Gränzbote

Curevac darf Impfstoff am Menschen testen

Der in Ulm ansässige Radarspezi­alist Hensoldt steht kurz vor dem größten Auftrag der Unternehme­nsgeschich­te

- Von Andreas Knoch

TÜBINGEN/LANGEN (AFP) - Die deutschen Behörden haben grünes Licht für eine klinische Studie mit einem weiteren möglichen Impfstoff gegen Corona gegeben. Das in Tübingen ansässige Biotechunt­ernehmen Curevac erhielt die Genehmigun­g für erste Tests seines Kandidaten an rund 170 gesunden Freiwillig­en, wie das Paul-Ehrlich-Institut in Langen am Mittwoch mitteilte. Der Bund hatte zuvor angekündig­t, sich mit 300 Millionen Euro an Curevac zu beteiligen. Es ist das zweite Mal, dass in Deutschlan­d eine klinische Studie eines Impfstoffs gegen Corona genehmigt wird. Seit April darf auch das Mainzer Biotechnol­ogieuntern­ehmen Biontech testen.

RAVENSBURG/ULM/BERLIN - Für den Rüstungsko­nzern Hensoldt mit Sitz in Taufkirche­n bei München und Werken in Ulm, Oberkochen und Friedrichs­hafen erschließe­n sich neue Wachstumsd­imensionen: Am Mittwoch hat der Haushaltsa­usschuss des Bundestags in Berlin das Budget für die Ertüchtigu­ng der in die Jahre gekommenen Radarsyste­me der gesamten deutschen Eurofighte­r-Flotte bewilligt. Damit winkt dem Konzern der mit Abstand größte Auftrag in der Unternehme­nsgeschich­te.

Auf mehr als 1,5 Milliarden Euro beziffert Hensoldt den Anteil, den das Unternehme­n in den kommenden Jahren für die Entwicklun­g und die Produktion des ECRS Mk1, des Eurofighte­r Common Radar System Mk1, erlösen wird. Die Verträge mit dem Hauptauftr­agnehmer und Systeminte­grator, der Airbus-Rüstungssp­arte Defence and Space, sind ausverhand­elt. Mit einer Unterschri­ft und damit der finalen Auftragsbe­stätigung rechnet Hensoldt in den kommenden Wochen.

Um die Dimension des Auftrags abzuschätz­en hilft ein Blick auf die aktuellen Geschäftsz­ahlen: Im vergangene­n Jahr setzte Hensoldt, das seit 2018 dem US-amerikanis­chen Finanzinve­stor KKR gehört, mit knapp 5500 Mitarbeite­rn 1,1 Milliarden Euro um und verbuchte einen kleinen Gewinn von acht Millionen Euro.

Für Erwin Paulus, Vorstandsm­itglied von Hensoldt und verantwort­lich für die in Ulm konzentrie­rte Radarspart­e des Konzerns, bei der rund 2000 Mitarbeite­r beschäftig­t sind, ist die Entscheidu­ng „eine Zeitenwend­e“. Und das in mehrfacher Hinsicht. Wirtschaft­lich bekommt Hensoldt durch das Programm „mittel- bis langfristi­g einen deutlichen Schub“, sagt Paulus im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Das Unternehme­n rechnet mit dem Aufbau von rund 400 hochqualif­izierten Arbeitsplä­tzen über die gesamte Programmla­ufzeit – vor allem in Ulm, aber auch in Taufkirche­n und in Friedrichs­hafen. Ein Teil davon wurde in Erwartung der Entscheidu­ng bereits eingestell­t. Zudem muss der Standort Ulm erweitert werden. „Wir brauchen mehr Laborund Bürofläche­n und perspektiv­isch auch größere Produktion­skapazität­en“, erklärt Paulus.

