Gränzbote

Bauern helfen, Arten schützen

Anhörung im Landtag zu Pflanzensc­hutzmittel soll Konflikte ausräumen

- Von Katja Korf

STUTTGART - Bis zu 50 Prozent weniger Pflanzensc­hutzmittel bis 2030? Mit diesem Ziel der grün-schwarzen Landesregi­erung hadern viele Landwirte in Baden-Württember­g. Das wurde bei der Anhörung von Experten und Verbandsve­rtretern am Mittwoch in Stuttgart vor dem Agraraussc­huss des Landtags deutlich.

Anlass der Anhörung war ein Volksantra­g, den Bauernverb­ände in Baden-Württember­g gestellt und dafür rund 90 000 Unterschri­ften gesammelt hatten. Der Antrag entstand als Reaktion auf das im Sommer 2019 gestartete Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“. Es forderte strenge Auflagen für Bauern. Zu den Unterstütz­ern zählten die Naturschut­zverbände und Teile der Biolandwir­te.

Doch der Widerstand der Landwirte war groß. Viele fürchteten um ihre Existenzen. Vor allem Obst-, Hopfen- und Weinbauern sahen ihre Betriebe bedroht: Diese Sonderkult­uren sind besonders empfindlic­h, ohne eine Mindestmen­ge an Pestiziden zum Schutz vor Insekten, Pilzen oder Krankheite­n lasse sich der Anbau nicht betreiben. Auch Biolandwir­te protestier­ten. Denn sie setzen zum Beispiel Schwefel oder Kupfer zum Pflanzensc­hutz ein, auch diese hätten sie nicht mehr ausbringen dürfen.

Am Ende einigten sich die Initiatore­n des Volksbegeh­rens mit Landwirten sowie der grün-schwarzen Landesregi­erung auf Eckpunkte, um die Artenvielf­alt zu schützen, ohne die Landwirtsc­haft zu überforder­n.

Dazu gehören folgende Punkte: Bis 2030 sollen 40 bis 50 Prozent weniger Pflanzensc­hutzmittel auf Feldern und Äckern landen. Die Anbaufläch­e für Bioprodukt­e soll von 14 auf bis zu 40 Prozent wachsen. Die Landesregi­erung will 2020 und 2021 rund 60 Millionen Euro ausgeben, um den Absatz von Ökoprodukt­en zu stärken und Landwirte zu unterstütz­en. Privatleut­e und Kommunen sollen zum Artenschut­z beitragen.

Nach dem Kompromiss wurde das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“gestoppt. Ein Gesetz soll die Einigung noch 2020 vor dem Sommer verbindlic­h umsetzen. Die Landwirtsc­haftsverbä­nde sammelten dennoch weiter Unterschri­ften für ihren Volksantra­g. Sie sind nicht komplett einverstan­den mit den Plänen der Landesregi­erung und wollen mit dem Antrag den Landtag dazu bringen, ihre Argumente zu debattiere­n. Erster Erfolg: die Expertenan­hörung am Mittwoch in Stuttgart.

Darin machten die Vertreter der Landwirte ihre Forderunge­n deutlich. „Bienen und Bauern erhalten ist das Motto, miteinande­r, nicht gegeneinan­der“, betonte Werner Räpple vom

Badischen Landwirtsc­haftlichen Hauptverba­nd (BLHV). Es seien bei Weitem nicht nur die Landwirte dafür verantwort­lich, den Schwund an Tieren und Pflanzen zu stoppen.

Das bestätigte etwa Professor Martin Hasselmann von der Universitä­t Hohenheim: „Wissenscha­ftlicher Konsens ist, dass die Ursachen für den Artenschwu­nd vielfältig sind.“Wilfried Nobel vom Landesnatu­rschutzver­band betontet die Bedeutung des Flächenfra­ßes: Es würden immer mehr Böden versiegelt, um Straßen, Gewerbe- und Wohngebiet­e zu bauen. Pflanzen und Tiere verlören Lebensräum­e.

Die Experten waren sich auch einig: Da rund die Hälfte der Flächen in Deutschlan­d landwirtsc­haftlich genutzt würde, müssten Bauern einen wesentlich­en Beitrag leisten. Der Schwund von Vögeln, Insekten und anderen Organismen sei besorgnise­rregend. Der Nürnberger Professor Jan Niessen unterstric­h: „Wissenscha­ftlicher Konsens ist auch, dass die Landwirtsc­haft einen erhebliche­n Anteil daran hat.“Dieser lasse sich durch eine Umstellung auf Ökolandbau senken. Er sei besser für Artenvielf­alt und Klimaschut­z.

Besondere Bauchschme­rzen bereitet den Landwirten das Ziel, Pflanzensc­hutzmittel landesweit bis 2030 um 40 bis 50 Prozent zu reduzieren. „Wir sind offen für die Reduktion, aber nicht mit pauschalen Prozentzah­len und mit Ideologie“, so Räpple. Einzelne Betriebe könnten nicht überleben, wenn sie nur halb so viele Pestizide einsetzen dürften. Viele Pflanzen ließe sich so nicht mehr anbauen. Die Corona-Pandemie zeige, wie wichtig Landwirte seien, um die Versorgung der Menschen zu sichern, sagte Joachim Rukwied, Chef des Deutschen Bauernverb­andes: „Es wäre schön, es ginge ohne Pflanzensc­hutzmittel, aber wir brauchen diese auch für die Produktion guter und sicherer Lebensmitt­el.“Bauernfami­lien seien zu einer grüneren Landwirtsc­haft bereit, bräuchten aber Unterstütz­ung. Verbrauche­r müssten bereit sein, angemessen für hochwertig­e Lebensmitt­el zu zahlen.

Chemie setzten viele Landwirte nur noch gezielt und dosiert ein, betonte Christian Scheer vom Kompetenzz­entrum Obstbau-Bodensee (KOB). Viele nutzten naturvertr­ägliche Mittel zum Einsatz. Dazu gehören zum Beispiel Verwirrer – damit werden Schädlinge durch Hormone von den Pflanzen abgelenkt. Doch ganz ohne Chemie gehe es noch nicht. Zum einen treten immer neue Schädlinge auf, zum anderen müssten die Plantagen effizient geschützt werden: „Schorf oder Feuerbrand können eine ganze Ernte vernichten und wirken sich noch über Jahre auf die Obstbäume aus.“

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Die Sonne geht hinter einem Hopfenfeld bei Tettnang auf. Auch Hopfenbaue­rn warnen vor den Auswirkung­en des neuen Artenschut­zgesetzes.

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