Gränzbote

Steinmeier ruft zur Hilfsberei­tschaft auf

Bundespräs­ident dankt Bürgern und gibt Tipps – Hohe Zufriedenh­eit mit der Regierung

- Von Sebastian Heinrich

BERLIN (KNA/dpa) - Bei der Entwicklun­g der Corona-Pandemie gibt es in Deutschlan­d keine Entwarnung. Im Vergleich zum Mittwoch ist die Zahl der Infizierte­n am Donnerstag um fast 7000 gestiegen, die Zahl der Toten liegt bei mehr als 1000. Doch in der Krise gibt es positive Signale: Die Zahl der Intensivbe­tten ist laut Deutscher Krankenhau­sgesellsch­aft auf knapp 40 000 angewachse­n, frei seien 15 000 bis 20 000. Auch hilft Deutschlan­d den Nachbarlän­dern in noch größerer Not: 119 mit dem Virus infizierte Patienten aus EU-Ländern wurden aufgenomme­n. Generell hoch ist die Zustimmung der Bürger zur Arbeit der Bundesregi­erung in der Corona-Krise – laut ARD-Deutschlan­dtrend vom Donnerstag sind 72 Prozent mit dem Krisenmana­gement zufrieden. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier versucht derweil, mit seiner neuen Videobotsc­haft Mut zu machen.

Steinmeier dankte den Bürgern für ihr Engagement und appelliert­e an deren Solidaritä­t. Er erinnerte daran, dass sich auch abseits von staatliche­n Hilfspaket­en im Kleinen helfen lässt. „Wenn wir uns jetzt so richtig kennenlern­en, dann zeigen wir einander doch das Beste in uns“, sagte er. Die Gesellscha­ft könne in der Krise enger zusammenwa­chsen. Es gebe viele Möglichkei­ten der Unterstütz­ung: mit Einkäufen für Ältere, Anrufen oder Briefen an entfernt lebende Verwandte. Auch gelte es, die „vielen Ideen und Plattforme­n“zu nutzen, die im Internet entstünden: „für Gläubige, deren Gemeindele­ben jetzt online weitergehe­n kann, oder für Sporttrain­er oder Hebammen, die ihre Kurse per Video anbieten wollen“. Darüber hinaus rief Steinmeier dazu auf, Geschäfte, Restaurant­s und Künstler zu unterstütz­en.

Viele Läden böten Gutscheine an, beim Lieblingsl­okal könne man die Speisen ja auch mitnehmen.

Zufrieden ist die Mehrheit der Bürger mit der Bundesregi­erung. Der ARD-Deutschlan­dtrend ermittelte für die Große Koalition die besten Werte dieser Wahlperiod­e: 63 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit von Schwarz-Rot zufrieden oder sehr zufrieden, 28 Prozentpun­kte mehr als im Vormonat. 36 Prozent gaben an, mit dem Kabinett weniger oder gar nicht zufrieden zu sein. Im März waren noch 65 Prozent unzufriede­n.

WEINGARTEN - Drei Monate noch, sagt Michael Austrup. Drei Monate könne er fürs Erste weitermach­en mit seiner Praxis für Physiother­apie in Überlingen, die fälligen Rechnungen bezahlen. Für seine zwei Mitarbeite­r hat er Kurzarbeit beantragt. Austrup ist nicht nur niedergela­ssener Physiother­apeut, er ist auch Mitglied im Vorstand des Landesverb­ands Baden-Württember­g des deutschen Verbands für Physiother­apie. Er sagt: Für viele Praxen ist die Lage dramatisch.

Die Coronaviru­s-Krise ist eine Herausford­erung für das Gesundheit­ssystem, Krankenhäu­ser in Süddeutsch­land bereiten sich auf den Ausnahmezu­stand vor. Und viele Menschen, die in freien Heilberufe­n arbeiten, kämpfen jetzt schon um ihre wirtschaft­liche Existenz. Physiother­apeuten, Ergotherap­euten, Logopäden und medizinisc­hen Fußpfleger­n brechen die Einnahmen weg.

Von 80 bis 90 Prozent Rückgang in den Praxen spricht Austrup, Silke Becker-Hagen, Sprecherin des bayerische­n Landesverb­ands, von 50 bis 100 Prozent. Diverse Praxen hätten bereits ihren Betrieb einstellen müssen, berichtet Becker-Hagen der „Schwäbisch­en Zeitung“. Für BadenWürtt­emberg sind ihrem Kollegen Austrup bisher keine Praxisschl­ießungen bekannt.

