„Vor zwei Wochen habe ich noch gedacht: Die Welt ist scheiße“
„Schwabenschilde“machen auch im Norden Karriere – Ehrenamtsinitiative
FRITTLINGEN/DENKINGEN/SPAICHINGEN - Statt verzagt zuhause zu sitzen und womöglich sich von Angstmachern und Verschwörungstheoretikern in facebook, twitter und Co. verunsichern zu lassen, packen sie an: Daniel Merkler, Melanie und Sascha Haag und zahlreiche andere. Die „Starken Schwaben“stellen Spuckschutz-Schilde mit 3-D-Druckern her. Nach einem Aufruf in der Facebookgruppe „Spaichinger Stadtgeflüster“hatten sich Druckerbesitzer gemeldet – nach einem Bericht in dieser Zeitung kam die große Resonanz.
Inzwischen habe der Pflegestützpunkt Tuttlingen die Koordination der Verteilung übernommen, schildert Daniel Merkler den Stand der Dinge. Rund 400 solcher Schilde sind bereits gedruckt oder gelasert und ausgeliefert worden. Sie werden bis auf wenige, die an einzelne Ärzte und Pflegekräfte gegeben werden, zentral verteilt, damit sie auch da ankommen, wo der Bedarf ist. „Es ist alles gut organisiert“, sagt Merkler. Der angehende Automatisierungstechniker ist begeistert von der Resonanz
und Bereitschaft, sich ehrenamtlich einzubringen. Denn die Schilde werden zum Selbstkostenpreis abgegeben, und das ist je nach Material deutlich unter 5 Euro je Stück. 16 private Besitzer von 3-DDruckern machen mit und zahlreiche Firmen, deren Drucker sonst herumstehen würden. Hilzinger Thum in Tuttlingen zum Beispiel, Koch Packsysteme in Pfalzgrafenweiler spendet Folie, sein Betrieb, die MS, druckt und auch die Firma seines Chefs in Blumberg. „Die Unterstützung der Industrie ist der Wahnsinn!“, sagt Merkler.
Neben den Firmen sind etwa 16 Privatleute mit 25 Druckern involviert. Im Netzwerk wurde „Ingeneering“betrieben, erzählt Merkler, also den Druck auf eine Stunde optimiert. Noch schneller ist Melanie Haag, die sonst mit ihrer Laserschneidmaschine wunderschöne Geschenkboxen ganz individuell herstellt. Der kleine Laden im Denkinger Industriegebiet ist derzeit geschlossen. Das Internetgeschäft funktioniert noch, aber sie und ihr Mann, der auch eine Gebäudereinigungsfirma betreibt, spüren den wirtschaftlichen Einbruch.
Trotzdem arbeiten sie ehrenamtlich, berechnen die (steigenden) Materialkosten und jetzt, wo die Herstellung der „Schwabenschilde“eine ziemliche Dimension angenommen hat, auch den Strom. Das Problem ist der Rohstoff. Die glasklare Folie, die durch eine Schutzfolie abgedeckt und damit absolut kratzfrei ist, ist momentan nicht zu haben, sagen Haags. Jetzt wird eben mit der etwas einfacheren Folie gearbeitet, bei der kleine Kratzer in Kauf genommen werden. Das Design hat Melanie Haag übrigens parallel entwickelt, zum selben Zeitpunkt wie Daniel Merkler seine Idee im Internet verbreitete. Da haben sich beide zusammen geschlossen und so konnten 300 der Schwabenschilde, die auch über der Stirn verschlossen sind, und deren Halterung individuell angepasst werden kann, schon geliefert werden. 950 Bestellungen liegen vor. Die Kinder machen auch mit, sodass der Laser zeitweilig von 7.30 bis 23.30 Uhr läuft. (Wegen der Lautstärke: Wer Fragen hat, bitte mailen: info@haag-laserart.de).
Inzwischen müssen die Empfänger die Teile der Schilde selbst zusammenbauen, das schafft die Familie nicht mehr. Aber dazu gibt es eine akkurate Beschreibung und auch den wiederholten Hinweis: Dies ist kein zertifiziertes Medizinprodukt. Aber natürlich können die Schilde mit Desinfektionsmittel gereinigt werden, so zehn Mal hätten sie es ausprobiert und es sei kein Problem gewesen. Wer nicht mit dem leichter zu reinigenden Folienband zurecht komme, der bekommt noch einen Gummi beigelegt. Nicht ohne den Hinweis, dass das aber nicht so leicht zu reinigen sei. Verdienen wollten sie an der Sache nicht. Im Gegenteil: Ihre eigene Arbeitszeit wird nicht berechnet: „Wir wollen uns am Leid anderer nicht bereichern. Wir wollen helfen“sagen sie. Ehrenamt sei auch sonst Thema in der Familie.
In der Gruppe „Makers versus Virus“– einem Zusammenschluss einer offenen Werkstatt in Kassel – laufen die Macher um Daniel Merkler unter „Starke Schwaben“. Und weil sie so schnell ihr Projekt auf die Beine gestellt haben, sind er und Melanie Haag im Produktmanagement. Sie freuen sich über das Feedback aus dem Norden: Man wolle von der Ingenieurskunst aus dem Ländle profitieren und: Schwaben würden halt nicht viel reden, sondern machen.
Nun freuen sich vor allem Zahnärzte, Kieferchirurgen, Pflegeeinrichtungen, Feuerwehr und viele andere über den schnellen günstigen zusätzlichen Schutz.
Und Daniel Merkler ist begeistert von der Solidarität und dem Engagement so vieler Menschen: „Wenn Sie mich vor zwei Wochen gefragt hätten, ich hätte gesagt: Die Welt ist echt Scheiße. Aber jetzt ist das ganz anders. Ich hoffe, die Welt lernt davon.“