Mieten? Kaufen? Warten!
Experten prognostizieren wegen Coronavirus Ende des Immobilienbooms – Gilt das auch für den Südwesten?
RAVENSBURG - Steil nach oben. In den vergangenen zehn Jahren kannten die Immobilien- und Mietpreise in Deutschland nur diese eine Richtung. Die Preise für Wohnungen und Häuser lagen laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes im vierten Quartal 2019 noch mal 5,7 Prozent höher als im vierten Quartal 2018. Von hohen Miet- und Immobilienpreisen ist Baden-Württemberg nicht ausgenommen, ganz im Gegenteil: Ein im November veröffentlichter Mietspiegelindex des Hamburger Forschungsunternehmens F+B listet Stuttgart als für Mieter teuerste Großstadt Deutschlands. Ravensburg, Weingarten, Friedrichshafen, Wangen und Ulm liegen unter den Top 50. Für eine Drei-Zimmer-Wohnung in Ravensburg beispielsweise mit rund 80 Quadratmetern müssen Mieter rund 1000 Euro monatlich hinlegen – kalt.
Doch das könnte sich ändern. Einige Ökonomen jedenfalls prognostizieren ein Ende des Immobilienbooms – also eine Wende, die Käufern und Mietern mehr Luft verschaffen würde. Michael Voigtländer, Immobilienexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sagt, dass sich der Wohnungsmarkt in den nächsten Monaten beruhigen könnte, da Besichtigungen kaum noch stattfinden und sich viele Käufer aus Angst vor schrumpfenden Einkommen zurückhalten. Er erwartet eine Stagnation der Immobilienpreise oder leichte Rückgänge. Die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) konstatiert in einem Immobilienreport: „Angesichts der Schärfe der zu erwartenden Rezession gehen wir davon aus, dass der Aufschwung am deutschen Immobilienmarkt beendet ist.“Auch die Deutsche Bank rechnet mit vorübergehend sinkenden Immobilienpreisen wegen der Corona-Pandemie. Im ersten Halbjahr 2020 dürfte ein heftiger Wirtschaftseinbruch den deutschen Immobilienmarkt erfassen, heißt es in einer am Mittwoch in Frankfurt veröffentlichten Studie. Temporär sei angesichts der hohen Unsicherheit mit fallenden Preisen zu rechnen.
Doch es gibt auch Stimmen, gerade in Baden-Württemberg, die vorsichtiger formulieren: Hanspeter Gondring beispielsweise leitet den Studiengang Immobilienwirtschaft an der Dualen Hochschule BadenWürttemberg (DHBW) in Stuttgart. Er betont die Schwerfälligkeit des Immobilienmarkts. „Wohnen ist ein existenzielles Grundbedürfnis des Menschen und bedeutet, dass die
Preiselastizität der Nachfrage extrem gering ist.“Die jetzige Krise müsse schon lange andauern, um Markteffekte im Immobilienbereich zu erzeugen, sagt er. Baden-Württemberg im Speziellen habe im Vergleich zu anderen Bundesländern eine eher robuste Wirtschaft, sodass er insbesondere hier keine größeren Erschütterungen bei den Immobilienpreisen erwartet.
Udo Casper, Landesgeschäftsführer des Deutschen Mieterbunds Baden-Württemberg, geht sogar davon aus, dass sich die Situation auf den Wohnungsmärkten zunächst weiter verschärfen wird. „Wohnungen sind knapp“, sagt Casper, „die Mieten steigen deshalb weiter, und die Einkommen vieler Mieterhaushalte nehmen ab oder brechen ganz weg.“Zudem sei es zumindest in der aktuellen Krisensituation noch schwieriger, eine bezahlbare Wohnung zu finden, weil viele Vermieter aus Furcht vor Ansteckung derzeit gar keine Wohnungsbesichtigungen ermöglichten. Eine langfristige Prognose sei momentan nicht verlässlich zu treffen, dass die Immobiliennachfrage langfristig bei einer Rezession sinkt, will er aber auch nicht ausschließen.
