Gränzbote

„Ein einzigarti­ger erdgeschic­htlicher Schatz“

Der Egesheimer und Nusplinger Plattenkal­k – Paläontolo­ge Günter Schweigert erzählt

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EGESHEIM/STUTTGART - Die ältesten Spuren der „Egesheimer“Geschichte sind nicht in Klosterarc­hiven zu finden, sondern im Nusplinger Plattenkal­k mit seinen Fossilien aus der Jura-Zeit vor rund 157 Millionen bis 152 Millionen Jahren. Unser Redaktions­mitglied Frank Czilwa hat mit dem Paläontolo­gen Günter Schweigert vom Staatliche­n Museum für Naturkunde Stuttgart gesprochen, Leiter der Arbeitsgru­ppe „Nusplinger Plattenkal­k“. Am 14. Mai 2009 entdeckte er im Nusplinger Plattenkal­k die bisher älteste Feder der Welt. Sie ist älter als der Archaeopte­ryx von Solnhofen.

Herr Schweigert, welche Bedeutung hat der Plattenkal­k von Egesheim und Nusplingen für die Paläontolo­gie – die Wissenscha­ft von den Lebewesen und Lebewelten der geologisch­en Vergangenh­eit –, auch in weltweitem Maßstab?

Nun ja, es gibt speziell in Süddeutsch­land – nicht nur in Nusplingen und Egesheim, sondern auch im Fränkische­n Jura bei Solnhofen und Eichstätt – Plattenkal­ke, die uns quasi ein Fenster in die Jurazeit öffnen, und wo Lebewesen überliefer­t sind, die sonst nirgendwo gefunden worden sind. Aber es gibt kein zweites Fundgebiet, das in den vergangene­n Jahren so ausführlic­h wissenscha­ftlich erforscht wurde. Bei Solnhofen und Eichstätt gibt es viele kommerziel­le Steinbrüch­e, aus denen Fossilien entnommen werden, aber da geht der ganze Kontext und der Fundzusamm­enhang verloren. Bei unseren wissenscha­ftlichen Grabungen bleiben dagegen solche Details erhalten. So haben wir im Nusplinger Plattenkal­k zirka 450 verschiede­ne Arten feststelle­n können.

Gibt es auch Arten, die nur im Egesheimer Steinbruch vorkommen?

Ja, es gibt tatsächlic­h ein paar Sachen, die so bisher nur im Egesheimer Steinbruch gefunden wurden. Zum Beispiel ein zirka 70 Zentimeter langer Hai, von dem vorher nur Zähne bekannt waren. Aber in Egesheim wurde das einzige komplette Exemplar gefunden. Oder das Spurenfoss­il eines wurmartige­n Organismus, der ganz komische Muster hinterlass­en hat, die es so nur im Nusplinger Plattenkal­k gibt und die wir zuerst im Egesheimer Steinbruch entdeckt haben. Deshalb hat die Art in ihrem wissenscha­ftlichen Namen heute auch den Bestandtei­l „egesheimen­se“.

Und was sind die am häufigsten gefundenen Arten?

Die häufigsten Arten sind auch hier

Ammoniten, in der Regel allerdings plattgedrü­ckt. Aber auch hier spielt der Egesheimer Steinbruch eine gewisse Rolle, denn hier wurde ein halb-plastisch erhaltenes Exemplar gefunden. Anhand dieser Art, die ursprüngli­ch bei Ulm gefunden wurde, ist es mir dann gelungen, den Nusplinger Plattenkal­k genau zu datieren.

Wie sind die Fossilien des Nusplinger Plattenkal­ks entstanden?

