„Alle wollten unsere Batterie“
Herbert Schein über das Varta-Geheimnis, neue Produkte und die Vision einer Zellproduktion für Elektroautos
ELLWANGEN - Wenn Herbert Schein durch die Produktion des Batterienherstellers Varta auf der Ostalb geht, ist zu spüren, dass der 54-Jährige bereits lange bei dem Ellwanger Unternehmen arbeitet. Die Kenntnis über die verschiedenen Produkte mischt sich mit Anekdoten über die Historie des Standorts und dem Stolz über das Aufgebaute, wie es sonst oft nur bei Familienunternehmern zu finden ist. Und stolz können der Varta-Chef und seine rund 2900 Mitarbeiter sein: 2019 hat das Unternehmen sehr gute Zahlen vorgelegt. Fast noch spektakulärer sind allerdings in den Zeiten der Corona-Krise die Wachstumspläne. Darüber und über die Vision für eine Batteriezellenfertigung für Elektroautos hat Schein mit Benjamin Wagener und Franz Graser gesprochen.
Ein Analyst der Commerzbank wollte nicht glauben, dass die Batterien für die Kopfhörer von Apple aus Deutschland kommen. Er hat sich dann einen Kopfhörer gekauft und ihn aufgesägt und war ganz überrascht, dass die Batterien von der Ostalb von Ihnen kommen. Stimmt die Anekdote?
Aus Vertraulichkeitsgründen können wir nichts zu einzelnen Kundenprojekte sagen. Es wurde am Markt viel spekuliert. Indem der Analyst die neuen Apple-Airpods aufmachte, hat er dann den Beweis angetreten, dass Varta-Batterien drin sind.
Hätte man vor zehn Jahren gesagt, dass die Batterien für Top-HighTech-Consumer-Produkte aus Deutschland kommen, wäre man ausgelacht worden. Was ist das Geheimnis von Varta?
Als ich vor gut elf Jahren CEO wurde, habe ich das Unternehmen zum Technologiekonzern weiterentwickelt und von da an haben wir uns auf Innovationen fokussiert. Wir haben auch in Zukunft den Anspruch, die Batterietechnologie entsprechend weiterzuentwickeln und neue Innovationen unseren Kunden anzubieten. Wenn diese Innovationsanforderung vom Kunden kommt, sind wir eigentlich zu spät dran. Denn in diesem Zeitpunkt richtet er die Anfrage an viele Unternehmen. Somit wollen wir unserem Wettbewerb immer einen Schritt voraus sein.
Wie haben Sie das bei den AppleAirpods geschafft?
Wir haben umfassendes Know-how in der Lithium-Ionen-Technologie sowie in der Massenproduktion und mussten uns vor einigen Jahren entscheiden, auf welche Produkte wir den Schwerpunkt legen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir bereits gesehen, dass der Markt für Smartphones stagnieren wird und haben uns gefragt, was kommt nach dem Smartphone – die Wearables. Daraufhin haben wir eine kleine Lithium-Ionen-Batterie mit hoher Energiedichte entwickelt. Wir haben diese den wichtigsten Kopfhörer-Herstellern vorgestellt – und alle wollten unsere Batterie.
Was kommt jetzt?
Nachdem wir die neue Generation schnurloser Kopfhörer erst ermöglicht haben, kommen jetzt von uns Lithium-Ionen-Batterien mit einer 30 Prozent höheren Energiedichte.
Und in welchen Produkten kommen diese Batterien zum Einsatz?
Derzeit fokussieren wir uns auf den Kopfhörer-Markt, weil die Umstellung von Kabel auf schnurlos im vollen Gange ist. Aber es wird weitere Wearables geben, also kleine Computer, die man bei sich trägt. Denkbar sind auch intelligente Autoschlüssel mit Bildschirm: Der Schlüssel könnte Sie zum Auto führen oder Sie könnten das Auto im Parkhaus in Zukunft fernsteuern.
Was ist mit der Google Glass?
