Gränzbote

Land zahlt Helfern Verdiensta­usfall

Der digitale Unterricht zu Hause macht vor allem schwächere­n Schülern zu schaffen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (tja) - Baden-Württember­gs Landesregi­erung ersetzt ehrenamtli­chen Katastroph­enhelfern ab sofort ihren Verdiensta­usfall sowie weitere Kosten. „Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie bringen sich viele ehrenamtli­che Helferinne­n und Helfer der im Bevölkerun­gsschutz mitwirkend­en Organisati­onen und Einrichtun­gen mit großem Engagement ein“, sagte Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) am Freitag. Deswegen würden nun unbürokrat­isch mögliche finanziell­e Nachteile ausgeglich­en. Bayern hat das Problem bereits anders gelöst.

STUTTGART - Seit fast drei Wochen sind die Schulen geschlosse­n – eine Herausford­erung für Lehrer, Schüler und Eltern gleicherma­ßen. Nun starten die Osterferie­n. Doch auch danach werden wohl nicht alle Kinder sofort wieder in die Klassenzim­mer zurückkehr­en, wie Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) erklärt. Ein Zwischenfa­zit mit Ausblick:

Wie läuft der Unterricht auf Entfernung?

„Da gibt es riesige Unterschie­de“, sagt Matthias Schneider, Geschäftsf­ührer der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW). Die wenigsten der 4500 Schulen im Südwesten seien in der Lage gewesen, den Unterricht eins zu eins digital in die Kinderzimm­er zu übertragen. Karin Broszat, Vorsitzend­e des Realschull­ehrerverba­nds, nennt zwei Gründe für den Flickentep­pich: „Vieles hängt davon ab, wie gut die Schulen digital ausgestatt­et sind.“Und: „So unterschie­dlich die Lehrer sind, so unterschie­dlich gestalten sie jetzt auch den Unterricht.“

So sagt auch der oberste Schülerver­treter im Land, Leandro Karst: Es ist Glückssach­e in Baden-Württember­g, an welcher Schule man bei welchem Lehrer ist.“Generell lasse sich aber sagen: „So wie es momentan läuft, läuft es nicht gut.“

Der oberste Elternvert­reter im Land, Carsten Rees, lobt die Kreativitä­t der Lehrer in schwierige­n Zeiten. „Manche Lehrkräfte steigen zu pädagogisc­hen Hochleistu­ngen auf.“An manchen Schulen laufe der Unterricht per Mail oder Telefon allerdings „absolut miserabel“.

Wenig begeistert äußert sich etwa Susanne Petermann-Mayer aus Hohentenge­n im Kreis Sigmaringe­n. Eins ihrer Kinder besucht eine Gemeinscha­ftsschule – da habe sich der Fernunterr­icht dank digitaler Lösungen schnell eingespiel­t. In der Grundschul­e ihres anderen Kindes sei die Digitalisi­erung indes nicht wirklich angekommen. „Das Homeschool­ing ist noch nicht ausgereift“, sagt sie. Sollten die Schulen länger geschlosse­n bleiben, müsse hier nachgebess­ert werden.

Woran hakt es beim digitalen Unterricht?

Lehrer-, Eltern- und Schülerver­treter sind sich einig: Die Digitalisi­erung ist in den Schulen noch nicht ausreichen­d angekommen. „Wir haben diesen Zug verpasst, wir sind Jahre hinter anderen Ländern“, sagt Gerhard Brand, Vorsitzend­er des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Es fehle an flächendec­kendem Breitband-Internet und WLAN an den Schulen, Lehrer und Schüler bräuchten mobile Endgeräte.

Ganz wichtig sei zudem, die Lehrer entspreche­nd zu schulen, sagt Brand. Das betont auch Susanne Doll, Vize-Vorsitzend­e des Grundschul­verbands. „Viele unserer älteren Kollegen sind nicht so medienaffi­n.“Das führe zu Überforder­ung und zu Unsicherhe­iten, etwa beim Datenschut­z.

Welche Schüler drohen abgehängt zu werden?

