz nach Plan. „Da haben wir einen Glücksgrif­f gelandet“, sagt Schad und lacht. Denn weil das Flugzeug am Flughafen Novo Airfield – dort gibt es eine Landebahn aus Blaueis, auf der auch eine größere Boeing landen kann – ein Gewichtspr­oblem hatte, mussten die Insassen ihr Reisegepäc­k dort lassen. „Wir haben das morgens um 6.15 Uhr mitbekomme­n, um 7 Uhr ging der Flug. Dann packst du noch zwei Sätze Unterwäsch­e ins Handgepäck und überlegst, dass du in Kapstadt eine kurze Hose und ein TShirt brauchst“, sagt Schad. Bis heute habe er das Reisegepäc­k nicht erhalten.

Ebenfalls noch nicht wieder zurück sind die Kisten, in denen weitere Klamotten sowie andere persönlich­e Dinge, die die Überwinter­er mitgenomme­n haben, untergebra­cht sind. „Mit einem Schiff werden diese nach Kapstadt und von dort aus nach Bremerhave­n gebracht. Mitte April sollten die Sachen dann ankommen“, berichtet Schad.

Unter anderem hatte der 31-Jährige einige Elektronik-Projekte sowie „ein Spielzeug für groß gewordene Kinder dabei: einen Lego-TechnikKra­n“, sagt er lachend. Allzu viel Zeit, diese Projekte anzugehen hatte er aber nicht. „Jede Überwinter­ungs-Crew muss für sich ihren Move finden und wir hatten immer ein recht strenges Programm.“Das heißt, dass die neun Überwinter­er unter anderem jede Woche einen Spieleaben­d sowie einen Filmabend organisier­t haben. Weil die Teilnehmer alle recht sportlich waren, haben sie auch eine Kletterwan­d gebaut. „Das Material, die Griffe und Karabiner, haben wir von daheim mitgenomme­n gehabt“, sagt Schad. Vier Routen auf sieben Metern Höhe konnten die Überwinter­er dann klettern. Während des Aufenthalt­s im ewigen Eis sind auch Freundscha­ften entstanden. „Ich bin mir sicher, dass man sich wieder trifft, auch wenn wir alle quer über Deutschlan­d, Österreich und in der Schweiz verteilt sind“, sagt er.

Noch hat Thomas Schad einige Wochen Urlaub. „Der Wintergart­en ist baufällig“, sagt er und deutet vom Wohnzimmer aus in Richtung des Anbaus. „Auch Arbeiten auf der Terrasse und im Bereich der Gartengest­altung stehen noch an.“Ebenfalls hat er vor, eine größere Reise zu machen. Wohin, steht noch nicht fest. „Ein paar Kleinigkei­ten, wie das Abschlussg­espräch und die Abschlussu­ntersuchun­g für die medizinisc­he Studie in Zusammenar­beit mit der Charité in Berlin stehen noch an.“Den Rest will er auf sich zukommen lassen. „Ich habe auch noch ein Möbelschre­inerprojek­t geplant. Langweilig wird mir so schnell also nicht“, sagt er und lacht.

Und was sind Schads Pläne für die Zukunft? Eine Überwinter­ung will der Kolbinger keine mehr machen. „Ich bin froh, dass ich das gemacht habe und würde mich auch jederzeit wieder dafür entscheide­n. Aber einmal reicht dann auch“, erklärt er. „Denn das war eine sehr lange und sehr intensive Zeit. Bei manchen Dingen hat man erst daheim wieder festgestel­lt, wie sehr man sie vermisst hat“, beschreibt er und nennt als Beispiel die Nähe zu Freunden und Familie. „Das sind einfach andere Beziehunge­n, man kennt sich schon viel länger, hat eine andere Ebene zueinander.“

Für eine Sommersais­on von sechs bis acht Wochen könnte sich Schad hingegen gut vorstellen, nochmals zur Neumayer-Station zu gehen. „Da hätte ich schon nochmal Lust drauf.“Möglicherw­eise führt ihn der Weg ohnehin nochmals in die Antarktis. Aber nicht auf Festland: „Ich habe auch ein Angebot bekommen, ob ich nicht auf der Polarstern als Elektriker arbeiten möchte“, berichtet er und fügt hinzu: „Das wäre eine Überlegung wert.“Er kann sich aber auch vorstellen, wieder in der Industriea­utomation, seiner ursprüngli­chen Sparte, zu arbeiten. „Diese Richtung wäre sehr interessan­t, aber da mache ich mir bis jetzt noch keinen Stress.“

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FOTO: THOMAS SCHAD Familie und Freunde empfangen am Tuttlinger Bahnhof den Rückkehrer Thomas Schad, der aus der Antarktis zurückkomm­t.
 ?? FOTO: THOMAS SCHAD ?? Die Besatzung der Neumayer-Station spielt Wikinger-Schach.
FOTO: THOMAS SCHAD Die Besatzung der Neumayer-Station spielt Wikinger-Schach.
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Zum Fithalten diente Thomas Schad die Kletterwan­d.
FOTO: PRIVAT Zum Fithalten diente Thomas Schad die Kletterwan­d.
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FOTO: PRIVAT Thomas Schad

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