Kein Sprachunterricht und kaum Kontakte
Integrationsarbeit steht in Zeiten der Corona-Krise nahezu still
SÜDLICHER LANDKREIS - Ohne soziale Kontakte ist erfolgreiche Integration kaum möglich. Durch die Corona-Krise sind diese aber bereits seit Monaten stark eingeschränkt. Auch in der Arbeit mit Flüchtlingen entstehen dadurch neue Herausforderungen. „Vieles ist viel zähfließender geworden oder erstarrt“, sagt Siegbert Fetzer. Der 58-Jährige betreut als Integrationsbeauftragter der Gemeinden Wurmlingen, Seitingen-Oberflacht, Rietheim-Weilheim und Dürbheim rund 150 Flüchtlinge. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt er, wie die Corona-Krise seine Arbeit beeinflusst.
In vielerlei Hinsicht gibt es laut Fetzer auch in der Coronakrise keine großen Unterschiede zwischen Deutschen und Flüchtlingen: Der eine macht sich mehr Sorgen um die Situation, der andere eben weniger. Die Kinderbetreuung sei für viele der Familien ebenso herausfordernd, wie es bei zahlreichen deutschen Familien der Fall ist. Und alles in allem wird deutlich mehr Zeit zu Hause verbracht. Dennoch gibt es einige Punkte, die die Integrationsarbeit in diesen außergewöhnlichen Zeiten erschweren.
„Ein Shutdown ist natürlich grundsätzlich suboptimal“, sagt Fetzer. Ein Problem sei beispielsweise, dass die meisten der Flüchtlinge derzeit keinen besuchen. Zwar gebe es hierfür digitale Lernportale, „das funktioniert aber nur für die besseren Schüler, die gut strukturiert sind“, so der Integrationsbeauftragte. Die Bandbreite sei groß: Während die Kommunikation mit rund zwei Drittel der betreuten Flüchtlinge gut auf Deutsch funktioniere, gebe es auch einige, die kaum oder gar nicht Deutsch sprechen. Ohne Zugang zur Sprache sei es aber umso schwerer, Anschluss zu finden. Fetzer hofft deshalb, dass der Sprachunterricht nach der CoronaKrise nahtlos weitergehen kann.
werden zudem immer dann zur Herausforderung, wenn neue Corona-Verordnungen in Kraft treten. Als beispielsweise die Mundschutzpflicht beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln mit nur wenigen Tagen Vorlaufzeit angekündigt wurde, hat das für Fetzer viel Arbeit bedeutet. Die Sorge: Was, wenn nicht alle rechtzeitig von der neuen Verordnung erfahren? „Innerhalb von drei Tagen musste ich allen Bescheid geben“, erzählt der Integrationsbeauftragte. „Die Situation war wichtig, also bin ich auch über das Wochenende los.“Dabei hat er auch einige gespendete Schutzmasken an seine Schützlinge verteilt. Am
Sprachunterricht Sprachbarrieren
Ende habe glücklicherweise alles gut funktioniert, sagt Fetzer.
Einiges geändert hat sich für den Integrationsbeauftragten auch in der Kommunikation mit den Flüchtlingen. Während die Gespräche früher in der Regel im Rathaus oder bei Hausbesuchen stattfanden, versucht er nun den wann immer möglich, über Whatsapp, Telefon und E-Mail zu halten. „Der direkte Kontakt mit Mimik und Gestik ist natürlich einfacher“, sagt er. Schließlich könne dann besser zwischen Deutsch, Englisch und Zeichensprache hin und her gesprungen werden. Ganz auf Besuche verzichtet er daher nicht – dann jedoch mit Schutzmaske und Sicherheitsabstand.
Vieles kam durch den Ausbruch der Corona-Pandemie zum Erliegen, doch alle behördlichen Vorgänge, zum Beispiel die Fristen für Aufenthaltsgenehmigungen, laufen ganz normal weiter. Dabei ist für Fetzer einiges komplizierter geworden: Denn alle Termine – ob bei der Ausländerbehörde, der Krankenkasse oder beim Jobcenter – müssen nun vorab vereinbart werden. Positiv habe der Integrationsbeauftragte jedoch wahrgenommen, dass die Ämter telefonisch und per Mail gut erreichbar seien.
Unter den 150 Flüchtlingen, die von Siegbert Fetzer betreut werden, sind 20 schulpflichtige Kinder. Viele von ihnen haben keine eigene EMail-Adresse, keinen Laptop und keinen Drucker in ihren Familien. Was also tun, wenn alle
Kontakt, Schulaufgaben
plötzlich digital an die Schüler verteilt werden? „Für dieses Problem haben wir nicht eine Lösung, sondern viele verschiedene“, sagt Fetzer. Gemeinsam mit den Familien werde individuell entschieden, welche Lösung am besten praktikabel ist: So arbeitet ein Großteil der Kinder mit den Unterlagen auf dem Smartphone, für manche kopieren die Schulen die Unterlagen, für manche nutzt Fetzer seinen eigenen Drucker zu Hause. Wie gut die Schüler mit dieser Situation umgehen können, sei wiederum sehr unterschiedlich: Während sich einige gut eingespielt hätten, gebe es andere, die sich mit dem digitalen Unterricht sehr schwer tun.
Hinzu kommt, dass die Arbeit der
in der aktuellen Situation deutlich heruntergefahren ist. Sie sind für Siegbert Fetzer eine wichtige Stütze, denn sie helfen bei all den Dingen aus, die der Integrationsbeauftragte nicht leisten kann: Hausaufgabenbetreuung, Arzt- und Therapiebesuche oder Einkäufe zum Beispiel. „Unter den Ehrenamtlichen sind natürlich viele ältere Personen“, sagt Fetzer. Da diese zur Corona-Risikogruppe zählen, können sie die Flüchtlinge im Moment aber nicht wie gewohnt unterstützen.
Schwieriger ist die Situation auch auf dem
Beide stünden laut Fetzer derzeit still. Für die Flüchtlinge, die Arbeit haben, sei die Situation genauso wie für viele Deutsche: Einige können ihrer Arbeit noch ganz normal nachgehen,
Ehrenamtlichen Wohnungs- und Arbeitsmarkt.
andere befinden sich in Kurzarbeit und einige wenige hätten ihren Job wegen der Corona-Krise verloren. „Es ist schade, aber für die Leute auch nachvollziehbar. Sie wissen, sie haben ihren Job verloren, weil es keine Arbeit gibt und nicht, weil sie diskriminiert werden“, sagt Fetzer.
Im Umgang mit der Corona-Pandemie habe ihn beeindruckt, wie gefasst und stark viele der Flüchtlinge mit der Situation umgehen. Dafür hat der Integrationsbeauftragte eine mögliche Erklärung: „Für uns ist das schon eine Krise, wir hatten so etwas noch nie. Das, was viele der Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern und auf der Flucht erlebt haben, übersteigt diese Situation aber um ein Vielfaches.“