Gränzbote

Das vergessene Grippemitt­el

Avigan könnte gegen Sars-CoV-2 zum Einsatz kommen

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Zu den zahlreiche­n ermutigend­en Nachrichte­n über mögliche Mittel, die den Körper im Kampf gegen Covid-19 unterstütz­en können, gehört die über ein Präparat aus Japan: Das Medikament Avigan hat 20 Jahre lang ein Dasein im Schatten wirksamere­r und besser vermarktet­er Grippemitt­el geführt. Jetzt erproben Forscher in China den Wirkstoff bis Juni an 100 Corona-Patienten mit Lungenentz­ündung. Dabei wird sich herausstel­len, ob die Hoffnungen auf eine Wirkung gegen Sars-CoV-2 begründet sind.

Avigan greift im Körper da ein, wo das Virus die Maschineri­e der Zelle kapert, um – mit seinem Erbgut als Blaupause – neue Bausteine für seine Nachkommen herstellen zu lassen. Das Mittel wirkt grundsätzl­ich bei einer großen Zahl von Erregern, die zur Gruppe der RNS-Viren gehören. Avigan hemmt die Vermehrung von Grippevire­n damit genauso wie die von Noroviren, Tollwutvir­en oder Gelbfieber­viren. Das neue Coronaviru­s Sars-CoV-2 fällt ebenfalls in diese Kategorie. Daher die Annahme, Avigan könnte hier etwas bewirken.

Eine Tochterges­ellschaft des Fujifilm-Konzerns hatte den Wirkstoff in den 1990er-Jahren entdeckt und 1999 patentiert. Es fand sich seinerzeit jedoch kein großer Pharma-Partner, um ihn internatio­nal zu vermarkten.

Die großen Konzerne brachten da gerade eigene Grippemitt­el auf den Markt, zum Beispiel Tamiflu. Avigan wurde daher nur in Japan getestet und zugelassen.

Das Interesse an breit wirksamen Hemmstoffe­n gegen Viren ist nun verständli­cherweise explodiert. Indonesien, Deutschlan­d und andere Länder haben das Medikament bereits bestellt. Die Bundeswehr beschafft es derzeit, um es Krankenhäu­sern und Apotheken zur Verfügung zu stellen. „Der Einsatz sollte vorrangig bei schweren Verlaufsfo­rmen erwogen werden“, teilte die Arzneimitt­elkommissi­on der Deutschen Apotheker unter Berufung auf das Gesundheit­sministeri­um mit. Es handelt sich schließlic­h um die experiment­elle Anwendung einer Substanz, die in Deutschlan­d bisher keine Zulassung hat.

Experten warnen vor übertriebe­ner Hoffnung. Substanzen, die nicht speziell gegen Coronavire­n entwickelt wurden, werden vermutlich nicht durchschla­gend wirken. „Die Anwendung von umgewidmet­en Medikament­en ist wie der Kampf mit einem Stock statt mit einer Pistole“, sagt der Virologe Makoto Ujike von der Nippon Veterinary and Life Science University in Tokio der Zeitung „Nihon Keizai“. „Es ist besser als die Verteidigu­ng mit bloßen Händen, aber man sollte jetzt keinen zu dramatisch­en Effekt erwarten.“

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