Scholz für Rekordschulden
Bund will dieses Jahr 218,5 Milliarden Euro aufnehmen
BERLIN (klw) - Die Bundesregierung will für die Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise neue Schulden in Rekordhöhe aufnehmen. Das Kabinett brachte am Mittwochmorgen einen zweiten Nachtragshaushalt mit einem Volumen von 62,5 Milliarden Euro auf den Weg. Damit erhöht sich die geplante Neuverschuldung in diesem Jahr auf 218,5 Milliarden Euro. Ursprünglich wollte die Große Koalition in diesem Jahr keine neuen Schulden aufnehmen.
Mit dem Geld soll die Konjunktur in Deutschland angekurbelt werden. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) forderte insbesondere die Kommunen auf, nicht zu sparen, sondern zu investieren.
Er betonte, dass die Regierung trotz der neuen Kredite eine solide Finanzpolitik verfolge: „Diesen Kraftakt können wir stemmen, weil wir in guten Zeiten Schulden abgebaut haben und finanziell gut aufgestellt sind“, erklärte er.
BERLIN - Der Haushaltsnachschlag wird den Journalisten am Mittwoch mit Neuer Deutscher Welle (NDW) aus den frühen 1980er-Jahren serviert. „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt“, zitiert Finanzminister Olaf Scholz vor der Bundespressekonferenz den größten Hit der NDW-Band Geier Sturzflug.
Der Vizekanzler und inoffizielle Kanzlerkandidat der SPD ist an diesem Tag selbst gut beschäftigt: Am Morgen hat das Kabinett seinen zweiten Nachtragshaushalt für dieses Jahr beschlossen, danach ging es in den Haushaltsausschuss, dann vor die Journalisten, anschließend zur deutsch-französischen Parlamentariergruppe.
Für einen Finanzminister, der viel Geld ausgeben muss, ist Scholz erstaunlich gut aufgelegt. Dabei sind die Zahlen schwindelerregend: 218,5 Milliarden Euro an neuen Schulden will der Bund in diesem Jahr noch machen. Vor der Corona-Krise sollten es gar keine sein. Mit dem neuen Paket dürfte sich das Volumen des Bundeshaushalts von 362 Milliarden Euro auf 509 Milliarden aufblähen, die Schuldenquote Deutschlands von 60 auf 77 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Zumindest, wenn der Bundestag, wie zu erwarten, die Schuldenbremse erneut aussetzt und Scholz die Kreditaufnahme erlaubt. „Das ist eine Menge Geld“, räumt Scholz ein. Doch „weniger wäre nicht genug“.
Mit den Rekordschulden soll das von der Großen Koalition beschlossene Konjunkturpaket finanziert werden, das wiederum die Deutschen dazu bringen soll, das Bruttosozialprodukt zu steigern. Gesenkte Mehrwertsteuer, Kinderbonus, Entlastung der Kommunen, Geld für Ganztagsschulen und eine Kulturmilliarde – all das soll die Nachfrage im Land anheizen und so die darniederliegende Wirtschaft ankurbeln.
Denn eines kann sich Deutschland derzeit nach Überzeugung des Ministers nicht leisten: Das Sparen. Insbesondere die etwa 11 700 Kommunen in Deutschland müssten sich nun fragen: „Wie kriegen wir das Geld 2020 und 2021 los?“, rät der Minister.
Das ist Wirtschaftspolitik ganz im Sinne des berühmten Ökonomen John Maynard Keynes. Der war der Meinung, dass der Staat die Konjunktur in Krisenzeiten stützen sollte. Und nicht erst Scholz versteht sich als überzeugter Keynesianer. „Die Pferde müssen wieder saufen“, befand bereits Ende der 1960er-Jahre der ebenfalls aus Hamburg kommende SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller.
Und das tun sie nicht, wenn der Staat nichts unternehme, erklärt Scholz ein halbes Jahrhundert später. Und als guter Keynes-Anhänger betont er auch, dass der Staat diesen Schuldenberg in guten Zeiten wieder abträgt. So sei die Schuldenquote Deutschlands vor Corona ja kontinuierlich gesunken. Und ein größerer Teil der Neuschulden, nämlich 118
Milliarden Euro, sollen ab dem Jahr 2023 binnen zwanzig Jahren abgebaut werden. Dass die zusätzlichen Schulden den Bund besonders bedrücken, ist nicht zu erwarten: Dank niedriger Zinsen können sich Bund,
Länder und Kommunen billig Geld leihen, teilweise zahlen die Gläubiger dank Minuszinsen sogar drauf. Scholz sagt, die aktuellen Zinssätze für den Bund seien „ziemlich wenig, manchmal negativ“.
Und wenn das nicht reicht? Dann könnte man noch mit einem dritten Nachtrag nachlegen, sagt Scholz, der eine Verlängerung der halbjährigen Mehrwertsteuersenkung rundheraus ablehnt. Deutschland habe eine
„Kraftreserve“. Auch ohne Nachtrag: Einige Rücklagen fasst er bisher nicht an, andere Puffer füllt er auf.
Während CDU und SPD die Pläne unterstützen und die Grünen nur halbherzig das Fehlen einer langfristigen Perspektive beklagen, wird die FDP deutlicher: FDP-Haushälter Otto Fricke spricht von „Taschenspielertricks“eines Ministers, der 2021 gerne ins Kanzleramt wolle. „Da neue Schulden im Wahlkampf immer schlecht aussehen, nutzt Finanzminister Scholz einen Trick: Er parkt jetzt aufgenommene Kredite in vermeintlichen Rücklagen, um sie im Wahlkampfjahr verwenden zu können, ohne eine Nettokreditaufnahme auszuweisen“, sagt Fricke.
Die Linke begrüßt zwar die massiven Ausgabensteigerungen des Staates. Fraktionsvize Fabio De Masi will die Rückzahlung allerdings auf ein halbes Jahrhundert strecken, um der Wirtschaft nicht „durch eine strenge Diät zu viel Luft zu nehmen“.
Der Bund der Steuerzahler sieht das anders: Verbandspräsident Reiner Holznagel wirft Scholz vor, „hemmungslos“Schulden zu machen. „Es ist verantwortungslos, der nächsten Generation einen hohen Schuldenberg zu hinterlassen, ohne ein einziges Projekt im 500-Milliarden-Budget kritisch zu hinterfragen. Das ist fahrlässige Bequemlichkeit auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder“, betont er.
Denn die müssten dann das Bruttosozialprodukt steigern, um die Schulden der Alten abzustottern.