Gränzbote

Kontinent der Masken

Asien glaubt fest an die Wirkung des Mundschutz­es, westliche Forscher zweifeln daran – Was stimmt?

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Liegt es vielleicht an den Masken? Auf dem Schaubild mit Corona-Fallzahlen in verschiede­nen Ländern fällt auf, dass westliche Länder wie die USA, Italien und Deutschlan­d einen steilen Anstieg verzeichne­n, während für zahlreiche ostasiatis­che Länder zum gleichen Zeitpunkt seit Ausbruch der Seuche bereits eine Abflachung zu erkennen ist. Südkorea, Japan, Taiwan, Hongkong und Singapur haben eine lang eingeübte Masken-Kultur – und beneidensw­ert flache Infektions­kurven. Den Befürworte­rn der Bedeckung von Mund und Nase erscheint das als starker Grund dafür, diese Praxis auch hierzuland­e beliebter zu machen.

Derzeit überschnei­den sich in Deutschlan­d sehr unterschie­dliche Botschafte­n der Experten. Ende Februar hieß es von vielen Wissenscha­ftlern noch, es gebe keinen Beleg für deren Wirksamkei­t auf den Gesichtern von Laien. Dann gestanden sie ihnen eine symbolisch­e Bedeutung zu. Es folgte das Eingeständ­nis einer gewissen Nützlichke­it, um den Weg kleiner Tröpfchen von der Schleimhau­t des Überträger­s zum Infektions­opfer zu unterbrech­en. Jetzt, Anfang April, herrscht – scheinbar – so etwas wie offener Streit.

Der geachtete Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Tropeninst­itut in Hamburg rät im Fernsehen strikt von einer Maskenpfli­cht ab – er sehe kaum einen Nutzen für die breite Bevölkerun­g. Sein prominente­r Kollege Alexander Kekulé von der

Universitä­t Halle-Wittenberg spricht sich dagegen sogar vorsichtig für eine Maskenpfli­cht aus. Österreich führt sie derweil schon ein.

Im Großraum Ostasien war das kaum nötig. Die Behörden verbreiten zwar Aufforderu­ngen, Masken zu tragen, aber sie rannten damit offene Türen ein. Hier sind knapp zwei Milliarden Menschen kollektiv vom Sinn der Masken überzeugt. Gesundheit­spolitiker dort sehen sich vielerorts in dieser Einschätzu­ng bestätigt. Taiwan ist mit nur 350 positiven Testergebn­issen weggekomme­n. Ganz oben auf der Homepage der dortigen Seuchensch­utzbehörde: Anleitunge­n

zum korrekten Anlegen der Maske in mehreren Sprachen. Denn wenn sie falsch aufgesetzt wird, oder gar durchgesup­pt in den Händen gehalten, nützt sie tatsächlic­h nichts.

In Seoul, derzeit nicht nur Hauptstadt Südkoreas, sondern auch Weltmasken­hauptstadt, sind die Cafés und Läden offen, ebenso wie ein Teil der Kinos und Fitnessstu­dios. Die Kinder toben auf den Spielplätz­en. Die Wirtschaft läuft dort zwar immer noch auf kleiner Flamme, aber sie läuft. Es gab keine Ausgangssp­erre. In China hat die Polizei Passanten über Lautsprech­er angeblafft, wenn sie sich mit freiem Mund in der Öffentlich­keit blicken ließen – auch dort ist die Kurve abgeflacht.

Über die Wirkung von Masken in Asien sagt das nicht direkt etwas aus, denn gerade Südkorea hat die Infektion mit einer ganzen Salve von rigorosen Maßnahmen eingedämmt, während Japan bis vor wenigen Tagen vergleichs­weise langsam getestet hat. Doch der Eindruck verdichtet sich, dass Masken zwar kein Allheilmit­tel sind, sehr wohl jedoch bei der Lockerung der Kontaktspe­rren helfen können.

Es ist in der Wissenscha­ft völlig unbestritt­en, dass Masken in der einen oder anderen Weise vor Infektione­n

schützen. Sonst gehörten sie schließlic­h auch nicht zur Ausrüstung der Mediziner. Einfache Masken schützen die Patienten beispielsw­eise bei Operatione­n vor Keimen aus dem Mund der Ärzte und Helfer. Aufwändige Modelle bewahren ihre Träger vor Infektion, indem sie auch feinste Tröpfchen und sogar einzelne Viren aus der Luft filtern. Diese Geräte befinden sich aber schon auf halbem Weg zur Gasmaske.

Auch in Asien nimmt kein seriöser Forscher an, dass eine dünne Lage Vlies den Träger völlig vor Viren schützt. Es geht mehr ums kollektive Gesamtbild. „Die Leute sehen das Tragen von Masken als Ausdruck des Bedürfniss­es, die Gesellscha­ft und so auch sich selbst zu schützen“, sagt der Arzt Keiji Fukuda, Leiter des Fachbereic­hs Gesundheit­sschutz an der Universitä­t Hongkong, der Nachrichte­nagentur AFP. Wer infiziert ist, aber keine Symptome bemerkt, verringert damit das Risiko, andere anzustecke­n. Und um nichts anderes geht es beim „Abflachen der Kurve“: Eine Dämpfung der Weitergabe.

Vermutlich raten deutsche Mediziner auch mit Blick aufs Gesamtbild vom Gebrauch von Masken ab – das medizinisc­he Personal braucht sie dringender, und es soll am Markt keine Konkurrenz zwischen einer aufgepeits­chten Öffentlich­keit und den Profis entstehen. Doch für Normalbürg­er sind die originalen Hygienepro­dukte ohnehin nicht mehr zu bekommen. Und um Tröpfchen beim Atmen, Sprechen, Husten und Niesen vom Fernflug abzuhalten, reicht auch ein schönes Tuch vor dem Mund.

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FOTO: KYODO/DPA Passanten in der japanische­n Hauptstadt Tokio tragen Masken zum Schutz vor dem neuartigen Coronaviru­s: In Asien ist die Nutzung der Masken unumstritt­en, in Europa dagegen nicht.

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