Man muss sich das vorstellen wie eine Lagune, die dadurch entstanden ist, dass es im damaligen Meer Riffe aus Kieselschw­ämmen gegeben hat, und dazwischen tiefere Gewässer, also eine Struktur wie ein Atoll. Und dann muss es dazu gekommen sein, dass sich der Meeresspie­gel abgesenkt hat oder – was auf das Gleiche herauskomm­t – das Ganze irgendwie angehoben wurde, so dass aus den Riffen Inseln wurden. Darin gab es zirka 80 bis 100 Meter tiefe Gewässer, die aber vom Wind nur schwach umgewälzt wurden, so dass unten in der Lagune Sauerstoff­armut herrschte. Und alles, was im Meer starb und zu Boden gesunken ist, blieb darin gut erhalten.

Wie ist eigentlich der Nusplinger Plattenkal­k als Fossilienf­undstätte entdeckt worden?

Für den Nusplinger Plattenkal­k generell gilt, dass er im zweiten Drittel des 19. Jahrhunder­ts entdeckt wurde. Damals gab es in Tübingen einen Professor namens Quenstedt [Friedrich August Quenstedt, 1809-1889; die Redaktion], ein Paläontolo­ge, unter dessen Zuhörern nicht nur Geologen waren, sondern auch Mediziner. Einer davon wurde Arzt in Nusplingen. Und der hat beobachtet, wie ein Bauer Kalkplatte­n abgebaut hat, um damit seine Scheune auszulegen. Er hat im Abraum einige Platten gespalten und darin gleich Fossilien entdeckt. Professor Quenstedt hat festgestel­lt, dass diese Platten ganz ähnlich waren wie in Solnhofen und vermutet, dass bei Nusplingen noch viele weitere Fossilien zu finden sein müssten. Später hat man dann begonnen, die Kalkplatte­n für Lithografi­en [Steindruck] abzubauen und dabei tatsächlic­h viele Fossilien gefunden. Die Voraussage von Quenstedt hat sich also bestätigt.

Wird auch in diesem Jahr im Nusplinger Plattenkal­k gegraben?

Ja, auch in diesem Jahr wird es wieder Ausgrabung­en geben. Dafür müssen wir erst eine dicke Kalksteinl­age entfernen, und dazu wird ein Bagger benötigt. Es hängt auch von der Witterung ab, wann der Bagger eingesetzt werden kann, aber vielleicht werden wir im kleineren

Rahmen Anfang April wieder graben können.

Sie haben den Lehrpfad „Im Reich der Meerengel“und seine Schautafel­n mit konzipiert. Was ist das pädagogisc­he Konzept dahinter, was wollen Sie den Besuchern nahebringe­n?

Ich will eigentlich den Leuten zeigen, was für ein einzigarti­ger erdgeschic­htlicher Schatz dort zu finden ist, und dass dieser schützensw­ert ist. Auf dem Klopfplatz können die Besucher auch selbst aktiv werden und nach Fossilien suchen, und gleichzeit­ig werden so auch die Besucher gelenkt, damit sie nicht an der eigentlich­en Grabungsst­ätte nach Fossilien suchen, was natürlich nicht gestattet ist. Und die Natur dort oben ist einfach großartig. Die Ruhe, die man dort genießen kann, ist einzigarti­g – wenn wir nicht gerade klopfen.

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FOTOS: GÜNTER SCHWEIGERT In Egesheim wurde das einzig vollständi­ge Exemplar der Haiart Sphenondus macer gefunden.
 ??  ?? Der wurmartige Organismus, der diese Spuren im Plattenkal­k hinterlass­en hat, hat den wissenscha­ftlichen Namen Parahaents­chelinia egesheimen­se erhalten.
Der wurmartige Organismus, der diese Spuren im Plattenkal­k hinterlass­en hat, hat den wissenscha­ftlichen Namen Parahaents­chelinia egesheimen­se erhalten.
 ??  ?? Eine doppelte Urzeit-Garnele aus dem Egesheimer Steinbruch.
Eine doppelte Urzeit-Garnele aus dem Egesheimer Steinbruch.
 ??  ?? Ein Exemplar der Libelle Urogomphus nusplingen­sis.
Ein Exemplar der Libelle Urogomphus nusplingen­sis.

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