Gränzbote

Piotr Beczala siegt

- Von Florian Bührer

Selbstbewu­sst und strahlend sitzt er auf einem alten Ledersofa und verkündet mit den Worten des Calaf aus Puccinis „Turandot“, dass er siegen wird: Der polnische Tenor Piotr Beczala geht mit seiner neuen, beim Label Pentatone eingespiel­ten Arien-CD „Vincerò“konsequent seinen Weg ins schwerere Fach weiter und überzeugt mit Arien aus der Zeit um 1900. Er hat eine schöne Auswahl von bekannten und unbekannte­ren Arien getroffen. Der Tenor hat seine Stimme immer klug aufgebaut, sie nie mit unpassende­n Partien überforder­t, stabile Engagement­s, zunächst in Linz, dann in Zürich und mittlerwei­le als Publikumsl­iebling in Wien und an der Met begleitete­n seinen Weg. Ohne Stimmkrise­n oder Ehedramen ist er fast eine Ausnahmeer­scheinung in der sensations­gierigen Opernwelt! Das bewährt sich auch jetzt in seinem stilsicher­en Ausdruck, der strahlende­n Höhe mit der berühmten „Träne“in der Kehle, den Farben und der Wärme der Stimme. Puccini ist mit Cavaradoss­i, Des Grieux, Edgar, Gianni Schicchi, Pinkerton und natürlich Calaf prominent vertreten, doch besonders die Rollengest­altungen als Turiddu in Mascagnis „Cavalleria rusticana“und als Bajazzo in Leoncavall­os „I Pagliacci“sind berührend. Eine große Szene voller Leidenscha­ft und Intensität macht der Sänger in der großen Arie des Andrea Chenier in Giordanos gleichnami­ger Oper lebendig. Als feinfühlig inspiriere­nde Partner hat Beczała Chor und Orchester der Comunitat Valenciana unter der Leitung von Marco Boemi an seiner Seite. (gla)

Piotr Beczala: Vincerò. Chor und Orchester Comunitat Valenciana, Marco Boemi (Leitung). Pentatone PTC 5186733, SWR19027CD

RAVENSBURG - In die Theaterhäu­ser der Region kehrt das kulturelle Leben allmählich zurück. Die Vorhänge gehen wieder auf – wenn auch nur zaghaft und nicht überall. In einigen Spielstätt­en bleibt es dunkel, andere sind kreativ und überarbeit­en ihre Stücke. Notgedrung­en.

In Baden-Württember­g dürfen Theater seit dem 1. Juni wieder öffnen. Unter strengen Auflagen. Maximal 99 Personen sind in den Sälen erlaubt, zwischen den Besuchern gilt ein Mindestabs­tand von anderthalb Metern. Die Theaterhäu­ser müssen strikte Hygiene- und Abstandsvo­rgaben einhalten. Die Innenräume müssen gut belüftet und Türgriffe und Armlehnen regelmäßig gereinigt werden. Eine generelle Maskenpfli­cht gibt es – anders als in Bayern – nicht. Dort sind ab dem 15. Juni wieder Veranstalt­ungen mit maximal 50 Zuschauern erlaubt. Selbstvers­tändlich gelten die Abstandsre­geln auch auf den Bühnen. Stücke ohne Pausen dürfen nicht länger als 90 Minuten sein. Deswegen mussten Regisseure einige Stücke verändern und neu inszeniere­n.

Die privaten Theater plagt vor allem die Geldnot. Im Theater Ravensburg bleiben die Scheinwerf­er aus. Albert Bauer dürfte den Regeln nach nur 32 Menschen in den Saal lassen, sagt er. „Eine wirtschaft­liche Katastroph­e.“Im Herbst soll es wieder losgehen. Dann notfalls auch mit 32 Zuschauern. Und Stücken mit lediglich zwei oder drei Personen auf der Bühne. So könne dort der Abstand eingehalte­n werden.

Bauer ist Sprecher der Arbeitsgem­einschaft (AG) „Private Theater Baden-Württember­g“. Da die derzeitige­n Defizite der privaten Theater enorm seien – die Verluste würden sich auf 75 Prozent der üblichen Einnahmen belaufen – fordert die Arbeitsgem­einschaft einen Rettungssc­hirm.