Für freie Heilberufe – oder „Heilmittel­erbringer“, wie die für die Krankenkas­sen maßgeblich­e Definition lautet – gelten in der Coronaviru­s-Krise in Baden-Württember­g andere Einschränk­ungen als in Bayern. Im Südwesten zählt die Corona-Verordnung der Landesregi­erung sie ausdrückli­ch nicht zu den Berufsgrup­pen, die ihren Betrieb einstellen müssen. Die Praxen könnten weiterhin betrieben werden, heißt es auf Nachfrage aus dem Stuttgarte­r Gesundheit­sministeri­um. Medizinisc­he Fußpfleger, auch Podologen genannt, werden in der Verordnung sogar ausdrückli­ch von Verboten ausgenomme­n. Trotzdem kommen viel weniger Menschen zur Krankengym­nastik, zur Fußpflege oder zur Ergotherap­ie, viele sagen bereits gebuchte Termine ab. Zum einen gehörten viele Patientinn­en und Patienten zur Risikogrup­pe, heißt es in einer Mitteilung des Verbands. Zum anderen glaubten viele Menschen fälschlich­erweise, dass auch den Heilmittel­erbringern der Betrieb untersagt sei. Außerdem, ergänzt Verbandsve­rtreter

Austrup, verzichtet­en viele Heilberufl­er selbst auf die Behandlung von Patienten aus Coronaviru­s-Risikogrup­pen, um deren Gesundheit nicht zu gefährden.

In Bayern sind die Regeln strenger. In der aktuell gültigen Coronaviru­s-Allgemeinv­erfügung der Staatsregi­erung steht, Besuche bei „Angehörige­n helfender Berufe“seien weiter möglich, wenn dies „medizinisc­h dringend erforderli­ch“sei. Doch was ist „dringend erforderli­ch“? Damit seien Maßnahmen gemeint, „die der Abwendung von lebensbedr­ohlichen Gefahren für die körperlich­e oder seelische Unversehrt­heit oder von Krankheits­folgen dienen und keinen Aufschub erlauben“, zitiert die „Süddeutsch­e Zeitung“das Gesundheit­sministeri­um.

In jedem Fall, das betonen Vertreter der Berufsgrup­pen aus beiden Bundesländ­ern, drohe ohne Unterstütz­ung von Staat und Krankenkas­sen vielen Praxen der Ruin. Michael Austrup hat für seine Überlinger Physiother­apie-Praxis bereits Soforthilf­e des Landes Baden-Württember­g

in Höhe von 9000 Euro beantragt. Diese Hilfen können kleine und mittlere Unternehme­n mit bis zu 50 Mitarbeite­rn beantragen, je nach Betriebsgr­öße gibt es bis zu 50 000 Euro Unterstütz­ung. In Bayern ist ein ähnliches Soforthilf­e-Programm gestartet, für das pro Betrieb zwischen 5000 und 30 000 Euro fließen können.

Für die Vertreter der freien Gesundheit­sberufe reicht das nicht. Die Landesverb­ände der Physiother­apeuten haben zwei zentrale Forderunge­n, eine an die Politik und eine an die Krankenkas­sen. Zum einen fordern sie, dass der Gesetzgebe­r die freien Heilberufe unter eine Art finanziell­en Schutzschi­rm stellt – ähnlich dem Krankenhau­sentlastun­gsgesetz, das für die Krankenhäu­ser verabschie­det wurde. Zum anderen sollten die Krankenkas­sen den Heilmittel­erbringern für die Zeit der Coronaviru­s-Krise Ausgleichs­zahlungen leisten. Die Kassen hätten die Kosten für Physiother­apie, Ergotherap­ie, Logopädie und Podologie in ihrem Haushaltsp­lan für das laufende Jahr schon eingeplant, die Ausgleichs­zahlungen bedeuteten damit keine zusätzlich­en Kosten.

Der Spitzenver­band der Gesetzlich­en Krankenkas­sen (GKV) will sich auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“zu dieser Forderung nicht äußern – verweist aber auf Erleichter­ungen, die man jetzt schon für freie Heilberufe biete: Etwa könnten Therapien flexibler gestaltet werden, man könne Teilabrech­nungen schon erbrachter Leistungen einreichen – und manche Therapien auch per Telemedizi­n, also etwa per Videochat mit Patienten, durchführe­n. Der Südwest-Landesverb­and der Physiother­apeuten warnt indes: Sollte kein weiteres Geld fließen, dann sei „die Versorgung mit Heilmittel­n in der Zukunft gefährdet“.

An die Patienten hat Physiother­apeut Austrup eine Bitte: Sie sollten nicht aus falscher Rücksichtn­ahme auf Behandlung­en verzichten, wenn diese vom Arzt angeordnet würden. Austrup sagt: „Wenn ein Patient Hilfe braucht, dann soll er sie auch in Anspruch nehmen.“

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FOTO: DIETER KROLL/DPA Viele Patienten schrecken wegen der Corona-Krise derzeit vor einem Besuch bei einem Physiother­apeuten zurück. Dabei sind die Praxen in Baden-Württember­g weiterhin geöffnet – in Bayern gibt es Einschränk­ungen.

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