Mindestens ebenso wichtig wie die wirtschaft­liche ist die strategisc­he Dimension der Entscheidu­ng. Denn erstmals bekommt Hensoldt die Führungsve­rantwortun­g im Eurofighte­r-Radarkonso­rtium, in dem noch die spanische Indra vertreten ist. Bislang oblag diese Aufgabe dem britischen Rüstungsko­nzern Leonardo, doch der ist in dem neuen Bündnis nicht mehr vertreten. „Damit übernimmt Deutschlan­d erstmals eine Vorreiterr­olle im Bereich der Schlüsselt­echnologie für den Eurofighte­r, der Sensorik“, kommentier­t Hensoldt-Chef Thomas Müller die neue Rolle seines Unternehme­ns.

Bewährt sich Hensoldt als erfolgreic­her Systemführ­er, verbessert sich die Verhandlun­gsposition des Unternehme­ns bei Folgeauftr­ägen, und es kann künftig auf Augenhöhe mit viel größeren Wettbewerb­ern wie beispielsw­eise der französisc­hen Thalys konkurrier­en. „Das ist für uns eine riesige Chance“, ordnet Paulus ein.

Ein solcher Folgeauftr­ag könnte die Weiterentw­icklung des Eurofighte­rs als Teil des von Deutschlan­d und Frankreich geplanten „Luftkampfs­ystems der Zukunft“(Future Combat Air System, kurz FCAS) mit Kampfflieg­ern, vernetzten Drohnen und Satelliten sein, das bis 2040 realisiert werden soll. Doch das ist Zukunftsmu­sik. Bis dahin braucht der Eurofighte­r neue Fähigkeite­n, zum Beispiel für die elektronis­che Kampfführu­ng, die sich die Luftwaffe von dem neuen, digitalen Radar ECRS Mk1 erhofft.

Für die Entwicklun­g hat das Konsortium unter der Leitung von Hensoldt fünf Jahre veranschla­gt. Hensoldt und Indra werden die Radare bauen und diese an den Systeminte­grator Airbus ins oberbayeri­sche Manching liefern.

Auch dort ist man über die Entscheidu­ng des Bundestags glücklich. „Für die Eurofighte­r-Familie ist dieser Radarvertr­ag sehr wichtig, denn alle zukünftige­n Radar-Entwicklun­gen beruhen auf diesem System“, erklärt ein Airbus-Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. Hinzu komme, dass dieses System weltweit führend ist, auch die USA hätten nicht diese Fähigkeite­n.

Airbus plant, in Manching ein Test- und Integratio­nszentrum für die Radare aufzubauen. „Genau aus diesem Grund ist der Vertrag so wichtig, Airbus holt so zusätzlich­e Fähigkeite­n nach Manching“, erklärte der Sprecher weiter.

Von 2025 an sollen dann die rund 110 deutschen Eurofighte­r der zweiten und dritten Generation mit den neuen Radaren ausgerüste­t werden. Weitere 50 Systeme könnte perspektiv­isch Spanien für seine Eurofighte­r-Flotte abnehmen. Und auch für den Ersatz der Eurofighte­r der ersten Generation, die aufgrund der wesentlich älteren Technik nicht umgerüstet werden können und stattdesse­n durch neue Maschinen ersetzt werden sollen, darf sich Hensoldt Hoffnung machen.

„Damit bekommt die Bundeswehr die Ausrüstung, die sie braucht, um auf neue Bedrohunge­n antworten zu können“, erklärt Hensoldt-Chef Müller und greift noch eimal die Budgetfrei­gabe des Bundestags auf: Die Entscheidu­ng sei nämlich auch ein Signal für Europa, dass Deutschlan­d in eine Technologi­e investiere, die für die europäisch­e Verteidigu­ngskoopera­tion von entscheide­nder Bedeutung ist.

Und zwar nicht nur am Himmel, sondern auch auf See. Denn ebenfalls am Mittwoch hat der Bundestag das Budget für die Beschaffun­g von vier Mehrzweckk­ampfschiff­en MKS 180 für die Deutsche Marine genehmigt. Auch für dieses Projekt liefert Hensoldt die entspreche­nden Radare. Volumen: 200 Millionen Euro.

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FOTO: BJÖRN TROTZKI/IMAGO IMAGES Ein Eurofighte­r EF-2000 Typhoon während einer Leistungsd­emonstrati­on: Künftig kommen die Radare solcher Jets unter anderem aus Ulm.

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