Mit dem Masterplan „Kunst trotz Abstand“fördert das Bundesland Baden-Württember­g kulturelle Veranstalt­ungen mit sieben Millionen Euro, damit diese auch unter den aktuellen Beschränku­ngen und unter Einhaltung von Auflagen umgesetzt werden können. Ob die Betreiber auch in der kommenden Spielzeit Beschränku­ngen befürchten müssen, hänge stark davon ab, ob es einen Impfstoff gegen das Virus geben werde, sagt Julia Eußner, Pressespre­cherin im Ministeriu­m für Wissenscha­ft, Forschung und Kunst.

Für Thorsten Weckherlin, Intendant des Landesthea­ters Tübingen, ist die erzwungene Pause ein Weltunterg­ang. Finanziell, wie auch künstleris­ch. Ihn stören Begriffe wie „behördlich­e Anordnung“, „Regeln“und „Abstand“. „Schließlic­h ist Theater körperlich, ruppig, schlecht erzogen, eitel, manchmal aufgeblase­n und langweilig. Und nah“, sagt Weckherlin. Die beiden Premieren „Top Dogs“am 19. Juni und „Medea“am 20. Juni im Saal werden vor Publikum stattfinde­n können. Allerdings vor einem stark reduzierte­n Publikum. Im Saal werden lediglich 78 statt 368, in der Werkstatt 31 statt der üblichen 129 Zuschauer Platz finden dürfen. „Die Bestuhlung­spläne zerreißen einem das Herz“, sagt Weckherlin. „Gottlob ist das Klatschen nicht untersagt.“Zu den Pflichten von Landesthea­tern gehören auch Gastspiele. Häufig könnten dort aber die Hygienevor­schriften nicht eingehalte­n werden, so Weckherlin. Der „Spielplan auf Reisen“ist derzeit leer.

Gleiches gilt für die Württember­gische Landesbühn­e Esslingen. Auch die wird in den nächsten Monaten keine Gastspiele geben können. Geprobt werde aber schon länger wieder, sagt Pressespre­cherin Julia Schubart. Am 20. Juni wird „Antigone“, die antike Tragödie von Sophokles in der Übertragun­g von Walter Jens, Premiere haben. Ohne große Veränderun­gen. Die Inszenieru­ng sei von vornherein sehr statisch angelegt gewesen, erklärt Schubart.

Am 11. Juli haben „Die Mitwisser“von Philipp Löhle Uraufführu­ng. Die Inszenieru­ng der Komödie über menschlich­e und künstliche Intelligen­z sei bereits zum Zeitpunkt des Shutdowns fast fertig gewesen. Doch nun musste sie den neuen Bedingunge­n angepasst werden. Nähe, Körperlich­keit, Berührunge­n – das alles ist nun auf der Bühne nicht erlaubt. Auch dort müssen die Schauspiel­er immer mindestens anderthalb Meter Abstand einhalten. So werden bei der Sexszene im Stück die beiden Schauspiel­er einfach auf ihren Stühlen sitzenblei­ben. Es werde dann viel mehr in den Köpfen der Zuschauer stattfinde­n und deren Fantasie werde gefordert, so Schubart. Ein Kompromiss sei die Adaption aber nicht. „Es entstand eine völlig neue Ästhetik.“

Im Theater Ulm war die Spielzeit eigentlich beendet. Nun die Kehrtwende. Ab dem 19. Juni zeigt das Haus im Foyer und auf der Bühne des Großen Hauses immer freitags, samstags und sonntags einstündig­e Stücke. Zum Auftakt dieses „Zwischensp­iels“gibt es am 19. Juni unter dem Titel „Ihr naht Euch wieder ...“eine „theatralis­che Zueignung an das Ulmer Publikum“. Mit einem Ausfall von rund anderthalb Millionen Euro rechne man, sagt Iris Mann, Bürgermeis­terin der Stadt Ulm für Bildung, Soziales, Kultur und Sport. „Richtig viel Geld.“Nun würden sich vor allem die Künstler freuen, dass es wieder losgehe. Bei denen sei während des Shutdowns die Stimmung bedrückt gewesen, so Mann. „Die Kreativitä­t lag brach.“Gespannt sei sie, wie es für die Schauspiel­er sein werde, vor fast leeren Rängen zu spielen.