Ähnliches sagt auch Ottmar Wernicke von Haus und Grund BadenWürttemberg, Interessensvertretung der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer. Der Druck auf dem Wohnungsmarkt sei gerade noch viel zu groß, sodass er nicht von einer Entspannung des Marktes ausgeht. Rund 35 000 Immobilien würden pro Jahr in Baden-Württemberg fertiggestellt. Bedarf gebe es aber für die doppelte Anzahl. „Das heißt, wir schieben so eine enorme Bugwelle die vergangenen fünf Jahre vor uns her. Und selbst wenn jetzt ein großer Einbruch käme, dauert es, bis die Bugwelle abgeebbt ist.“
Beim Gewerbemietmarkt dagegen sieht Wernicke kurzfristig schon eher Auswirkungen und damit auch Probleme auf die Vermieter zukommen. Gerade der kleine stationäre
Einzelhandel habe es in der Krise schwer, sodass Wernicke hier mit Mietausfällen für die Vermieter rechnet. Wenn die Mieter die Geschäfte ganz aufgeben müssen, kann das den Vermieter auch länger belasten. „Gerade kleinere Flächen – man denke an die ehemaligen Schleckermärkte – lassen sich sehr, sehr schlecht wieder vermieten“, sagt er.
Auch wenn die Bundesregierung bereits zugesagt hat, Mieter zu unterstützen: In ungewohnter Einigkeit fordern Mieterbund und Vermietervertretung zusätzlich einen Hilfsfonds, der die Miete bei coronabedingtem Zahlungsverzug als Zuschuss oder zinsloses Darlehen an die Vermieter auszahlen soll, um das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter nicht zu belasten. „Dieser Fonds stellt auch für Kleinvermieter, die durch Mietausfälle in eine schwierige wirtschatliche Situation kommen können, eine wichtige Unterstützung dar“, sagt Udo Casper vom Mieterbund.
Eine besondere Situation gilt wiederum für die Vermieter von Ferienwohnungen. Claudia Seegerer-Tassoulis, Inhaberin von Immobilien Seegerer aus Lindau am Bodensee, berichtet beispielsweise, dass Vermieter wegen der schlechten Buchungslage derzeit überlegen, ihre Ferienwohnungen auf dem regulären Markt anzubieten. „Ja, diese Entwicklung können wir bestätigen“, sagt Seegerer und ihr Immobilienbüro rate auch dazu, „sich derzeit lieber zu überlegen, Ferienwohnungen fest zu vermieten.“Wenn der private Eigentümer die Finanzierung einer Ferienimmobilie sehr knapp bemessen habe, bleibe oft keine andere Wahl, als die Immobilie zu vermieten, um die eigene Liquidität zu sichern, bestätigt Hanspeter Gondring von der DHBW. Dass die Vermietung solcher Ferienimmobilien aber auf Dauer zu einer Entspannung auf dem Wohnimmobilienmarkt führt, glaubt er nicht. „Dafür ist das Vermietungsvolumen zu gering“, sagt Gondring.
Für Häuslebauer und Immobilieninteressenten ist die Lage zurzeit ebenfalls außergewöhnlich. Angesichts drohender Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit könnten die Menschen Immobilienfinanzierungen deutlich riskanter bewerten und ihren Wunsch vom eigenen Haus aufschieben. Gerade jüngere Familien, die zum ersten Mal eine Immobilie erwerben wollen, seien in Einzelfällen zurückhaltender, sagt Gondring. Gründe seien in erster Linie Sorge um den eigenen Arbeitsplatz und die Unsicherheit, ob das Bauhandwerk die Termine einhalten kann.
Vor allem im Neubaubereich würden durch den Corona-Shutdown aktuell zum einen die Arbeitskräfte fehlen, bestätigt Alexander Unger, Spezialist für Baufinanzierungen beim Finanzdienstleister Dr. Klein in Weinheim und Heidelberg. „Zum anderen deuten sich bereits Engpässe bei der Materialbeschaffung an.“Unger rechnet deshalb mit einem baldigen Rückgang der Anfragen zur Baufinanzierung. „Viele werden sicherlich die wirtschaftliche Entwicklung abwarten, bevor sie eine große Investition wie in eine Immobilie tätigen“, sagt Unger. Andererseits ist auch hier keine eindeutige Zukunftsprognose zu treffen. Denn wenn das Vertrauen in Aktien durch die Krise weiter sinke, wird das „Betongold“weiter als sichere Kapitalanlage gelten, prognostiziert Udo Casper vom Mieterbund. Am Ende stellt sich also vor allem eine Frage, von der der gesamte Immobilienmarkt abhängt: Wie lange dauert die Zwangspause wegen des Coronavirus?