Videos ersetzen Messen in Corona-Zeiten
Unternehmen aus der Region ersetzen den Kundenkontakt durch digitale Möglichkeiten.
SPAICHINGEN/DENKINGEN/GOSHEIM - Messen und Kundenbesuche, über diese Wege verkaufen mittelständische Unternehmen einen Großteil ihrer Produkte. Weil die Corona-Krise diese Verkaufsformen jetzt zum Erliegen gebracht hat, stehen digitale Vertriebswege plötzlich im Fokus. Zum Beispiel ist das auch beim Spaichinger Schutzzaunhersteller SSP (Safety Solution Systems) so, erzählt Marcel Aulila.
Aulila leitet den europaweiten Vertrieb der Firma. SSP stellt Schutzzäune für Produktionsanlagen wie etwa Roboter her. Außerdem Bedienelemente, zum Beispiel NotHalt-Knöpfe. In der Corona-Krise hat die Firma ein neues Geschäftsmodell entdeckt: Trennwände aus Plexiglas zum Virenschutz. Aulila sagt: „Wir haben auch davor schon solche Wände als Schutzeinrichtungen für Maschinen gebaut, der Schritt zum Virenschutz war nicht weit.“
Trotz des kurzfristigen neuen Geschäftszweigs ist SSP natürlich darauf angewiesen, dass auch die Standardprodukte des Spaichinger Unternehmens Absatz finden. Den klassischen Vertrieb haben die Kontaktbeschränkungen fast unmöglich gemacht. Die großen Messen der Branche, zum Beispiel die Automatica in Stuttgart, sind abgesagt. Termine der SSP-Mitarbeiter bei den Kunden waren bis zur letzten Lockerung der Hygieneauflagen auch nicht möglich.
Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen haben die SSP-Vertriebler ihre Tätigkeiten digitalisiert. Aulila sagt: „Der Kundenkontakt läuft jetzt per Webmeeting ab.“Damit liegt SSP in einem Trend, der zwar schon seit etlichen Jahren durch die Pressemeldungen geistert, jetzt aber durch die Krise offenbar einen Schub erhält.
Unter Digitalisierung versteht man heute ganz allgemein den Vorgang, bei dem physische Dinge und Vorgänge eine digitale Repräsentation, oft im Internet, erhalten. Statt realer Treffen sehen sich die Geschäftspartner einander am Bildschirm, Produkte zeigen sie sich über Videos und 3D-Animationen.
Im Fall von SSP bedeutet das, dass das Unternehmen mit der Tuttlinger Mediendesgin-Agentur Dejo Media Produktvideos erstellt hat. Die werden den Kunden in einer Videokonferenz präsentiert. In den Filmen stellen die Unternehmen ihre neusten Innovationen vor und zeigen was die Produkte können.
Solche Videos sind gerade vor allem in der Maschinenbaubranche gefragt. Stefan Weber produziert mit seiner Firma EO Film aus Gosheim Produktvideos und Imagefilme für die Maschinenbauer. Er sagt: „Normalerweise machen wir vielleicht 24 Filme im Jahr. Jetzt haben wir zehn Videos in zwölf Tagen gemacht.“Normalerweise dauere ein Dreh für zwei Minuten Video schon einen Tag. Die Nachbearbeitung dauere weitere zwei bis vier Tage.
Jetzt müsse das alles viel schneller gehen, weil die Unternehmen versuchten die Messen zu ersetzen. „Wo ich sonst zwei Wochen auf Feedback warte sind das jetzt keine zwei Stunden“, erzählt er.
Einen Erfolg für die Filme will Weber ebenfalls erkennen: „Die werden global angeguckt, sehr viel in Japan und China.“Mehrere Tausend Menschen sähen sich die Filme an. Zahlen im vierstelligen Bereich, die Weber „heftig“findet. Statt der Messen gäbe es jetzt sogenannte Webexpos. Bei denen stellen die Unternehmen nicht nur die Videos auf ihre Webseiten, sondern versuchen das ganze auch noch durch Präsentationen und Beratungen über das Internet zu bereichern. Alles um Kunden zu gewinnen.
Wie solche Webexpos tatsächlich in Echtzeit und damit nahe am physischen Gegenstück sein können, das hat sich die Denkinger Medienagentur KMS überlegt. Sie ist auf Unternehmenskommunikation spezialisiert und produziert eigentlich ebenfalls Produktfilme. Jetzt will sie aber einen kompletten digitalen Ersatz für den Messestand anbieten.
Geschäftsführer Hans-Martin Schurer sagt: „Da wird ein Moderator mit einem Experten in unserem Studio stehen, die präsentieren dann das Produkt zusammen.“Das Studio sei für die Kunden in einem LiveStream zu sehen. Die können so direkt zur Präsentation Fragen stellen. „Die Fragen kommen dann in einer Redaktion raus, die sie entweder an den Moderator gibt oder zur Beantwortung weiterleitet“, erzählt Schurer. Der Hintergrund des Messestands sind große Bildschirme, die dann die Produktvideos zeigen können.
Für die Live-Streams hat sich KMS mit dem Spaichinger Messebauer und Veranstaltungstechniker Light&Sound zusammen getan. Der baut die Messestände ins Studio und liefert die Technik, um die Streams möglich zu machen. Schurer hofft, dass dieses Angebot bei seinen Kunden ankommt. Drei solcher Events habe man im Moment in Planung. Durch diese neuen Ideen könne KMS einen Teil des Ausfalls von knapp der Hälfte des Umsatzes wettmachen.
Nicht nur Produktpräsentationen sondern auch Hauptversammlungen seien so denkbar. Über Soziale Medien und die Kontakte der Unternehmen will Schurer auf die Live-Streams aufmerksam machen. So sei neben einer Präsentation auch Dialog und Diskussion mit den Kunden möglich.
Am Ende könne man den physischen Kontakt aber nicht ersetzen, glaubt Schurer. Einer von Schurers Kunden bestätigt das. Eduard Spreitzer, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Wehinger Gruner AG meint: „Verkaufsgespräche und Schulungen wollen die Unternehmen wieder persönlich machen, das wird die Digitalisierung nicht ablösen.“
Dass die aktuellen Veränderungen langfristige Folgen haben werden, davon sind Aulila, Schurer und Weber überzeugt. „Die Onlinemeetings sparen Geld und Zeit und sind nachhaltiger, man muss ja niemanden verreisen lassen“, meint Aulila. Weber glaubt: „Die Masse wie jetzt wird nicht bleiben, es wird ja auch wieder Messen geben, aber Videopräsentation wird in Zukunft mehr Bedeutung haben.“
Dem stimmt Schurer zu: „Messen werden nicht mehr die Reichweiten wie früher haben, gerade international wird eine digitale Präsentation wichtig sein.“Einige seiner Kunden, sagt Schurer, könnten sich die Stream-Präsentationen als regelmäßiges Format vorstellen.