Es wird die Zeit kommen, in der diese Technologie reif ist. Dann brauchen wir dafür die richtige Energieversorgung, damit wir den Brillen neben
Leistungsstärke auch ein attraktives Design geben können. Schließlich wollen wir statt überdimensionierten Gläsern eine elegante Brille tragen, die uns dabei auch noch den Weg anzeigen kann. Diese Entwicklung gestalten wir mit – und bei einigen Anwendungen rechnen wir auch mit hohen Stückzahlen in der Zukunft.
Wie behauptet sich Varta im Markt? Wer sind die Wettbewerber?
Bei Hörgerätebatterien haben wir sowohl bei den Primärbatterien als auch bei den wiederaufladbaren Batterien einen Weltmarktanteil von mehr als 50 Prozent. Der größte Wettbewerber ist Rayovac, der jedoch nur die nicht wiederaufladbaren Hörgerätebatterien anbietet. Bei wiederaufladbaren Hörgerätebatterien kommen die Wettbewerber aus Asien. Der Markt für Hörgerätebatterien ist für uns ein Wachstumsmarkt, schließlich werden die Menschen immer älter und schon heute haben nur ein Viertel der Menschen mit Hörschwäche ein Hörgerät.
Und bei Lithium-Ionen-Batterien?
Bei Lithium-Ionen-Batterien im CoinFormat sind wir heute Weltmarktführer und haben uns gegenüber Wettbewerbern wie LG und andere asiatische Anbieter sehr gut behauptet.
Wie haben Sie sich diese Marktposition erarbeitet?
Bei Varta haben wir großes Knowhow über die gesamte Wertschöpfungskette – insbesondere bei kleinen Batterieformaten. Zudem ist es uns gelungen, eine profitable Massenfertigung in Deutschland aufzubauen. In diesem Bereich sind wir international führend.
Sie machen also fast alles selbst?
Hier in Ellwangen haben wir die Forschung und Entwicklung, einen Musterbau, die Konstruktion und Produktion für die Halbteile und Fertigungsmaschinen. Und selbstverständlich die Produktion. Die Innovationen müssen heutzutage aus der gesamten Wertschöpfungskette kommen, und diese neuen Ideen müssen wir schnell in die Massenfertigung umsetzen.
Eine solche Herangehensweise ist in diesen Zeiten eher unüblich.
Stimmt, für eine solche Strategie haben wir in der Vergangenheit nicht immer Beifall bekommen, da die Spezialisierung auf Kernprozesse angesagt war. Heute profitieren wir davon, aus den erwähnten Gründen.
Wie schaffen Sie es, diese Struktur in einem Hochlohnland wie Deutschland aufrechtzuerhalten?
Durch Vollautomatisierung. Wir entwickeln unsere Anlagen ständig weiter, steigern die Maschinenleistung und senken so den relativen Anteil der proportionalen Arbeitskosten. Die Digitalisierung bietet uns weitere Möglichkeiten wie beispielsweise selbst regelnde Prozesse in der Produktion. Die müssen wir nutzen.
Varta ist also ein Beispiel dafür, dass Hochlohnländer im Zuge der Digitalisierung Produktionen von den Werkbänken der Welt zurückholen können?
Wir müssen nichts zurückholen, denn wir produzieren die Hi-TechProdukte fast nur in Deutschland.
Als Sie die Varta AG im Oktober 2017 an die Börse gebracht haben, haben Sie als Umsatzziel für 2020 rund 300 Millionen Euro angegeben. Das haben Sie schon im vergangenen Jahr weit übertroffen.
Stimmt. Wir haben rund 363 Millionen Euro erlöst – das war rund ein Drittel mehr als im Vorjahr. Den Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen des Unternehmens haben wir fast verdoppelt.
Allein im Jahr 2019 ist die Varta AG beim Umsatz um 33,5 Prozent gewachsen. Sind Sie zufrieden? Geht die Wachstumsgeschichte weiter – wenn wir den Zukauf von Varta Consumer Batteries einmal außen vor lassen?
Im Vergleich zu 2019 kann ich sagen, dass wir dieses Jahr noch schneller wachsen wollen, vorausgesetzt es kommt zu keiner weiteren Beeinträchtigung infolge von Corona.
Diese Umsatzziele sind ehrgeizig.
