Friedenspreisträger
Der Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Ehrung für Philosophen Amartya Sen aus Indien
(dpa) - Als Kind erlebte er in Indien eine Hungersnot, lange Zeit danach bekam er den Nobelpreis zugesprochen, und nun den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Denn Amartya Sen ist eines herausragend gelungen: Er versöhnt die Wirtschaftswissenschaften mit der Ethik. Der 86-Jährige soll die mit 25 000 Euro dotierte Ehrung am 18. Oktober zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse entgegennehmen.
„Wir ehren mit Amartya Sen einen Philosophen, der sich als Vordenker seit Jahrzehnten mit Fragen der globalen Gerechtigkeit auseinandersetzt und dessen Arbeiten zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit in Bezug auf Bildung und Gesundheit heute so relevant sind wie nie zuvor“, begründete der Stiftungsrat am Mittwoch seine Entscheidung. Er zeige, „wie Armut, Hunger und Krankheit mit fehlenden freiheitlichen Strukturen zusammenhängen“.
Armut und Reichtum – die ihn lebenslang beruflich beschäftigt haben – hat er selbst erfahren: 1933 in Westbengalen geboren, erlebte er als Kind die große Hungersnot von 1943. Er habe Tausende sterben sehen, berichtete er bei einem Auftritt vor den Vereinten Nationen in New York. Das habe ihn so stark geprägt, dass er den Ursachen solchen Elends wissenschaftlich nachgehen wollte.
Amartya Sen studierte Wirtschaftswissenschaften in Kalkutta, promovierte in England, lehrte an Universitäten in aller Welt, zuletzt in Harvard. Er lebt in Cambridge (Massachusetts/USA), ist mit der britischen Wirtschaftshistorikerin Emma Georgina Rothschild-Sen verheiratet und Vater von vier Kindern. 1998 bekam Sen als erster Inder den Wirtschaftsnobelpreis verliehen.
Die Schwedische Akademie der Wissenschaften begründete die Wahl mit Sens Arbeiten zur Messung von Armut. Dadurch sei das Verständnis der wirtschaftlichen Mechanismen bei Hungersnöten verbessert worden. Er habe Vorstellungen über „naturbedingte“Ursachen von Hungersnöten überzeugend widerlegt und erkannt, dass in demokratischen Gesellschaften kaum Hungersnöte entstehen.
Nach dem Nobelpreis wurde er mit Preisen überhäuft, bei den Ehrendoktor-Titeln kam er mit dem Zählen nicht mehr nach. „Ich bin in ernsthafter Gefahr, auf bis zu 100 zu kommen“, erklärte er schon 2007 einer Zeitung in Südafrika, wo eine weitere Würde auf ihn wartete. Er habe „einen harten Kopf und ein weiches Herz“, hieß es 2007 in Kiel, wo der Inder den Weltwirtschaftlichen Preis des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) erhielt. Durch die Verknüpfung harter ökonomischer Analyse mit einem einfühlsamen Gewissen sei es ihm gelungen, Marktwirtschaft und Ethik zu verbinden.
Auch wenn er schon lange in den USA lebt, liegt ihm Indien sehr am Herzen. Indiens Wirtschaftswachstum gehöre zu den höchsten der Welt, sagte Sen 2013, doch die Politik habe vollkommen versagt, dessen Früchte zu verteilen. Das Land bestehe aus „US-kalifornischen Inseln in einem Meer aus Subsahara-Afrika“, schreiben er und Co-Autor Jean Drèze in ihrem Buch „Indien – Ein Land und seine Widersprüche“. Auch in Deutschland schaffte Sen es auf die SachbuchBestellerlisten, etwa mit „Die Identitätsfalle – Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt“und „Die Idee der Gerechtigkeit“(alle bei C.H.Beck).
Sen beschreibt sich als „Asiate, Bürger Indiens, Bengale mit bangladeschischen Vorfahren, Einwohner der Vereinigten Staaten oder Englands, Ökonom, Dilettant auf philosophischem Gebiet, Autor, Sanskritist, entschiedener Anhänger des Laizismus und der Demokratie, Mann, Feminist, Heterosexueller, Verfechter der Rechte von Schwulen und Lesben, Mensch mit einem areligiösen Lebensstil und hinduistischer Vorgeschichte, NichtBrahmane und Ungläubiger, was das Leben nach dem Tod angeht.“