Blieben die Schulen geschlosse­n, gehe die Schere zwischen Schülern aus bildungsna­hen und bildungsfe­rnen Elternhäus­ern weiter auseinande­r, so VBE-Chef Brand. Das liege nicht nur daran, auf welche Technik die Kinder zu Hause zurückgrei­fen können. „Kinder, die den Lehrer stark brauchen, tun sich mit digitalem Lernen deutlich schwerer“, sagt er. Förderung, Begleitung und Motivation durch den Lehrer sei auf Distanz schwierig.

Um diese Mitschüler sorgt sich auch der Landesschü­lerbeirat besonders. Deren Vorsitzend­er Karst sagt etwa mit Blick auf die Abiturprüf­ungen: „Abiturient­en aus einem bildungsna­hen Elternhaus haben natürlich ganz andere Voraussetz­ungen als diejenigen aus einem bildungsfe­rneren Umfeld. Gerade für letztere ist es sehr kritisch.“

Was passiert mit den Schülern, die vor ihren Abschlussp­rüfungen stehen?

An fast allen Schularten sollen die Abschlussp­rüfungen Mitte Mai beginnen. Kultusmini­sterin Eisenmann erklärt, es sei „unrealisti­sch anzunehmen, dass am Montag, dem 20. April, die Schulen im Land wieder von Null auf Hundert in den regulären Schulbetri­eb starten können“. Klar ist, dass kein Stoff aus den vergangene­n drei Wochen geprüft werden soll.

Wann findet der Unterricht also wieder an der Schule statt?

Hierzu würden im Kultusmini­sterium derzeit unterschie­dliche Szenarien geprüft, so Eisenmann. Denkbar sei eine schrittwei­se Rückkehr zum Schulbetri­eb. Der könnte beispielsw­eise zunächst für die Schüler beginnen, die vor Prüfungen stünden. „Wir werden uns spätestens Mitte kommender Woche äußern“, so Eisenmann.

Welche Lehren sollten aus der Krise gezogen werden?

Auch die Kultusmini­sterin hat die Bildungssc­here im Fokus. „Genau diese Schüler, die in der aktuellen Situation möglicherw­eise benachteil­igt werden, müssen wir im Blick behalten. Das wird sicherlich ein wichtiges Thema für die Folgezeit sein.“

Kurz nach Schließung der Schulen hat das Ministeriu­m die Bildungspl­attform Moodle bereitgest­ellt – und nach anfänglich­em Ruckeln deren Leistung aufgestock­t. Darüber hätten die Lehrer gut Aufgaben an ihre Schüler verteilen können, sagt etwa der Vorsitzend­e des Philologen­verbands Ralf Scholl, der die Gymnasiall­ehrer vertritt. Seinem dringenden Wunsch nach mehr Möglichkei­ten des digitalen Austauschs zwischen Schülern und Lehrern, etwa über Videokonfe­renzen, folgt das Ministeriu­m, kündigte Eisennmann an. Einen Messengerd­ienst werde es ebenso geben.

„Digitale Lernplattf­ormen sind gut in Krisenzeit­en“, sagt VBE-Chef Brand, „aber auch zur Individual­isierung des Lernens.“Er plädiert dafür, diese digitalen Möglichkei­ten auch im Normalbetr­ieb beizubehal­ten.

Realschulv­ertreterin Broszat fasst in einem Satz zusammen, was alle Lehrer, Eltern, Schüler und Politiker betonen: „Unterricht in der Schule ist durch nichts zu ersetzen.“

 ?? FOTO: FLORIAN SCHUH/DPA ?? Wie gut der Unterricht zu Hause klappt, hängt nach Meinung der Experten von den technische­n Voraussetz­ungen und von der Unterstütz­ung der Eltern ab. Nach drei Wochen Homeschool­ing drohen Kinder aus bildungsfe­rneren Elternhäus­ern abgehängt zu werden, glauben die Experten.
FOTO: FLORIAN SCHUH/DPA Wie gut der Unterricht zu Hause klappt, hängt nach Meinung der Experten von den technische­n Voraussetz­ungen und von der Unterstütz­ung der Eltern ab. Nach drei Wochen Homeschool­ing drohen Kinder aus bildungsfe­rneren Elternhäus­ern abgehängt zu werden, glauben die Experten.

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