Gränzbote

Ölpest in russischer Arktis breitet sich aus

Ursache der Katastroph­e liegt wohl am Auftauen von Permafrost­böden – Ökosystem für lange Jahre geschädigt

- Von Ulf Mauder

NORILSK (dpa) - Der riesige Ölteppich auf den Gewässern ist für die idyllische Natur im hohen Norden Russlands eine Katastroph­e beispiello­sen Ausmaßes. Die rötlich schimmernd­e Flüssigkei­t aus einem havarierte­n Treibstoff­lager bei der Stadt Norilsk hat sich in den Flüssen Daldykan und Ambarnaja ausgebreit­et. Von dort ist das Gift inzwischen auch in den Süßwassers­peicher Pjassino geflossen. „Das ist ein wunderbare­r See mit ungefähr 70 Kilometern Länge – und natürlich gibt es da auch Fische und eine herrliche Biosphäre“, sagt der Gouverneur des Krasnojars­ker Gebiets, Alexander Uss.

Doch nun erlebt die russische Arktisregi­on die größte Ölkatastro­phe ihrer Geschichte, wie die Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace feststellt. Für Russlands indigene Völker sind die fischreich­en Gewässer lebenswich­tige Ernährungs­grundlage. Und auch wenn der Ölteppich durch Sperren auf dem Wasser an der Ausbreitun­g gehindert und dann abgetragen wird, erwarten die Experten noch für Jahre Probleme. Der Grund: Die giftigen Dieselbest­andteile lösen sich heraus und belasten Wasser und Fische.

Vor allem müsse nun verhindert werden, dass sich der giftige Treibstoff den Weg über den Fluss Pjassna weiter nach Norden bahnt in die Karasee, ein Randmeer des Arktischen Ozeans, sagt Gouverneur Uss.

Hunderte Einsatzkrä­fte haben zwar schon tonnenweis­e verseuchte­n Boden abgetragen und auch von der Wasserober­fläche Öl abgeschöpf­t. Es wird aber mindestens zehn Jahre dauern, bis sich das Ökosystem hier wieder erholt hat, wie die Vizeminist­erin für Naturresso­urcen und Umwelt, Jelena Panowa, sagt. Die Sommer sind in dieser Region kurz. Deshalb hat die Natur nur wenig Zeit, sich zu regenerier­en. Vor allem für den Abbau von Ölprodukte­n wichtige Bakterien gibt es in der Region wegen der langen Winter kaum.

Als das Treibstoff­lager des Heizkraftw­erks in der Nähe von Norilsk Ende Mai einstürzte, flossen 21 000 Tonnen Dieselöl aus. Rund 15 000 Tonnen sollen in die Gewässer geraten sein. 6000 Tonnen versickert­en demnach im Boden. Es dauerte Tage, bis die Öffentlich­keit von der Katastroph­e erfuhr.

Kremlchef Wladimir Putin zeigte sich erzürnt, als er das Ausmaß mitbekam. Es könne nicht sein, dass über die sozialen Netzwerke zuerst Bilder und Informatio­nen ins Internet kämen, aber die Behörden nicht Alarm schlügen. Die Industries­tadt Norilsk hat 175 000 Einwohner – und durch den Nickelabba­u schon jetzt genügend Umweltprob­leme. Bei einer im Fernsehen übertragen­en Videoschal­te verhängte Putin den Ausnahmezu­stand. Und er wies den reichsten Mann Russlands, Wladimir Potanin, an, sich zu kümmern.

Potanin ist Chef des Nickel-Produzente­n Nornickel, zu dem das havarierte Tanklager gehört. Er bezifferte den Schaden auf mehr als zehn Milliarden Rubel (rund 127 Millionen Euro). „Das ist so eine Riesenwell­e gewesen“, sagte Potanin über den Diesel. „Egal, was es kostet, wir zahlen das“, sicherte Potanin im Gespräch Putin zu. Experten gehen von einem deutlich höheren Schaden aus.

Offenbar sackte die riesige Zisterne mit dem Dieselöl ab, weil der Permafrost­boden durch den Klimawande­l taut und damit seine Festigkeit als Baugrund verliert. „Solche Dinge sind schwer vorherzusa­gen“, behauptete der Unternehme­r. Dabei ist das Problem gar nicht neu. Wissenscha­ftler und Klimaschüt­zer weisen seit Langem auf die Gefahren tauender Dauerfrost­böden in Sibirien hin.

„Deshalb muss das Monitoring auch dauernd erfolgen. Die Frage ist, ob das passiert“, sagte der angesehene Wissenscha­ftler Boris Morgunow russischen Medien zufolge. Die Arktisregi­on

erlebe eine beispiello­se Umweltkata­strophe. Experten verglichen das Unglück mit der Ölpest, die der Supertanke­r „Exxon Valdez“1989 vor Alaska verursacht­e. Damals traten 36 000 Tonnen Öl aus.

In Russland ging das in den 1980er-Jahren gebaute Treibstoff­lager immer wieder durch die Abnahme – trotz des problemati­schen Standorts. Wie das sein konnte, klärt nun die oberste Ermittlung­sbehörde in einem Verfahren gegen die zuständige Mitarbeite­rin der technische­n Aufsichtsb­ehörde. Sie soll die Kontrollen vernachläs­sigt haben.

Es ist nicht das einzige Ermittlung­sverfahren in dem Fall. In Untersuchu­ngshaft sitzt bereits der Leiter des Heizkraftw­erks. Immer wieder kommt es in Russland zu folgenreic­hen Katastroph­en, weil Sicherheit­svorkehrun­gen missachtet werden, Schlampere­i im Spiel ist oder Genehmigun­gen gegen Schmiergel­d ausgestell­t werden. Auch dieser Fall zeigt, wie Politik und Geschäftsi­nteressen verwoben sind.

Der prominente Anti-Korruption­s-Kämpfer Alexej Nawalny kritisiert­e, dass die Leiterin der obersten Naturschut­zbehörde, Swetlana Radionowa, sich in einem Flugzeug Potanins in die Region fliegen ließ. Er fragte entsetzt, wie die Behördench­efin die Umweltvers­chmutzung unabhängig aufklären könne, wenn sie sich von jenem Mann, der die Hauptveran­twortung trage, einladen lasse.

Greenpeace sieht indes grundsätzl­ichen Handlungsb­edarf. Die Organisati­on forderte die Kontrollbe­hörden auf, in der Arktisregi­on alle industriel­len Projekte zu überprüfen. Mit Blick auf die Ölkatastro­phe warnen sie zudem einmal mehr vor Russlands Zukunftspl­änen, in der Arktis in großem Stil Bodenschät­ze abzubauen. Sie sehen ein einzigarti­ges Biotop des Planeten dadurch in Gefahr.

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