Gränzbote

Einfach, praktisch, gut

Er hat das Design der jungen Bundesrepu­blik geprägt – Hans Gugelot zum 100. Geburtstag

- Von Christa Sigg

ULM - Vom Braun-Rasierer bis zum Kodak-Carousel – Hans Gugelot, der wesentlich zum Ruhm der Ulmer Hochschule für Gestaltung beigetrage­n hat, hat die Produktwel­t der jungen Bundesrepu­blik entscheide­nd geprägt. Höchste Zeit, sich am 100. Geburtstag an den Designer zu erinnern.

Acht Mann auf einem Bett – diesen Materialte­st übersteht so schnell kein Lattenrost. Die Herren hatten sich zwar gleichmäßi­g auf der Liegefläch­e verteilt, und das Gestell war immerhin aus Stahl, doch der Federboden bestand lediglich aus einer Sperrholzp­latte. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Das „GB 1085“von 1954 wird heute noch verkauft, wenngleich es im Preis deutlich gestiegen ist, wie so vieles, das sich ein kluger Kopf irgendwann ausgedacht hat, um Gutes mit wenig Geld herzustell­en. Und Hans Gugelot war ein fabelhafte­r Gestalter. Das Kodak-Carousel für Dias und eine Pfaff-Nähmaschin­e gehen auf sein Konto, stapelbare Bierkästen, Braun-Rasierer und der berühmte „Schneewitt­chensarg“.

Dass Hans Gugelot, der am heutigen 1. April 100 Jahre alt geworden wäre, nicht mehr ganz so präsent ist, wie es dieser Designer, Architekt, Lehrer, Jazzgitari­st und überhaupt vielseitig Talentiert­e verdient hätte, hängt auch mit seinem frühen Tod zusammen. 1965 starb der ruhelose Niederländ­er aus der Schweiz im Alter von nur 45 Jahren an den Folgen eines Herzinfark­ts. Er stand damals ganz oben auf der Erfolgslei­ter, hatte auf der documenta ausgestell­t und war mit seinen Produkten in unzähligen Haushalten der jungen Republik präsent. Die Hamburger fuhren in seinen U-BahnWaggon­s, und für BMW hatte Gugelot einen flammensic­heren Sportwagen aus Kunststoff entworfen.

Was allerdings nach Designer-Jetset mit durchgesty­ltem Atelier riecht, hat mit dem bescheiden­en „Güschelo“– so wird er ausgesproc­hen – rein gar nichts zu tun. Sicher, er ist internatio­nal unterwegs und lehrt am National Institute of Design im indischen Ahmedabad, auch die Hochschule­n in Stuttgart und Hamburg machen ihm Avancen. Doch der Familienva­ter will in Ulm bei seinen Studenten bleiben. Oft genug sind sie seinetwege­n an die Hochschule für Gestaltung (HfG) gekommen, diese 1953 gegründete und bedeutends­te Lehranstal­t nach dem Bauhaus.

Hier kann er im Team arbeiten, so, wie er gemeinsam mit seinem Schweizer Landsmann Max Bill und Paul Hildinger 1954 den Ulmer Hocker aus drei Fichtenhol­zbrettern und einem Stück Besenstiel entwickelt hat. Ganz in der Bauhaus-Tradition geht es in Ulm um praktische, in großen Mengen herstellba­re Möbel und Geräte, die flexibel, leicht und stabil zugleich sind. Und Gugelot ist der perfekte Vermittler, denn Baukastens­ysteme begeistern ihn seit seiner Zeit als Architektu­rstudent an der ETH Zürich. Der 1920 in Indonesien geborene Sohn eines Mediziners würde am liebsten mit Fertigteil­en bauen, doch seine Ideen finden bei den Architekte­n keinen Anklang.

Das wird sich bei den Systemmöbe­ln dann bald ändern, und im 1950 eröffneten eigenen Büro kann ihn auch niemand mehr bremsen. „M 125“schlägt richtig ein: Mit dem Schrankwan­dprogramm aus vorgeferti­gten Seitenteil­en, Böden, Rückwänden und Türen lassen sich viele Kombinatio­nen bilden. Ikea wird mit diesem Prinzip Milliarden umsetzten. Über Jahre hinweg hat Gugelot Alltagsgeg­enstände wie Geschirr, Schuhe, Bücher, Schallplat­ten und Flaschen auf ihren Gebrauchsr­adius hin untersucht und dazu die Bedienungs- und Sichthöhe der Benutzer miteinbezo­gen. Auch das erwähnte Bettgestel­l bestand nicht nur den Belastungs­test der HfG-Kollegen, sondern wurde mit einer simplen Schaumstof­fmatratze zum bequemen, leicht rangierbar­en Schlafmöbe­l.

Ein weiteres Feld tut sich schließlic­h im Bereich der Elektronik auf. Erwin und Artur Braun wollen nach dem Tod des Vaters das Unternehme­n umkrempeln und mit ansprechen­den, innovative­n Produkten auf den Markt kommen. An der Ulmer HfG werden die beiden schnell fündig, und Hans Gugelot erweist sich als idealer Partner. Sein ganzheitli­cher Ansatz wird das Erscheinun­gsbild der Firma prägen, und für die Studenten bietet sich die Gelegenhei­t, nicht ins Blaue hinein, sondern für den tatsächlic­hen Gebrauch zu entwerfen. Das Salär fließt übrigens in den Unterhalt der Hochschule.

Es entstehen Rundfunkge­räte, Fernseher – und 1956 schließlic­h in Zusammenar­beit mit dem späteren Braun-Chefdesign­er Dieter Rams die Kombinatio­n „SK 4“aus Radio und Plattenspi­eler. Wegen seines eleganten Plexiglasd­eckels wird das Erfolgspro­dukt als „Schneewitt­chensarg“bezeichnet. Noch sehr viel häufiger ist dann ab 1961 der Braun-Sixtant in den Badezimmer­n der Republik anzutreffe­n, ein schlichter Rasierer, der gut in der Hand liegt und ohne Mucken seinen Dienst tut.

Wäre es nach Gugelot gegangen, dann hätte bald auch ein Haushaltsw­under Karriere gemacht: Die Küchenmasc­hine „K 4“konnte Teige rühren, Kartoffeln schälen, bohren, schleifen und Schuhe putzen. Der Thermomix ist dagegen ein fader Kochtopf, doch es hat nicht sollen sein. Mit der Zeit gingen die Interessen der Beteiligte­n immer weiter auseinande­r. Der skrupulöse Entwerfer, der großen Wert auf freundscha­ftliche Beziehunge­n zu seinen Auftraggeb­ern gelegt hatte, wollte gute Produkte für viele kreieren, aber keinen Firmenstil und schon gar keine persönlich­e Handschrif­t pflegen. „Im Stil sah Gugelot den Beginn der Korruption des Design“, erinnert sich sein HfG-Freund Otl Aicher später. Und weil dieser Hans Gugelot nie darauf aus war, Pirouetten der Eitelkeit zu drehen, überzeugt seine klare Arbeit bis heute.

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FOTOS: MÜNCHNER STADTMUSEU­M, PATRICIA FLIEGAUF, ERNST JANK , ARCHIV DER HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG, ULM

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