Ja, dies ist sehr wichtig und notwendig, da wir weiter massiv investieren und auch das Wachstum für die folgenden Jahre vorbereiten.
Die Corona-Krise ängstigt Sie nicht?
Die Corona-Krise ist eine erhebliche Herausforderung für uns alle, und wir müssen damit richtig umgehen und die Mitarbeiter schützen. Derzeit sehen wir keine wesentlichen Beeinträchtigungen für unser Geschäft infolge des Coronavirus. Die Nachfrage nach unseren Batterien ist weiterhin hoch. Natürlich müssen wir die Situation weiterhin sorgfältig beobachten.
Sie haben im vergangenen Jahr Varta Consumer Batteries gekauft und damit den Bereich für Geräteund Haushaltsbatterien zurück in den Konzern geholt. Warum?
Wir haben die einmalige Gelegenheit genutzt, diesen Teil der Varta wieder unter das Dach der Varta AG zurückzuholen. Wir können wieder in den Markennamen investieren und ihn weiterentwickeln. Durch einen einheitlichen Markenauftritt werden alle Bereiche profitieren. Im Übrigen hätte ich es nicht gut gefunden, wenn das Unternehmen von einem Investor gekauft worden wäre, der das Markenimage geschwächt hätte.
Gibt es auch Synergien?
Ja, die gibt es. Das Produktionskonzept in Dischingen für alkalische Batterien ist vom Grundkonzept ähnlich wie die Knopfzellenproduktion in Ellwangen.
Was ist Ihr Umsatzziel 2020 für den Gesamtkonzern einschließlich Varta Consumer Batteries?
Wir streben einen Konzernumsatz von 780 bis 800 Millionen Euro im Jahr 2020 an.
Die Bundesregierung setzt bei der Mobilitätswende auf batterieelektrische Autos. Welchen Beitrag kann Ihr Unternehmen für einen emissionsfreien Verkehr leisten?
Wir erwägen in Zukunft auch größere Batteriezellen auf Lithium-IonenTechnologie zu bauen. Als ersten Schritt wollen wir eine Pilotlinie in Neunheim aufbauen. Derzeit kaufen wir für die großen Batteriepacks die Batteriezellen, wie etwa für Roboter, fahrerlose Transportsysteme oder andere kabellose Geräte zu.
Wann wird die Produktion laufen?
Noch in diesem Jahr soll der Startschuss für die Entwicklung und Aufbau der Pilotlinie fallen. Die Bundesregierung und das Land BadenWürttemberg fördert dieses Projekt im Rahmen der europäischen IPCEIInitiative. Unsere Vision ist, dass wir die großen Lithium-Ionen-Zellen, die wir entwickelt haben, künftig selber bauen. Diese Zellen könnten wir dann in einer Vielzahl der eben genannten Anwendungen einsetzen, und auch den Automotive-Bereich schließen wir in Zukunft nicht aus.
Es ist also eine industrielle Produktion geplant?
Jetzt gehen wir erst mal den ersten Schritt und bauen die Pilotlinie, danach sprechen wir über weitere Planungen.
Ist denn die Strategie der Bundesregierung, bei der Mobilitätswende auf die Elektromobilität zu setzen, der richtige Weg?
Kurzfristig werden batterieelektrische Antriebe das vorherrschende System sein, mittelfristig könnten aber vor allem bei größeren Fahrzeugen Brennstoffzellen hinzukommen. Auch ein Brennstoffzellenauto wird nicht ohne Batterie auskommen. Die Brennstoffzelle wandelt den Wasserstoff in Energie um, die Batterie gibt die Power. Es wird bunter werden in der Antriebstechnik. Klar ist, dass das Zeitalter der Verbrenner langfristig zu Ende geht.
Wird es irgendwann eine Batterie geben, mit der ein Passagierjet von Europa über den Atlantik nach New York fliegt?
Dies wird zumindest noch lange dauern und nicht in naher Zukunft umsetzbar sein. Doch wenn es uns gelingt, 95 Prozent der Fortbewegung auf elektrisch umzustellen, haben wir schon viel erreicht.