Waldrapp-Krise
Projekt zur Ansiedlung seltener Ibis-Vögel kommt wegen Pandemie ins Stocken
Corona stoppt Ansiedlung des Vogels am Bodensee
RAVENSBURG - Keine Brut, keine Handaufzucht von Jungtieren. Für das Projekt zur Wiederansiedlung von Waldrappen am Bodensee ist die Corona-Krise ein Rückschlag. Überlingen ist neben Burghausen in Bayern und Kuchl bei Salzburg der dritte Standort nördlich der Alpen, an dem der extrem seltene Ibis-Vogel wieder heimisch werden soll.
Der kahlköpfige Waldrapp mit seinen markanten Schopffedern gilt als eine der bedrohtesten Vogelarten überhaupt, in Europa ist er seit dem späten Mittelalter in freier Wildbahn ausgerottet. Wie bereits in den vergangenen drei Jahren hatte das Artenschutzprojekt „Waldrappteam“für diesen Frühling die Handaufzucht weiterer Jungtiere in einer Voliere bei Überlingen geplant. „Schon die Vorbereitungen dafür sind unter den gegebenen Umständen unmöglich“, räumt Johannes Fritz im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“ein.
Der österreichische Biologe, Gründer und Leiter des „Waldrappteams“kann derzeit nicht einmal Vogelfutter besorgen. Er wohnt in Tirol, das als Risikogebiet eingestuft wurde, den Heimatort Mutters darf er nicht verlassen. Auch seine Mitarbeiter in Deutschland und Österreich sind zu Hause, manche von ihnen in Quarantäne. Der Aufbau der Volieren, das Abholen der Waldrapp-Küken
aus dem Tierpark Rosegg in Kärnten – all das ist jetzt unmöglich. „Ein Artenschutzprojekt kann man nicht in digitaler Form umsetzen“, sagt Fritz.
Waldrappe sind Zugvögel, doch den Flug über die Alpen müssen die Artenschützer den Tieren erst wieder beibringen. Den Winter verbringt die Kolonie, die Fritz und seine Kollegen aufbauen, in der Toskana. Von dort fliegen die geschlechtsreifen Tiere im Frühjahr in ihre Brutgebiete am nördlichen Alpenrand. Im vergangenen Jahr kam das erste Waldrapp-Weibchen namens Sonic nach Überlingen zurück. In diesem Jahr werden dort vier bis sechs weitere Tiere erwartet. Langfristiges Ziel ist es, dass sie Brutplätze in einer Felswand am Seeufer finden, für dieses Jahr war aber der Aufbau künstlicher Brutnischen geplant. Die wird es nun nicht geben, und damit wohl auch keine Brut von Waldrappküken am Bodensee.
Der Aufbau einer überlebensfähigen Kolonie verzögert sich also – langfristig ist der Rückschlag aus Sicht von Fritz aber verkraftbar.
„Dass geschlechtsreife Tiere nicht sofort brüten ist üblich“, sagt der Biologe. Er geht davon aus, dass die Tiere trotzdem an einer Fortpflanzung interessiert blieben. „Wenn wir das Programm 2021 wieder hochfahren können, dann müssen wir zwar von einem vorübergehenden Einbruch der Population ausgehen, das Ziel einer überlebensfähigen Waldrappkolonie in Mitteleuropa ist aber nicht gefährdet.“Alle Standorte zusammengerechnet, sind dafür nach Einschätzung der Artenschützer mindestens 350 Tiere nötig, aktuell sind es 140.
Dafür hofft das Waldrappteam auf weitere Hilfe der EU. Die ursprüngliche Förderung ist 2019 ausgelaufen, in diesem Jahr hält sich das Projekt mit der Hilfe von Spendern und Sponsoren über Wasser. Hinzu kommt Geld aus den Artenschutzbudgets von Zoologischen Gärten – unter anderem der Stuttgarter Wilhelma und des Zoos Karlsruhe. Über einen EU-Förderantrag ab 2021 wird in den nächsten Wochen entschieden.
Eigentlich sollte das Projekt auf der Landesgartenschau in Überlingen vorgestellt werden. Dieses Vorhaben wird nun wohl nur in abgespeckter Form umgesetzt. Die Gartenschau-Leitung hatte am vergangenen Freitag mitgeteilt, dass der geplante Starttermin am 23. April definitiv verschoben wird. Ein neuer Termin steht noch nicht fest.