Steinmeier ruft zur Hilfsbereitschaft auf
Bundespräsident dankt Bürgern und gibt Tipps – Hohe Zufriedenheit mit der Regierung
BERLIN (KNA/dpa) - Bei der Entwicklung der Corona-Pandemie gibt es in Deutschland keine Entwarnung. Im Vergleich zum Mittwoch ist die Zahl der Infizierten am Donnerstag um fast 7000 gestiegen, die Zahl der Toten liegt bei mehr als 1000. Doch in der Krise gibt es positive Signale: Die Zahl der Intensivbetten ist laut Deutscher Krankenhausgesellschaft auf knapp 40 000 angewachsen, frei seien 15 000 bis 20 000. Auch hilft Deutschland den Nachbarländern in noch größerer Not: 119 mit dem Virus infizierte Patienten aus EU-Ländern wurden aufgenommen. Generell hoch ist die Zustimmung der Bürger zur Arbeit der Bundesregierung in der Corona-Krise – laut ARD-Deutschlandtrend vom Donnerstag sind 72 Prozent mit dem Krisenmanagement zufrieden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier versucht derweil, mit seiner neuen Videobotschaft Mut zu machen.
Steinmeier dankte den Bürgern für ihr Engagement und appellierte an deren Solidarität. Er erinnerte daran, dass sich auch abseits von staatlichen Hilfspaketen im Kleinen helfen lässt. „Wenn wir uns jetzt so richtig kennenlernen, dann zeigen wir einander doch das Beste in uns“, sagte er. Die Gesellschaft könne in der Krise enger zusammenwachsen. Es gebe viele Möglichkeiten der Unterstützung: mit Einkäufen für Ältere, Anrufen oder Briefen an entfernt lebende Verwandte. Auch gelte es, die „vielen Ideen und Plattformen“zu nutzen, die im Internet entstünden: „für Gläubige, deren Gemeindeleben jetzt online weitergehen kann, oder für Sporttrainer oder Hebammen, die ihre Kurse per Video anbieten wollen“. Darüber hinaus rief Steinmeier dazu auf, Geschäfte, Restaurants und Künstler zu unterstützen.
Viele Läden böten Gutscheine an, beim Lieblingslokal könne man die Speisen ja auch mitnehmen.
Zufrieden ist die Mehrheit der Bürger mit der Bundesregierung. Der ARD-Deutschlandtrend ermittelte für die Große Koalition die besten Werte dieser Wahlperiode: 63 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit von Schwarz-Rot zufrieden oder sehr zufrieden, 28 Prozentpunkte mehr als im Vormonat. 36 Prozent gaben an, mit dem Kabinett weniger oder gar nicht zufrieden zu sein. Im März waren noch 65 Prozent unzufrieden.
WEINGARTEN - Drei Monate noch, sagt Michael Austrup. Drei Monate könne er fürs Erste weitermachen mit seiner Praxis für Physiotherapie in Überlingen, die fälligen Rechnungen bezahlen. Für seine zwei Mitarbeiter hat er Kurzarbeit beantragt. Austrup ist nicht nur niedergelassener Physiotherapeut, er ist auch Mitglied im Vorstand des Landesverbands Baden-Württemberg des deutschen Verbands für Physiotherapie. Er sagt: Für viele Praxen ist die Lage dramatisch.
Die Coronavirus-Krise ist eine Herausforderung für das Gesundheitssystem, Krankenhäuser in Süddeutschland bereiten sich auf den Ausnahmezustand vor. Und viele Menschen, die in freien Heilberufen arbeiten, kämpfen jetzt schon um ihre wirtschaftliche Existenz. Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und medizinischen Fußpflegern brechen die Einnahmen weg.
Von 80 bis 90 Prozent Rückgang in den Praxen spricht Austrup, Silke Becker-Hagen, Sprecherin des bayerischen Landesverbands, von 50 bis 100 Prozent. Diverse Praxen hätten bereits ihren Betrieb einstellen müssen, berichtet Becker-Hagen der „Schwäbischen Zeitung“. Für BadenWürttemberg sind ihrem Kollegen Austrup bisher keine Praxisschließungen bekannt.
