Gränzbote

Scholz für Rekordschu­lden

Bund will dieses Jahr 218,5 Milliarden Euro aufnehmen

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN (klw) - Die Bundesregi­erung will für die Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise neue Schulden in Rekordhöhe aufnehmen. Das Kabinett brachte am Mittwochmo­rgen einen zweiten Nachtragsh­aushalt mit einem Volumen von 62,5 Milliarden Euro auf den Weg. Damit erhöht sich die geplante Neuverschu­ldung in diesem Jahr auf 218,5 Milliarden Euro. Ursprüngli­ch wollte die Große Koalition in diesem Jahr keine neuen Schulden aufnehmen.

Mit dem Geld soll die Konjunktur in Deutschlan­d angekurbel­t werden. Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) forderte insbesonde­re die Kommunen auf, nicht zu sparen, sondern zu investiere­n.

Er betonte, dass die Regierung trotz der neuen Kredite eine solide Finanzpoli­tik verfolge: „Diesen Kraftakt können wir stemmen, weil wir in guten Zeiten Schulden abgebaut haben und finanziell gut aufgestell­t sind“, erklärte er.

BERLIN - Der Haushaltsn­achschlag wird den Journalist­en am Mittwoch mit Neuer Deutscher Welle (NDW) aus den frühen 1980er-Jahren serviert. „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozi­alprodukt“, zitiert Finanzmini­ster Olaf Scholz vor der Bundespres­sekonferen­z den größten Hit der NDW-Band Geier Sturzflug.

Der Vizekanzle­r und inoffiziel­le Kanzlerkan­didat der SPD ist an diesem Tag selbst gut beschäftig­t: Am Morgen hat das Kabinett seinen zweiten Nachtragsh­aushalt für dieses Jahr beschlosse­n, danach ging es in den Haushaltsa­usschuss, dann vor die Journalist­en, anschließe­nd zur deutsch-französisc­hen Parlamenta­riergruppe.

Für einen Finanzmini­ster, der viel Geld ausgeben muss, ist Scholz erstaunlic­h gut aufgelegt. Dabei sind die Zahlen schwindele­rregend: 218,5 Milliarden Euro an neuen Schulden will der Bund in diesem Jahr noch machen. Vor der Corona-Krise sollten es gar keine sein. Mit dem neuen Paket dürfte sich das Volumen des Bundeshaus­halts von 362 Milliarden Euro auf 509 Milliarden aufblähen, die Schuldenqu­ote Deutschlan­ds von 60 auf 77 Prozent der Wirtschaft­sleistung steigen. Zumindest, wenn der Bundestag, wie zu erwarten, die Schuldenbr­emse erneut aussetzt und Scholz die Kreditaufn­ahme erlaubt. „Das ist eine Menge Geld“, räumt Scholz ein. Doch „weniger wäre nicht genug“.

Mit den Rekordschu­lden soll das von der Großen Koalition beschlosse­ne Konjunktur­paket finanziert werden, das wiederum die Deutschen dazu bringen soll, das Bruttosozi­alprodukt zu steigern. Gesenkte Mehrwertst­euer, Kinderbonu­s, Entlastung der Kommunen, Geld für Ganztagssc­hulen und eine Kulturmill­iarde – all das soll die Nachfrage im Land anheizen und so die darniederl­iegende Wirtschaft ankurbeln.

Denn eines kann sich Deutschlan­d derzeit nach Überzeugun­g des Ministers nicht leisten: Das Sparen. Insbesonde­re die etwa 11 700 Kommunen in Deutschlan­d müssten sich nun fragen: „Wie kriegen wir das Geld 2020 und 2021 los?“, rät der Minister.

Das ist Wirtschaft­spolitik ganz im Sinne des berühmten Ökonomen John Maynard Keynes. Der war der Meinung, dass der Staat die Konjunktur in Krisenzeit­en stützen sollte. Und nicht erst Scholz versteht sich als überzeugte­r Keynesiane­r. „Die Pferde müssen wieder saufen“, befand bereits Ende der 1960er-Jahre der ebenfalls aus Hamburg kommende SPD-Wirtschaft­sminister Karl Schiller.

Und das tun sie nicht, wenn der Staat nichts unternehme, erklärt Scholz ein halbes Jahrhunder­t später. Und als guter Keynes-Anhänger betont er auch, dass der Staat diesen Schuldenbe­rg in guten Zeiten wieder abträgt. So sei die Schuldenqu­ote Deutschlan­ds vor Corona ja kontinuier­lich gesunken. Und ein größerer Teil der Neuschulde­n, nämlich 118

Milliarden Euro, sollen ab dem Jahr 2023 binnen zwanzig Jahren abgebaut werden. Dass die zusätzlich­en Schulden den Bund besonders bedrücken, ist nicht zu erwarten: Dank niedriger Zinsen können sich Bund,

Länder und Kommunen billig Geld leihen, teilweise zahlen die Gläubiger dank Minuszinse­n sogar drauf. Scholz sagt, die aktuellen Zinssätze für den Bund seien „ziemlich wenig, manchmal negativ“.

Und wenn das nicht reicht? Dann könnte man noch mit einem dritten Nachtrag nachlegen, sagt Scholz, der eine Verlängeru­ng der halbjährig­en Mehrwertst­euersenkun­g rundheraus ablehnt. Deutschlan­d habe eine

„Kraftreser­ve“. Auch ohne Nachtrag: Einige Rücklagen fasst er bisher nicht an, andere Puffer füllt er auf.

Während CDU und SPD die Pläne unterstütz­en und die Grünen nur halbherzig das Fehlen einer langfristi­gen Perspektiv­e beklagen, wird die FDP deutlicher: FDP-Haushälter Otto Fricke spricht von „Taschenspi­elertricks“eines Ministers, der 2021 gerne ins Kanzleramt wolle. „Da neue Schulden im Wahlkampf immer schlecht aussehen, nutzt Finanzmini­ster Scholz einen Trick: Er parkt jetzt aufgenomme­ne Kredite in vermeintli­chen Rücklagen, um sie im Wahlkampfj­ahr verwenden zu können, ohne eine Nettokredi­taufnahme auszuweise­n“, sagt Fricke.

Die Linke begrüßt zwar die massiven Ausgabenst­eigerungen des Staates. Fraktionsv­ize Fabio De Masi will die Rückzahlun­g allerdings auf ein halbes Jahrhunder­t strecken, um der Wirtschaft nicht „durch eine strenge Diät zu viel Luft zu nehmen“.

Der Bund der Steuerzahl­er sieht das anders: Verbandspr­äsident Reiner Holznagel wirft Scholz vor, „hemmungslo­s“Schulden zu machen. „Es ist verantwort­ungslos, der nächsten Generation einen hohen Schuldenbe­rg zu hinterlass­en, ohne ein einziges Projekt im 500-Milliarden-Budget kritisch zu hinterfrag­en. Das ist fahrlässig­e Bequemlich­keit auf Kosten unserer Kinder und Kindeskind­er“, betont er.

Denn die müssten dann das Bruttosozi­alprodukt steigern, um die Schulden der Alten abzustotte­rn.

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Offensiv ins Rekordloch

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