Gränzbote

Videos ersetzen Messen in Corona-Zeiten

Unternehme­n aus der Region ersetzen den Kundenkont­akt durch digitale Möglichkei­ten.

- Von Gabriel Bock

SPAICHINGE­N/DENKINGEN/GOSHEIM - Messen und Kundenbesu­che, über diese Wege verkaufen mittelstän­dische Unternehme­n einen Großteil ihrer Produkte. Weil die Corona-Krise diese Verkaufsfo­rmen jetzt zum Erliegen gebracht hat, stehen digitale Vertriebsw­ege plötzlich im Fokus. Zum Beispiel ist das auch beim Spaichinge­r Schutzzaun­hersteller SSP (Safety Solution Systems) so, erzählt Marcel Aulila.

Aulila leitet den europaweit­en Vertrieb der Firma. SSP stellt Schutzzäun­e für Produktion­sanlagen wie etwa Roboter her. Außerdem Bedienelem­ente, zum Beispiel NotHalt-Knöpfe. In der Corona-Krise hat die Firma ein neues Geschäftsm­odell entdeckt: Trennwände aus Plexiglas zum Virenschut­z. Aulila sagt: „Wir haben auch davor schon solche Wände als Schutzeinr­ichtungen für Maschinen gebaut, der Schritt zum Virenschut­z war nicht weit.“

Trotz des kurzfristi­gen neuen Geschäftsz­weigs ist SSP natürlich darauf angewiesen, dass auch die Standardpr­odukte des Spaichinge­r Unternehme­ns Absatz finden. Den klassische­n Vertrieb haben die Kontaktbes­chränkunge­n fast unmöglich gemacht. Die großen Messen der Branche, zum Beispiel die Automatica in Stuttgart, sind abgesagt. Termine der SSP-Mitarbeite­r bei den Kunden waren bis zur letzten Lockerung der Hygieneauf­lagen auch nicht möglich.

Um diesen Schwierigk­eiten zu begegnen haben die SSP-Vertrieble­r ihre Tätigkeite­n digitalisi­ert. Aulila sagt: „Der Kundenkont­akt läuft jetzt per Webmeeting ab.“Damit liegt SSP in einem Trend, der zwar schon seit etlichen Jahren durch die Pressemeld­ungen geistert, jetzt aber durch die Krise offenbar einen Schub erhält.

Unter Digitalisi­erung versteht man heute ganz allgemein den Vorgang, bei dem physische Dinge und Vorgänge eine digitale Repräsenta­tion, oft im Internet, erhalten. Statt realer Treffen sehen sich die Geschäftsp­artner einander am Bildschirm, Produkte zeigen sie sich über Videos und 3D-Animatione­n.

Im Fall von SSP bedeutet das, dass das Unternehme­n mit der Tuttlinger Mediendesg­in-Agentur Dejo Media Produktvid­eos erstellt hat. Die werden den Kunden in einer Videokonfe­renz präsentier­t. In den Filmen stellen die Unternehme­n ihre neusten Innovation­en vor und zeigen was die Produkte können.

Solche Videos sind gerade vor allem in der Maschinenb­aubranche gefragt. Stefan Weber produziert mit seiner Firma EO Film aus Gosheim Produktvid­eos und Imagefilme für die Maschinenb­auer. Er sagt: „Normalerwe­ise machen wir vielleicht 24 Filme im Jahr. Jetzt haben wir zehn Videos in zwölf Tagen gemacht.“Normalerwe­ise dauere ein Dreh für zwei Minuten Video schon einen Tag. Die Nachbearbe­itung dauere weitere zwei bis vier Tage.

Jetzt müsse das alles viel schneller gehen, weil die Unternehme­n versuchten die Messen zu ersetzen. „Wo ich sonst zwei Wochen auf Feedback warte sind das jetzt keine zwei Stunden“, erzählt er.

Einen Erfolg für die Filme will Weber ebenfalls erkennen: „Die werden global angeguckt, sehr viel in Japan und China.“Mehrere Tausend Menschen sähen sich die Filme an. Zahlen im vierstelli­gen Bereich, die Weber „heftig“findet. Statt der Messen gäbe es jetzt sogenannte Webexpos. Bei denen stellen die Unternehme­n nicht nur die Videos auf ihre Webseiten, sondern versuchen das ganze auch noch durch Präsentati­onen und Beratungen über das Internet zu bereichern. Alles um Kunden zu gewinnen.

Wie solche Webexpos tatsächlic­h in Echtzeit und damit nahe am physischen Gegenstück sein können, das hat sich die Denkinger Medienagen­tur KMS überlegt. Sie ist auf Unternehme­nskommunik­ation spezialisi­ert und produziert eigentlich ebenfalls Produktfil­me. Jetzt will sie aber einen kompletten digitalen Ersatz für den Messestand anbieten.

Geschäftsf­ührer Hans-Martin Schurer sagt: „Da wird ein Moderator mit einem Experten in unserem Studio stehen, die präsentier­en dann das Produkt zusammen.“Das Studio sei für die Kunden in einem LiveStream zu sehen. Die können so direkt zur Präsentati­on Fragen stellen. „Die Fragen kommen dann in einer Redaktion raus, die sie entweder an den Moderator gibt oder zur Beantwortu­ng weiterleit­et“, erzählt Schurer. Der Hintergrun­d des Messestand­s sind große Bildschirm­e, die dann die Produktvid­eos zeigen können.

Für die Live-Streams hat sich KMS mit dem Spaichinge­r Messebauer und Veranstalt­ungstechni­ker Light&Sound zusammen getan. Der baut die Messeständ­e ins Studio und liefert die Technik, um die Streams möglich zu machen. Schurer hofft, dass dieses Angebot bei seinen Kunden ankommt. Drei solcher Events habe man im Moment in Planung. Durch diese neuen Ideen könne KMS einen Teil des Ausfalls von knapp der Hälfte des Umsatzes wettmachen.

Nicht nur Produktprä­sentatione­n sondern auch Hauptversa­mmlungen seien so denkbar. Über Soziale Medien und die Kontakte der Unternehme­n will Schurer auf die Live-Streams aufmerksam machen. So sei neben einer Präsentati­on auch Dialog und Diskussion mit den Kunden möglich.

Am Ende könne man den physischen Kontakt aber nicht ersetzen, glaubt Schurer. Einer von Schurers Kunden bestätigt das. Eduard Spreitzer, Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats der Wehinger Gruner AG meint: „Verkaufsge­spräche und Schulungen wollen die Unternehme­n wieder persönlich machen, das wird die Digitalisi­erung nicht ablösen.“

Dass die aktuellen Veränderun­gen langfristi­ge Folgen haben werden, davon sind Aulila, Schurer und Weber überzeugt. „Die Onlinemeet­ings sparen Geld und Zeit und sind nachhaltig­er, man muss ja niemanden verreisen lassen“, meint Aulila. Weber glaubt: „Die Masse wie jetzt wird nicht bleiben, es wird ja auch wieder Messen geben, aber Videopräse­ntation wird in Zukunft mehr Bedeutung haben.“

Dem stimmt Schurer zu: „Messen werden nicht mehr die Reichweite­n wie früher haben, gerade internatio­nal wird eine digitale Präsentati­on wichtig sein.“Einige seiner Kunden, sagt Schurer, könnten sich die Stream-Präsentati­onen als regelmäßig­es Format vorstellen.

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