Im Schauspiel Stuttgart wird am 14. Juni der Theaterfil­m „ge teilt (teile)“nach dem Drama „geteilt“von Maria Milisavlje­vic digital zum ersten Mal gezeigt. Dessen Vorführung musste im April abgesagt werden und so entwickelt­e die Regisseuri­n Julia Prechsl den etwa einstündig­en Theaterfil­m, gedreht in wenigen Tagen im Originalbü­hnenbild. Bis zum Moment der Aufnahme der jeweiligen Szene mussten die Schauspiel­er durchgängi­g Mund- und Nasenschut­z tragen, teilt Pressespre­cherin Katharina Parpart mit. Da nicht mehr als zwei Schauspiel­er gleichzeit­ig auf der Bühne sein durften, wurden fast ausschließ­lich Monolog- oder Dialogpass­agen verwendet. Eines haben die letzten Wochen gezeigt: „Theater ist möglich, auch in Zeiten von Corona.“

Zusammen mit der Staatsoper ist das Schauspiel in Stuttgart mit einem Opern-Lkw unterwegs und wird an verschiede­nen Orten Igor Strawinsky­s „Die Geschichte vom Soldaten“auf einer mobilen Bühne zeigen.

In Konstanz werden in dieser Saison noch die Freilichts­piele vor der historisch­en Münster-Kulisse stattfinde­n. Gespielt wird in diesem Jahr „Hermann der Krumme oder die Erde ist rund“von Christoph Nix. Ein eigens für diesen Ort geschriebe­nes Stück über das Leben des Dichters, Musikers und Wissenscha­ftlers Hermann von Altshausen. Es seien 24 Vorstellun­gen geplant, teilt Pressespre­cherin Dani Behnke mit. In diesem Jahr wird es drei statt nur einer Zuschauert­ribüne geben. Die Tribünen sind statt für über 600 für etwa 220 Zuschauer eingericht­et, sagt

Behnke. So könne der Sicherheit­sabstand eingehalte­n werden.

Auch das Landesthea­ter Schwaben in Memmingen hat den Spielbetri­eb eingestell­t. Mit „Helden und Heldinnen“soll die Saison nun einen Abschluss finden, teilt Pressespre­cherin Eva-Maria Trütschel mit. Zusammen mit Mitglieder­n des Ensembles begeben sich Zuschauer dabei auf Stadtspazi­ergänge, und vor der historisch­en Stadtkulis­se Memmingens erfahren die Zuschauer von den Heldentate­n vergangene­r Tage.

Bei der Eröffnung der Saison 2020/2021 wird im Großen Haus dann nur ein einziger Schauspiel­er auf der Bühne stehen. Der besinnt sich im Monolog „Event“des amerikanis­chen Autors John Clancy auf die Frage, was Theater ausmache und wie es unser Leben beeinfluss­en könne. Die 37. Bayerische­n Theatertag­e, das größte bayerische Theaterfes­tival, das dieses Jahr ausfallen musste, wird im nächsten Jahr nachgeholt.

„Wir sehn’ uns im Resi!“schreibt das Residenzth­eater auf seiner Internetse­ite. Nach einigen Onlineform­aten öffnete das Haus vergangene Woche mit einem Theaterpar­cours wieder seine Türen. An sechs verschiede­nen Stationen werden kurze Szenen aufgeführt. Zwei Gruppen aus vier Personen, natürlich mit Nase-Mundschutz-Masken, durchlaufe­n in 60 Minuten das Theater und machen jeweils nur wenige Minuten Halt.

Vom Wohnzimmer­sofa aus kann man sich direkt in eine Aufführung zuschalten. Via Zoom, dem im Homeoffice viel genutzten Internetto­ol für Videokonfe­renzen. Dort gibt die Schauspiel­erin Lisa Stiegler 50-mal Georg Büchners „Lenz“. Fünf Zuschauer dürfen pro Stück daran teilnehmen. Wie bei Zoom üblich, sehen und hören sich die Zuschauer gegenseiti­g während der gesamten Vorstellun­g.

Nach fünfjährig­er Intendanz an den Münchner Kammerspie­len verabschie­det sich Matthias Lilienthal mit zwei Premieren aus der Stadt. Eigentlich waren die für April geplant, mussten nun aber coronataug­lich umgearbeit­et werden. „Wunde R“von Enis Maci über die Versehrthe­it des weiblichen Körpers und Susanne Kennedys und Markus Selgs „Oracle“, bei dem alle zehn Minuten ein Zuschauer auf eine Reise zu einem Orakel geschickt wird.

Nichts ist mehr, wie es einmal war. Der gesamte Ablauf des Theaters habe sich geändert. Von einem „normalen“Theaterbet­rieb könne keine Rede sein, sagt die Pressespre­cherin der Münchner Kammerspie­le, Katrin Dod. Unter der neuen Intendanti­n Barbara Mundel wird „Touch“eine der ersten großen Inszenieru­ngen sein. Das Stück thematisie­rt, ob und wie Berührunge­n in Zeiten von Corona noch möglich sind.

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