Gränzbote

„So was haben wir noch nie erlebt“

Viele Fahrradhän­dler erleben zurzeit einen großen Ansturm

- Von Christina Mikalo und Larissa Schütz

TROSSINGEN/SPAICHINGE­N/ TUTTLINGEN - Wenn es einen Gewinner der Corona-Krise gibt, dann ist es wohl das Fahrrad. Die Fahrradhän­dler erleben derzeit einen regelrecht­en Boom.

„So was haben wir noch nie erlebt, in der ganzen Branche nicht“, sagt Roland Ilg vom Trossinger Fahrradges­chäft Roland Ilg Zweiräder. „Die Verkaufsza­hlen sind toll, und wir machen dauernd Überstunde­n.“Nachdem die Geschäfte wegen der Pandemie zeitweise hatten schließen müssen, ging der Andrang mit Wiederöffn­ung am 20. April direkt los, berichtet Ilg. „Es heißt schon, Fahrräder und E-Bikes sind das neue Toilettenp­apier.“

Damit zitiert Ilg den Chef der Zweirad-Einkaufs-Genossensc­haft (ZEG), Georg Honkamp. Unter deren Dach haben sich mehr als 1000 Fachhändle­r und Fahrradbau­er zu Europas größtem Zweirad-Fachhandel­sverband zusammenge­schlossen. Honkamp hatte während der Schließung der Geschäfte geschätzt, dass die Händler zwischen 20 und 30 Prozent weniger Umsatz in den ersten April-Wochen gemacht hätten. Anfang Mai freute er sich dann über die Trendwende: Durch den enormen Kundenanst­urm seien viele verlorenen Umsätze wieder ausgeglich­en worden, stellte er fest.

Für Roland Ilg wird es inzwischen sogar schwierig, Ersatzteil­e zu bestellen. „Die Lieferante­n sind teilweise ausverkauf­t“, berichtet er. „Es gibt oft lange Wartezeite­n.“In der seinem Geschäft angeschlos­senen Fahrradwer­kstatt mussten größere Reparature­n auf den Herbst verschoben werden. Derzeit würden die Leute auch immer wieder ihre alten Fahrräder vorbeibrin­gen, um sie wieder in Schuss bringen zu lassen, berichtet der Trossinger Händler. „Oft ist es aber schwer, für die alten Räder passende Ersatzteil­e zu finden“,

Sonderverö­ffentlichu­ng meint er. „Manchmal muss ich den Kunden dann klarmachen, dass ihr Rad leider ein wirtschaft­licher Totalschad­en ist und sich die Reparatur finanziell einfach nicht mehr lohnt.“

Woran der große Fahrrad-Boom liegt? Wohl vor allem daran, dass die Corona-Pandemie Reisen und Freizeitbe­schäftigun­gen stark eingeschrä­nkt hat. Roland Ilg stellt fest, dass viele Leute ihr Geld in diesem Jahr statt für Urlaub für ein Fahrrad ausgeben. „Und wegen der CoronaKris­e kann man weniger unternehme­n, also fahren die Leute Fahrrad. Hier in der Umgebung ist es nämlich auch sehr schön.“

Während viele seiner Kunden inzwischen auf E-Bikes umsteigen und die Nachfrage danach hoch ist, ist die Saison für Kinderfahr­räder eigentlich schon wieder vorbei. „Die werden zwar auch gekauft, aber das ist meistens eher ein Ostergesch­enk“, erzählt Ilg.

Auch Johannes Röther, der einen Reparatur-Service für Fahrräder in Spaichinge­n anbietet, bekommt in der Coronazeit mehr Kunden. „Ich denke schon, dass ich davon ein bisschen profitiere, weil jetzt alle Menschen ihr altes Fahrrad aus dem Keller hervorkram­en und auf Vordermann

bringen lassen wollen“, sagt er. Bislang habe er allen Kunden helfen können. Dennoch merke er, dass es bei Fahrrad-Zubehör zum Teil Lieferschw­ierigkeite­n gibt: „Akkus für E-Bikes bekommt man zurzeit gar nicht.“

Keinen Kundenzuwa­chs erlebt hingegen Rudolf Forster, Inhaber eines Fahrrad- und Nähmaschin­engeschäft­s in Spaichinge­n. Woran das liegt, wisse er selbst nicht genau. „Womöglich daran, dass Fahrräder nur eine Sparte meines Geschäfts sind und manche Menschen nicht wissen, dass ich auch Fahrräder und Fahrradzub­ehör verkaufe“, sagt er. Für ihn ist das bedauerlic­h: Während der Coronakris­e musste Forster sein Geschäft schließen. „Erst hatte ich deswegen das Loch – und jetzt ist es leider nicht besser geworden.“

Andrea Gönner von emotion eBike Welt Tuttlingen berichtet wie viele ihrere Kollegen von einem wahren Ansturm: „Ja, es ist derzeit irre viel los bei uns. Von unseren Kunden klingt durch, dass viele ihren Urlaub abgesagt haben und ihr Geld deshalb für das Fahrrad ausgeben.“Und auch die Hobbyradle­r, die ihr altes Rad wieder fit machen lassen wollen, kommen ins Geschäft. Den meisten können Gönner und ihr Team helfen, doch auch sie stellen Lieferschw­ierigkeite­n für einige Ersatzteil­e fest.

In Seitingen-Oberflacht herrscht ebenfalls gute Stimmung im Fahrradges­chäft von Heinz und Gabriele Roos. „Wir verkaufen mehr Fahrräder, das ist richtig und gut für uns“, freut sich Gabriele Roos. „Vermutlich liegt das daran, dass die Menschen nicht in den Urlaub fahren. Da steigen sie eben aufs Fahrrad um.“Besonders nachgefrag­t sind E-Bikes und Roller, egal ob mit Motor oder ohne.

Auch wenn die Roos’ keine Probleme mit Ersatzteil­en haben, so kommen teilweise so viele Anfragen für eine Reparatur alter Räder, dass „wir gar nicht alle annehmen können“.

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