Für freie Heilberufe – oder „Heilmittelerbringer“, wie die für die Krankenkassen maßgebliche Definition lautet – gelten in der Coronavirus-Krise in Baden-Württemberg andere Einschränkungen als in Bayern. Im Südwesten zählt die Corona-Verordnung der Landesregierung sie ausdrücklich nicht zu den Berufsgruppen, die ihren Betrieb einstellen müssen. Die Praxen könnten weiterhin betrieben werden, heißt es auf Nachfrage aus dem Stuttgarter Gesundheitsministerium. Medizinische Fußpfleger, auch Podologen genannt, werden in der Verordnung sogar ausdrücklich von Verboten ausgenommen. Trotzdem kommen viel weniger Menschen zur Krankengymnastik, zur Fußpflege oder zur Ergotherapie, viele sagen bereits gebuchte Termine ab. Zum einen gehörten viele Patientinnen und Patienten zur Risikogruppe, heißt es in einer Mitteilung des Verbands. Zum anderen glaubten viele Menschen fälschlicherweise, dass auch den Heilmittelerbringern der Betrieb untersagt sei. Außerdem, ergänzt Verbandsvertreter
Austrup, verzichteten viele Heilberufler selbst auf die Behandlung von Patienten aus Coronavirus-Risikogruppen, um deren Gesundheit nicht zu gefährden.
In Bayern sind die Regeln strenger. In der aktuell gültigen Coronavirus-Allgemeinverfügung der Staatsregierung steht, Besuche bei „Angehörigen helfender Berufe“seien weiter möglich, wenn dies „medizinisch dringend erforderlich“sei. Doch was ist „dringend erforderlich“? Damit seien Maßnahmen gemeint, „die der Abwendung von lebensbedrohlichen Gefahren für die körperliche oder seelische Unversehrtheit oder von Krankheitsfolgen dienen und keinen Aufschub erlauben“, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“das Gesundheitsministerium.
In jedem Fall, das betonen Vertreter der Berufsgruppen aus beiden Bundesländern, drohe ohne Unterstützung von Staat und Krankenkassen vielen Praxen der Ruin. Michael Austrup hat für seine Überlinger Physiotherapie-Praxis bereits Soforthilfe des Landes Baden-Württemberg
in Höhe von 9000 Euro beantragt. Diese Hilfen können kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern beantragen, je nach Betriebsgröße gibt es bis zu 50 000 Euro Unterstützung. In Bayern ist ein ähnliches Soforthilfe-Programm gestartet, für das pro Betrieb zwischen 5000 und 30 000 Euro fließen können.
Für die Vertreter der freien Gesundheitsberufe reicht das nicht. Die Landesverbände der Physiotherapeuten haben zwei zentrale Forderungen, eine an die Politik und eine an die Krankenkassen. Zum einen fordern sie, dass der Gesetzgeber die freien Heilberufe unter eine Art finanziellen Schutzschirm stellt – ähnlich dem Krankenhausentlastungsgesetz, das für die Krankenhäuser verabschiedet wurde. Zum anderen sollten die Krankenkassen den Heilmittelerbringern für die Zeit der Coronavirus-Krise Ausgleichszahlungen leisten. Die Kassen hätten die Kosten für Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Podologie in ihrem Haushaltsplan für das laufende Jahr schon eingeplant, die Ausgleichszahlungen bedeuteten damit keine zusätzlichen Kosten.
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) will sich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“zu dieser Forderung nicht äußern – verweist aber auf Erleichterungen, die man jetzt schon für freie Heilberufe biete: Etwa könnten Therapien flexibler gestaltet werden, man könne Teilabrechnungen schon erbrachter Leistungen einreichen – und manche Therapien auch per Telemedizin, also etwa per Videochat mit Patienten, durchführen. Der Südwest-Landesverband der Physiotherapeuten warnt indes: Sollte kein weiteres Geld fließen, dann sei „die Versorgung mit Heilmitteln in der Zukunft gefährdet“.
An die Patienten hat Physiotherapeut Austrup eine Bitte: Sie sollten nicht aus falscher Rücksichtnahme auf Behandlungen verzichten, wenn diese vom Arzt angeordnet würden. Austrup sagt: „Wenn ein Patient Hilfe braucht, dann soll er sie auch in Anspruch nehmen.“